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Nacktsein in Deutschland

Rachel Loxton ad
24. Juli 2019

Wie steht es heute um die deutsche Freikörperkultur? Wird sie noch populärer, oder verschwindet sie bald? Bei manchem Nicht-Deutschen kann sie sogar einen Gesinnungswandel bewirken.

Deutschland FKK im Regenbogen-Ressort in Prerow
Bild: picture-alliance/dpa

Kinder planschen im Wasser, Butterbrote werden herumgereicht und Pärchen liegen in der Sonne: Auf den ersten Blick gleicht dieses Bild jeder anderen sommerlichen Szene an einem See oder Strand.

Aber bei näherem Hinsehen fällt dem Betrachter ins Auge, dass die Besucher von Krumme Lanke, einem See im Südwesten von Berlin, alle etwas gemeinsam haben.

Sie sind nämlich allesamt splitternackt, ohne auch nur den kleinsten Hauch einer Badebekleidung. Und das ist hier stinknormal. Es interessiert wirklich niemanden. Und niemand findet das ganze besonders sexy. Wenn man nicht meint, man müsse sich unbedingt bedecken, benötigt man tatsächlich überhaupt keine Bekleidung.

Drei Buchstaben, die es jedem erlauben, nackt rumzulaufen: FKK

In Deutschland wird Nacktbaden vielerorts nicht nur geduldet, sondern scheint sogar besonders beliebt zu sein.

In vielen der zahlreichen Kurorten, Saunen und Wellnesscentern, sowie an vielen Stränden und Badeseen ist FKK gestattet, also Freikörperkultur.

In einigen Regionen von Deutschland sind solche Szenen immer noch völlig normalBild: Deutsche Fotothek

Jedoch befürchten FKK-Fans, dass ihr Hobby durch Verbote öffentlicher Nacktheit und die abnehmende Popularität von Nacktschwimmen eingeschränkt werden könnte.

Eine bedrohte Tradition?

Linken-Politiker und Präsident der Europäischen Linken Gregor Gysi, 71, äußerte sich vor über einem Jahr zum Niedergang der FKK-Kultur und forderte mehr ausgewiesene Flächen für Nudisten. Er selbst bedauerte die zunehmende Einschränkung von FKK: "Ich finde das schade, denn die Freikörperkultur hat Niveau."

Linken-Politiker Gregor Gysi findet FKK wichtigBild: picture-alliance/dpa/O. Berg

Gysi erwähnte, dass es laut einem Sexforscher nach der Wiedervereinigung "der pornographische Blick" von Westdeutschen gewesen sei, der den Spaß am Nacktbaden gedämpft hätte, denn schließlich sei diese Sitte in der ehemaligen DDR viel weiter verbreitet gewesen, als im Westen.

Aus der Perspektive einer Ausländerin

Soeben ist am See ein Radfahrer eingetrudelt. Sofort entblättert er sich, um nackt ins kühle Nass zu springen.

Obwohl mich der Anblick keinesfalls schockiert hat, muss ich trotzdem zugeben, dass ich eine Weile gebraucht habe, um mich an die lässige Einstellung zur Nacktheit in Deutschland zu gewöhnen.

Wieso? Weil ich aus Schottland stamme. Wie auch in anderen Teilen des Vereinigten Königreichs sind bei uns die Menschen konservativer eingestellt. Wer sich dort in aller Öffentlichkeit mal eben so auszieht, riskiert, als Perverser angesehen zu werden. Bei uns ist das halt nicht so üblich.

Im Falle von Schottland könnte man zwar auf das oft nasskalte Wetter verweisen, aber die Sache geht tiefer. Die Einstellung der Briten zu nackter Haut unterscheidet sich grundsätzlich von der Einstellung vieler Menschen auf dem europäischen Festland.

Kameras sollte man wegpacken: FKK-Strände sind nicht fürs Instagram gedachtBild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Wir sind an den Anblick nackter Körper nicht gewöhnt, und kennen sie nur aus dem Zusammenhang sexualisierter Werbung, Musikvideos oder Pornographie. Deshalb reagieren wir recht verlegen beim Anblick "normaler Nacktheit" in der Sauna oder am Strand.

"In anglophonen Kulturen neigen die Menschen dazu, eine ganz andere Einstellung zu ihren Körpern zu haben, als die Menschen in Deutschland, Bulgarien, Frankreich oder Österreich", sagt Annegret Staiger, Lehrbeauftragte für Anthropologie an der Clarkson University in Potsdam, New York.

"In den USA ist das Zeigen nackter Haut ein Skandal, aber gleichzeitig macht man ein Riesentheater, wenn man sie zeigt", fügt Staiger hinzu. Aufgewachsen in Stuttgart, kam sie 1987 als Studentin in die USA. 

Ein Gegengewicht zur sexualisierten Nacktheit

Für mich persönlich wäre es unvorstellbar gewesen, mich in der Öffentlichkeit auszuziehen, bis ich 2015 als Teil eines Journalismusstipendiums nach Berlin kam.

Badeanzüge sind in der Sauna nicht angebrachtBild: picture-alliance/ dpa/B. Weißbrod

Ich lernte Deutsch, und versuchte auch, die deutsche Kultur zu ergründen. Da fand ich schnell heraus, dass FKK und Nacktheit in Saunen ein Teil dieser Kultur ist.

Ich brauchte viel Mut, um es den anderen nachzumachen. Aber dann schaffte ich es. Nachdem ich mich viele lange Jahre in meiner Haut nicht wirklich wohlgefühlt hatte, oder das Gefühl hatte, dass mein Körper hässlich sei oder versteckt werden müsse, war es ein tolles Gefühl, nackt auf den Holzbrettern einer Sauna zu liegen und zu fühlen, wie sich die Hitze auf meiner Haut ausbreitete. Ich fand die deutsche Einstellung zur Nacktheit erfrischend.

Ich hatte jahrelang mit meiner schlechten Einstellung gegenüber meinem eigenen Körper zu kämpfen, und habe viele Diäten gemacht, um meinen durch die Pubertät wechselnden Körperumfang zu regulieren. Aber hier konnten sich Menschen aller Kleidergrößen frei entblößen und sich dabei wohl fühlen.

Dieses Konzept unterschied sich fundamental von dem, mit dem ich aufgewachsen bin. Hier hat Nacktheit mit Sexualität nichts zu tun, und es geht auch nicht darum, gut auszusehen.

Politiker Gysi stimmte mir zu: "Vielleicht sollten Sie sich entscheiden, im Sommer an einem FKK-Strand zu liegen. Sie werden schnell denken, dass dies nicht wirklich erotisch ist. Ein Bikini kann viel erotischer als FKK sein. Ich sehe FKK als ein mögliches Gegengewicht zur allgegenwärtigen Sexualisierung in der Werbung, aber auch allgemein in der Gesellschaft."

Ein historischer Abriss der FKK

Die erste deutsche FKK-Organisation wurde 1898 gegründet. Die Grundidee dahinter, die vor allem mit Gesundheitspflege zu tun hatte, verbreitete sich schnell in der Umgebung von Berlin, sowie an der Nord- und Ostsee. 

Nicht jeder teilt die deutsche FKK-Liebe

"Sogar um die Jahrhundertwende herum gab es den Trend weg von den Städten," erklärt Staiger. "Das war Teil eines größeren Trends: Weg vom Korsett, und hin zu einem frei atmenden Körper."

Bei der naturalistischen Bewegung ging es nicht um die Sexualisierung des Körpers, sondern um Gesundheit und auch die Idee, die Menschen von der Scham zu befreien, sowie von sozialer Ungleichheit und den ungesunden Lebensbedingungen in übervölkerten Städten während der beginnenden Industrialisierung.

Zu jener Zeit erschienen Dutzende von Zeitschriften und Filmen, die sich dem Thema FKK-Kultur widmeten.

FKK wurde zunächst von den Nazis verboten, aber kehrte alsbald zurück. Staiger meint, die NSDAP habe die Kultur aufgrund ihrer Obsession mit dem Körper angenommen.

"Als Hans Surens Buch Mensch und Sonne (1936) und Leni Riefenstahls Propagandafilm Olympia (1938) erschienen, war der Nudismus zumindest teilweise in die rassistische Ideologie der Nazis aufgenommen worden," sagt sie.

Leni Riefenstahls Film "Olympia" zelebrierte die Ästhetik des athletischen arischen KörpersBild: Criterion

FKK existierte weiterhin nach dem Krieg, und zwar in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen. Jedoch nahm FKK in der DDR eine zusätzliche Bedeutung an, wo sie auch die Befreiung von einem repressiven Staat symbolisierte.

Gysi führt dazu aus: "Die Freikörperkultur hat eine lange Tradition in Deutschland. Zum Teil hatte sie auch Bezüge zur Arbeiterbewegung. In der DDR waren FKK-Strände an der Ostsee normal. Dort gab es auch keine Abgrenzung zu den Textilstränden. Dieser freie Umgang mit der Nacktheit ist nach der Wende verloren gegangen."

Gar nicht im FKK-Geist: Sex-Saunaclubs

Staiger erwähnt, dass einige Saunaclubs, die im Sexgeschäft tätig seien, dem Ruf der FKK geschadet hätten.

"Es gibt Saunaclubs oder Bordelle, die sich zwar als FKK-Saunaclubs bezeichnen, sich jedoch nur hinter dem Begriff FKK verstecken. Hier wird eine Idee oder Ideologie missbraucht." Laut Staiger vertreten solche Clubs keinesfalls die FKK-Idee.

"Das ist ein reiner Euphemismus, um die Akzeptanz von Prostitution zu erhöhen. Bei der FKK und dem Nudismus ging es darum, den Körper ohne Behinderung durch Kleidung in der Natur und im Sonnenlicht zu zelebrieren," fügt Staiger hinzu. "In den FKK-Saunaclubs hingegen sind nur die Sexarbeiterinnen nackt, bis auf ihre High Heels. Das ist nicht die Idee hinter der FKK."

Es gibt jedoch auch jede Menge FKK-Spas, die keine Bordelle sind, wie zum Beispiel das Vabali Spa Bild: vabali spa

 Eine erhaltenswerte Kultur

Wie also kann die naturalistische Kultur zu ihren Wurzeln zurückfinden? Und wird sie im modernen Deutschland einen Platz haben?

Hier sieht Gysi Lokalpolitiker in der Pflicht: "Ich sehe hier die Kommune in der Verantwortung. Sie kann ohne weiteres an Stränden und in Bädern entsprechende Gebiete festlegen und sich auch nicht durch Investoren beirren lassen. Es ist jedoch aberwitzig, wenn in Berlin in einer Saunalandschaft Menschen außerhalb der Saunen und des Pools verkleidet sind, weil sich die Touristen daran stören. FKK steht für Selbstbewusstsein und den Ausbruch aus gesellschaftlichen Zwängen. Das ist wichtig und förderungswürdig. "

Zurück am See ziehen sich einige Nackedeis nach einem langen Tag in der Sonne wieder an.

Als Nicht-Deutsche ist die naturalistische Kultur für mich etwas ganz besonderes.

Und es gefällt mir, in einem Land zu leben, wo Rentner nackt baden, Freunde sich nackt in der Sonne aalen und nackte Yoga-Übungen machen. Es interessiert niemanden, wie man aussieht. Sind halt nur Körper – und wir alle haben einen!

 

Mehr Inhalte über Deutsche und ihre Eigenarten, die deutsche Alltagskultur und Sprache finden Sie auf unserer Seite www.dw.com/meetthegermans_de sowie bei YouTube.

Zeichner Miguel Fernandez nimmt typisch deutsche Eigenschaften in seinen Cartoons ins Visier: 

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