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Keßler: "So viel Talent in der Mannschaft"

Sarah Wiertz
6. Juli 2019

Ihr Job ist es, die Entwicklung des Frauenfußballs zu beobachten und zu beurteilen. Die ehemalige Weltfußballerin Nadine Keßler spricht im DW-Interview über Charakterköpfe, den Videoassistenten und das WM-Finale.

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Bild: DW/H. Flores

Keßler: "So viel Talent in der Mannschaft"

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DW: Wie bewerten Sie das Spielniveau bei dieser Fußball-WM?

Keßler: Es ist ein großartiges Spielniveau. Wir haben super aufregende Spiele gesehen, die ziemlich eng waren. Und wir hatten viele Spiele, bei denen man nicht vorher sagen konnte, wer als Gewinner vom Platz geht. Es ist ein komplett anderes Tempo, ein komplett anderes Spiel als früher. Es wird viel früher angegriffen. Ich glaube, dass ist auch eine ganz klare Schlussfolgerung dieser WM: Mannschaften wollen gewinnen, sie wollen nach vorne spielen. Sie sind überhaupt nicht defensiv eingestellt - und das, kombiniert mit physischer Qualität und taktischer Schulung, ist wirklich hervorzuheben.

Die Torhüterinnen stehen im Frauenfußball oft in der Kritik, weil sie vermeintlich sehr einfach Bälle reinlassen. Wie beurteilen Sie deren Leistungen hier in Frankreich?

Ich bin absolut begeistert von den Torhüterinnen. Normalerweise stehen sie tatsächlich des Öfteren in der Kritik. Aber wenn man das gesamte Turnier betrachtet, glaube ich, kann man fast zehn Torhüterinnen nennen, die sogar herausragend waren und wichtig dafür, dass ihre Mannschaften erfolgreich waren. Das Torhüterinnen-Spiel hat im Vergleich zur Vergangenheit einen enormen Sprung gemacht.

Im Frauenfußball gibt es in den nationalen Ligen keinen Video-Assistenten (VAR). Jetzt hat die FIFA erstmals den VAR bei einer Frauen-WM ausprobiert. War das der richtige Zeitpunkt?

Ich glaube nicht, dass es ein Ausprobieren war. Das gibt es schon im Männerfußball, es gab auch eine große Anfrage. Alle Trainerinnen, auch die Spielerinnen haben sich dafür ausgesprochen, den VAR bei der WM einzusetzen. Dass es ein Prozess ist, Schiedsrichterinnen und Spielerinnen näher damit vertraut zu machen, und dann auch den Videobeweis nachhaltig im Frauenfußball zu implementieren - das war klar. Ich glaube, dass sieht auch die FIFA so. Trotzdem glaube ich, dass man, wenn man die Möglichkeit hat, Technologie zu nutzen, um ein faireres Spiel zu kreieren, es auch tun sollte.

Ballon d'Or 2014: Ex-FIFA-Präsident Blatter überreicht Kessler die Trophäe zur weltbesten SpielerinBild: picture-alliance/dpa/A. Liverani

Die DFB-Frauen sind zum zweiten Mal nach der Europameisterschaft bei einem großen Turnier im Viertelfinale ausgeschieden…

Natürlich will man immer, das Deutschland gewinnt. Natürlich wollen wir ins Finale und unsere Mädels da siegen sehen, aber es war trotz des Ausscheidens sehr viel Positives in der Mannschaft. Wir haben unglaublich talentierte Spielerinnen in diesem Kader. Wir hatten gerade mal drei Spielerinnen bei dem Spiel gegen Schweden in der Startelf, die international bei so einem Großturnier schon mal dabei waren. Das ist ein Prozess, die Mannschaft braucht Erfahrung, sie braucht auch diese Erlebnisse, um daraus stärker hervorzugehen. Wir haben so viel Talent in der Mannschaft, dass ich wirklich positiv gestimmt bin, was die Zukunft angeht. Während des Turniers hat man auch gesehen, welche Qualität in der Mannschaft steckt und welchen Teamgeist sie mitgebracht haben. Sie haben alles versucht. Deshalb sage ich: Ja, schade, dass es nur bis zum Viertelfinale gereicht hat. Trotzdem glaube ich, dass da viel ist, auf das man sich freuen kann.

Trotzdem wirkte es, als ob die deutschen Spielerinnen technisch, taktisch, athletisch und von der Spielintelligenz her mit den Topteams nicht mithalten konnten.

Technisch und taktisch fand ich die Mannschaft top vorbereitet und ich glaube auch, dass sie streckenweise schönen Fußball gespielt hat - das Führungstor im Viertelfinale gegen Schweden zum Beispiel war herausragend herausgespielt -, das bleibt in Erinnerung. Dass die Erfahrung in den entscheidenden Momenten fehlte, war für mich der größte Faktor. Außerdem fehlte die Zielstrebigkeit, im letzten Drittel mit Vollgas zum Tor zu gehen und das Ding dann über die Torlinie zu bringen. Das ist vielleicht noch etwas, wo wir effizienter hätten spielen können.

Almuth Schult hat gesagt, dass es ihrer Meinung nach viel zu wenig Charakterköpfe in der Mannschaft gebe. Kann das auch ein Grund sein für das frühe Ausscheiden?

Von außen hat das nicht so gewirkt. Ich finde, die Mannschaft hat als Team einen tollen Charakter gehabt. Trotzdem gebe ich Almuth dahingehend Recht, dass du in einem Team wirklich starke Charaktere, Typen brauchst, um Titel zu gewinnen - das ist das A und O und ein ganz entscheidender Faktor für jedes erfolgreiche Team.

Kessler im VfL Wolfsburg-Trikot: Torjubel nach dem Führungstor gegen den FC Barcelona in der Champions LeagueBild: picture-alliance/dpa/P. Steffen

In vielen anderen Ländern wird derzeit viel in den Frauenfußball investiert. Wie kommt es, dass Deutschland da nicht mehr vorne mitspielt ?

Ich glaube, dass auch beim DFB viel getan wird. Wir sind in Deutschland auf einem sehr hohen Niveau. Das ist auch immer eine Sache, wie man das öffentlich kommuniziert. Ich glaube, der DFB investiert auch. Dass andere Länder jetzt nachziehen und öffentlich kommunizieren, welche Pläne sie haben, wo sie hinwollen, ist großartig. Trotzdem kann man das nicht 1:1 vergleichen und sagen, in Spanien wird investiert und in Deutschland nicht.

Viele Spielerinnen nutzen die WM als Bühne, um sich zu äußern. Von den Deutschen kommt erstaunlich wenig.

Ich glaube, dass ist eine kulturelle und auch eine individuelle Frage. Jeder Mensch muss für sich entscheiden, wie laut, wie öffentlich, wie privat er sein möchte. Das ist nichts, wo ich jemandem reinreden wollen würde. Ich finde schon, dass auch deutsche Nationalspielerinnen dieser Tage ihre Meinung geäußert haben und auch in der Öffentlichkeit ganz klar für etwas stehen.

Im Finale fordert der Europameister den Weltmeister heraus, was erwarten Sie von dem Spiel?

Es wird ein spannendes Spiel. Die USA sind Favorit, sie haben bisher im Turnier eine großartiges Leistung gezeigt. Sie haben einen klaren Plan, sie erzielen in jedem Spiel in der ersten Viertelstunde ein Tor, was natürlich einen großen mentalen Effekt auf den Gegner hat. Sie sind alle technisch sehr versiert, physisch sehr stark, und es gibt eigentlich nichts an ihrem Spiel, das man kritisieren kann. Die Niederländerinnen sind aber auch nicht zu unterschätzen. Sie haben über die letzten Jahre einen großartigen Fußball gespielt und sind deshalb auch ein würdiger Finalgegner.

Nadine Keßler ist eine ehemalige Fußballerin, die 2014 zur besten Spielerin der Welt gewählt wurde. Die Mittelfeldspielerin wurde viermal Deutscher Meister, gewann dreimal die Champions League und holte mit der deutschen Nationalmannschaft 2013 den Europameistertitel. Seit Sommer 2016 ist die 31-Jährige UEFA-Botschafterin und Beraterin für die Entwicklung des Frauenfußballs. Während der Frauen-WM in Frankreich arbeitet Keßler für die FIFA in derselben Funktion.

Das Interview führte Sarah Wiertz

Sarah Wiertz Teamleiterin Sport Online
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