Neustart für NAFTA
16. August 2017Zum Auftakt der Neuverhandlung sagte der Vertreter von US-Präsident Donald Trump, dieser habe kein Interesse daran, das 23 Jahre alte Abkommen nur leicht anzupassen. Benötigt würden umfassende Änderungen, sagte der US-Handelsbeauftragte Robert Lighthizer. "Wir müssen sicherstellen, dass die riesigen Handelsüberschüsse nicht weiter bestehen." Kanadas Außenministerin Chrystia Freeland erklärte dagegen, die Handelsbilanz sei für ihr Land kein Maßstab für den Erfolg oder Misserfolg eines Abkommens. Mexikos Wirtschaftsminister Ildefonso Guajardo sagte, was funktioniert habe, müsse bewahrt werden.
Es ist die erste Überarbeitung seit dem Inkrafttreten im Januar 1994. Damals war das NAFTA-Abkommen eine der ersten multilateralen Vereinbarungen, in der sich Länder des reichen, industrialisierten Nordens, die USA und Kanada, mit einer weniger entwickelten Volkswirtschaft des Südens, dem Schwellenland Mexiko, über ihre Wirtschaftsbeziehungen verständigten.
Weil die Welt vor 23 Jahren völlig anders aussah als heute, muss ein NAFTA-Update her, meinen auch andere Experten. Denn das Internet, wie wir es heute kennen, und viele Jobs, die durch die Digitalisierung entstanden, gab es damals noch nicht. "Wenn Sie sich die vergangenen 20 Jahren in den USA und Kanada ansehen, gibt es eine Reihe von Themen, die von der amerikanischen und kanadischen Geschäftswelt angesprochen werden müssen", meint Daniel Ujczo, ein US-Anwalt, der sich auf internationales Handels- und Zollrecht spezialisiert hat.
"Die Ironie dieser Situation ist, dass ausgerechnet die gegen den Freihandel gerichtete Rhetorik des US-Präsidenten die Chance eröffnet hat, das Abkommen nachzujustieren. Jetzt heißt es, den Ball wie im American Football ein gute Strecke weiter nach vorn zu bringen oder im Fall unserer kanadischen Freunde, den Eishockey-Puck."
Fälliger Neustart
"Kanada war immer ganz vorne dabei, wenn es um eine NAFTA-Neuverhandlung ging", sagt Sarah Goldfeder, eine frühere US-Diplomatin, die in Kanada und in Mexiko im Einsatz war. "Mexiko war immer geschickt darin, stets neue Handelsvereinbarungen in der Mache zu haben, um sich neue Märkte zu erschließen. Doch obwohl beide Länder einen Neustart begrüßen, muss man befürchten, dass die Forderungen aus den USA so drakonisch sein werden, dass sie von den Kanadiern und Mexikanern in ihren eigenen Ländern nicht vermittelbar sind."
Der Einsatz ist hoch, denn die Länder sind untereinander jeweils ihre größten Handelspartner. "Der Handel mit den USA und Mexiko beträgt mehr als 25 Prozent des kanadischen Bruttoinlandsprodukts", sagt Laura Dawson, Direktorin des Kanada-Instituts an der halbstaatlichen Forschungseinrichtung Wilson Center in der US-Hauptstadt Washington. "Die Kanadier müssen mindestens den Status Quo des Abkommens behaupten."
2016 betrug der Austausch von Waren und Dienstleistungen zwischen den USA und Mexiko 579,9 Milliarden US-Dollar. Mexiko ist damit der drittgrößte Handelspartner der USA. Und weil in allen drei Ländern 2018 und 2019 Wahlen anstehen, will jeder bei seinen Wählern etwas Vorzeigbares aus diesen Verhandlungen mitbringen.
Die Interessen der USA
In ihren im Juli veröffentlichten Verhandlungszielen haben die USA festgelegt, dass ein neues NAFTA-Abkommen "Hürden für amerikanische Exporte abbauen" muss und "unfaire Subventionen, den Markt verzerrende Praktiken und belastende Restriktionen beim geistigen Eigentum" beseitigt werden müssen. "Es geht den USA vor allem um zwei große Themenblöcke", sagt Handelsexperte Edward Alden vom Washingtoner Politikinstitut Council on Foreign Relations (CFR). "Das alte Abkommen soll behutsam auf den neuesten Stand gebracht werden, denn die gesamte moderne digitale Wirtschaft ist im NAFTA-Regelwerk gar nicht enthalten."
Der andere "Verhandlungskorb", so Alden, wird erheblich schwerer durchzusetzen sein, weil er Trumps "America-First"-Forderungen enthält. Dabei geht es vor allem um den Hauptgrund für Trumps Forderung nach einer Neu-Verhandlung von NAFTA: das US-Handelsdefizit mit Mexiko.
Das Problem dabei sei, meint Walid Hejazi, der Wirtschaft an der Universität Toronto lehrt, dass Handelsabkommen nichts mit Handelsdefiziten zu tun haben. "Trump denkt irgendwie, dass er einen Deal vereinbaren kann, der Mexiko zwingt, amerikanische Exportgüter zu kaufen, während die USA nichts aus Mexiko importieren müssen. Doch so läuft Handel nicht ab."
Was will Kanada?
Kanada will vor allem seinen Zugang zum US-Markt behalten. Den Kanadiern geht es deshalb um Zölle und das Prozedere an den Grenzen, glauben Experten. "Wir mögen nun einmal den Status Quo", unterstreicht Mark Warner, ein kanadischer Anwalt für internationales Handels- und Kartellrecht. "Wir wollen alles, was wir jetzt schon haben, behalten. Und wir möchten einen besseren Zugang zum US-Markt, ohne dass irgendjemand einen Handelsstreit vom Zaun bricht."
Trumps Forderung nach einer Neuverhandlung von NAFTA kam für den kanadischen Premierminister wie gerufen, meint Sarah Goldfeder. "Justin Trudeau wurde nach der Unterzeichnung des transpazifischen Freihandelsabkommens TPP gewählt. Doch seine Anhänger waren alles andere als begeistert", sagt die frühere US-Diplomatin. "Trudeau brauchte einen Weg, um TPP herunterzuspielen. Als Trump aus dem TPP-Abkommen ausstieg und über eine Neuverhandlung von NAFTA sprach, kam das Trudeau gerade Recht."
Damit ist Trudeau aber noch lange nicht aus dem Schneider. "Das ist ein heißes Eisen für ihn", sagt Ian Lee von der Sprott School of Business an der Universität Carleton. "Die USA sind weltweit unser größter Handelspartner. Das übergeordnete Ziel ist, dass wir so viel garantierten Zugang zum US-Markt bekommen wie nur möglich. Alles andere sind Detailfragen."
Mexikos Interessen
"Mexiko geht mit dem Vorsatz in die Verhandlungen, dass sie NAFTA verteidigen müssen", meint Mireya Solís, Expertin für Außenpolitik am Brookings Institute. "Sie sind der festen Überzeugung, dass es bei einem trilateralen Abkommen bleiben muss."
"Natürlich hat es auch etwas Gutes für Mexiko, dass der Vertrag überarbeitet wird", glaubt Russell Green, der sich an der Rice University mit internationalen Wirtschaftsfragen beschäftigt. "Aber sie waren schließlich nicht die treibende Kraft für eine Überarbeitung. Und nachdem sich Trump so stark auf Mexiko eingeschossen hat, sind die Mexikaner in der Defensive."
Für den Wirtschaftswissenschaftler Walid Hejazi ist klar, dass die Auswirkungen auf Arbeitsplätze das zentrale Thema für Mexiko sein werden. "Falls Trump ein Verhandlungsergebnis erzwingt, das mexikanische Exporte einschränkt, wird das unmittelbare Auswirkungen auf Wohlstand und Arbeitsplätze in Mexiko haben." Das käme bei den Wählern beim Urnengang im Juli 2018 nicht gerade gut an. Die Regierungspartei will nicht so dastehen, als habe sie vor den US-Forderungen kapituliert, sagt Russel Green. "Sie könnten versuchen, die Verhandlungen so schnell wie möglich abzuschließen und darauf hoffen, dass entweder schnell Gras über die Sache wächst oder die Menschen mit dem Ergebnis sogar zufrieden sind," sagt der Experte von der Rice University.
Und doch kann alles, was verhandelt wird, meint US-Anwalt Daniel Ujczo, mit einer einzigen Twitter-Botschaft von Donald Trump auf den Kopf gestellt werden.