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Kunst

Nagel-Kunst: Günther Uecker zum 90. Geburtstag

Hans Joachim Hennig
12. März 2020

Er zählt zu den wichtigsten deutschen Künstlern der Gegenwart. Günther Uecker kennt die Welt. Und die Welt kennt ihn, weil seine Bildsprache als Maler und Objektkünstler universal ist. Sein Werkzeug ist der Hammer.

BG Günther Uecker
Bild: picture-alliance/dpa/F. Strauch

Nägel. Tausende handelsübliche Nägel. Alle einzeln auf ein mit Leinen bezogenes Holzbrett gehämmert. Manche grade, manche schräg, aber niemals komplett eingeschlagen. Jedes Jahr fertigt Günther Uecker mindestens eins dieser Nagelreliefs an. Seit mehr als einem halben Jahrhundert. Vor allem diese Nagelbilder sind es, die Günther Uecker so bekannt gemacht haben - in Deutschland und auch international.

Nicht nur in Leinwände hat Uecker die Metallstifte getrieben, sondern auch in Nähmaschinen, Stühle, Schallplattenspieler oder Konzertflügel. Kaum ein anderer Künstler hat sein Werk so sehr dem Handwerk und der einfachen, körperlichen Arbeit gewidmet wie Günther Uecker.

Er ist "Bildhauer" im wahrsten Sinne des Wortes. Er haut mit Wucht und Präzision Nägel in Bilder und Objekte und schafft dadurch Reliefs - er selbst nennt sie Nagelfelder - die erst im Spiel mit Licht und Schatten ihre volle Wirkung erzielen.

Lebensgeschichte: Krieg und Frieden

Günther Uecker wird am 13. März 1930 im Wendorf bei Schwerin geboren. Mit 15 Jahren, kurz vor Kriegsende, vernagelt er Fenster und Türen des Hauses mit Holzbrettern, um seine Mutter und seine Schwester vor der herannahenden russischen Armee zu beschützen. Von da an ziehen sich Nägel wie ein roter Faden durch das Schaffen des Künstlers.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bleibt er zunächst in der DDR und studiert von 1949 bis 1953 Malerei und Bildende Kunst in Wismar. 1955 flüchtet er nach West-Berlin und landet schließlich in Düsseldorf, wo er von 1955 bis 1957 an der Kunstakademie bei Professor Otto Pankok studiert.

Günther Uecker auf einer Kiesfläche (Künstlerfoto von Angelika Platen/1971, Düsseldorf)Bild: picture-alliance/akg-images/A. Platen

Während des Studiums lernt er die Künstler Heinz Mack und Otto Piene kennen. Deren Künstlergruppe ZERO schließt er sich 1961 an. Gemeinsam setzen sie programmatisch die Zeit auf Null - als "Stunde Null", eine Kunst, die von den Gräueln des Zweiten Weltkriegs unberührt ist und einen neuen Anfang in der Kunstgeschichte möglich macht.

Zeitlose Kunst, genagelt und gemalt

Die avantgardistische Künstlergruppe wirkt weit über Deutschland und über ihre Zeit hinaus. Mit dem neuen Jahrtausend stoßen die Ideen von ZERO wieder vermehrt auf Interesse in der aktuellen Kunstwelt: Seitdem findet eine Renaissance der Avantgarde-Gruppe statt. Seit 2004 gibt es regelmäßig auf der ganzen Welt große Zero-Retrospektiven.

Eine seiner frühen Nagelarbeiten: "TV" aus dem Jahr 1963Bild: picture-alliance/dpa/H. Kaiser

Der Martin-Gropius-Bau in Berlin widmete der Künstlergruppe ZERO im März 2015 eine große Ausstellung. 1966 ahnte niemand diesen zukünftigen Erfolg sogar im 21. Jahrhundert. ZERO löst sich kurz danach auf. Die Künstler widmen sich von nun an ihren eigenen Ideen.

In über 60 Ländern hat Günther Uecker mittlerweile ausgestellt, in vielen dieser Länder leistete er mit seiner abstrakten Kunst Pionierarbeit. 2012 stellte Uecker als erster westlicher Künstler nach der iranischen Revolution in Teheran aus. 2007 hatte er seine Objekte bereits in China gezeigt.

Die Ausstellung in Peking war ursprünglich für 1994 geplant gewesen. Uecker wurde damals von der chinesischen Regierung zu einer Ausstellung in Peking eingeladen und hatte dafür die Konzept-Arbeit "Brief an Peking" (s. Foto unten) angefertigt.

UN-Menschenrechtserklärung als Kunst: "Brief an Peking"Bild: DW/J. Hennig

Auf 19 großen, frei im Raum hängenden Leinentüchern stand die Menschenrechtserklärung der UN, zum Teil mit schwarzer Farbe überarbeitet und unkenntlich gemacht. Die Schau wurde daraufhin kurzfristig vom chinesischen Kulturministerium abgesagt. Das Volk sei noch nicht bereit für seine Kunst, so die Begründung damals. 18 Jahre später durfte er dann in China ausstellen.

Humanistische Künstlerideale

Der "Brief an Peking" ist nicht das einzige Werk, in dem sich Uecker konkret mit humanitären Missständen auseinandersetzt. Ein künstlerischer Appell gegen die Verletzung der Menschenrechte war auch die Arbeit "Verletzungsworte": Sie versammelte 60 Wörter, die von physischen und psychischen Wunden erzählen.

Seit 1993 wird das politische Kunstwerk weltweit ausgestellt. Begriffe wie "schlagen", "verachten" und "vergasen" hat Uecker dafür in die jeweilige Landessprache übersetzt, sorgsam als Wort aufgeschrieben und seinem Werk beigefügt.

Seine universale Kunst wird weltweit verstanden: "Spikes" (1972)Bild: picture-alliance/dpa/J. Büttner

Die Kunst von Günther Uecker wird auf der ganzen Welt und in den unterschiedlichsten Kulturen verstanden - und geschätzt. Auf die Frage, was sie so universal macht, hat Uecker seinen eigenen Erklärungsansatz: "Was man mir oft sagt, ist, dass der humane Charakter, der in meinem Werk erkennbar wird, die Menschen berührt." Vor allem aber ist sein Werk zeitlos geblieben und noch heute aktuell.

Wiedersehen mit einer wichtigen Arbeit

Am 6. Juni 1962 starb sein Künstlerkollege Yves Klein mit nur 34 Jahren an einem Herzinfarkt. Der französische Künstler war nicht nur ein Freund, sondern auch der Schwager von Günther Uecker. Nachdem er in Paris Totenwache für Yves Klein gehalten hatte, schuf er ein Nagelrelief für den Avantgardekünstler, der vor allem durch sein "Yves Klein-Blau" und seine monochromen Arbeiten berühmt geworden ist.

Ueckers Nagelfeld für seinen verstorbenen Künstler-Freund Yves KleinBild: DW/J. Hennig

Ueckers Hommage: eine weiße Leinwand, mit wenigen roten Farbpigmenten grundiert, in die sparsam Nägel gesetzt sind. Anders als seine sonstigen Reliefarbeiten ist es heller, hat weniger Nägel, die konzentriert in der Mitte gesetzt sind.

Erst 50 Jahre später, beim Aufbau der großen Uecker-Schau 2015 in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf, hat der Künstler diese Arbeit, die damals ein privater Sammler gekauft hatte, zum ersten Mal wiedergesehen. Ein Geschenk zu seinem damaligen 85. Geburtstag.

Uecker war stolz, dass sein Werk so zeitlos und aktuell geblieben ist: "Die Bilder haben von mir so weit Abstand genommen, dass ich sie unbefangen betrachten kann, wie der Besucher einer Ausstellung."

Uecker inmitten seiner Installation "Terrororchester" (Kunstsammlung NRW/2015)Bild: DW/J. Hennig

Tiefenbohrung durch ein vielschichtiges Werk

Am 13. März 2020 wird Günther Uecker 90 Jahre alt. Als Künstler, der seine Zeit geprägt hat, kann er sogar das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse der Bundesrepublik Deutschland sein eigen nennen. Der Stolz auf sein künstlerisches Werk, mit dem er nicht nur in Deutschland Kunstgeschichte geschrieben hat, erfüllt ihn noch heute.

Zum Glück für ihn kümmert sich jemand professionell darum, seinen künstlerischen Nachlass zu sichten. Für das Forschungsprojekt "Werksverzeichnis Günther Uecker" wurden alle seine Arbeiten und Schriften systematisch geordnet und erfasst. Der Künstler war über diese kunsthistorische "Tiefenbohrung" hoch erfreut. Sein letztes eigenes Werkverzeichnis stammte aus den 1980er Jahren - und ist längst veraltet.

Nicht nur Nagelbilder: Der schaffensfrohe Künstler Günther Uecker in seinem Düsseldorfer AtelierBild: picture-alliance/dpa/F. Strauch

Dies ist die aktualisierte Fassung eines früheren Artikels. 

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