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PolitikIsrael

Nahost-Krieg: Appelle aus Washington

29. Oktober 2023

Die US-Regierung sorgt sich um die Zivilisten im Gazastreifen. Auch die Entwicklung in Westjordanland wird kritisiert. Der Papst fordert eine Feuerpause.

Gaza.-Streifen Frauen stehen für Brot an
Warten auf Brot in Rafah im Süden des GazastreifensBild: Hatem Ali/AP Photo/picture alliance

Das Wichtigste in Kürze:

  • Biden betont Schutz von Zivilisten
  • USA und Frankreich kritisieren Gewalt durch Siedler
  • Israel steht mit Militäraktionen in Gaza "erst am Anfang"
  • Militär berichtet von 450 bombardierten Zielen
  • Rotes Kreuz verurteilt "unerträgliches Ausmaß" des Leids in Gaza
  • Tausende Palästinenser plündern UN-Hilfswerk-Lagerhäuser
  • Internet in Gaza funktioniert offenbar teilweise wieder

 

Israel müsse unschuldige Bewohner des Gazastreifens schützen, indem es zwischen militanten Hamas-Kämpfern und Zivilisten unterscheidet, warnte das Weiße Haus in Washington. Parallel versprach US-Präsident Joe Biden eine deutliche Aufstockung der Hilfe für das von der Terrororganisation Hamas beherrschte Palästinensergebiet.

Neben Bodeneinsätzen fliegt die israelische Armee weiter LuftangriffeBild: Yasser Qudih/REUTERS

In einem Telefonat mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu habe Biden die Notwendigkeit unterstrichen, die humanitäre Hilfe für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen sofort und in erheblichem Umfang zu verstärken, ließ das Weiße Haus verlauten: "Der Präsident bekräftigte, dass Israel jedes Recht und jede Verantwortung hat, seine Bürger vor dem Terrorismus zu schützen, und unterstrich die Notwendigkeit, dies in Übereinstimmung mit dem humanitären Völkerrecht zu tun, das dem Schutz der Zivilbevölkerung Vorrang einräumt."

Biden erörterte den Schutz der Zivilbevölkerung von Gaza auch in einem Telefongespräch mit dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi am Sonntag, in dem sich die beiden Staatsoberhäupter verpflichteten, "die Hilfe für den Gazastreifen ab heute und dann kontinuierlich zu beschleunigen und zu erhöhen", heißt es in einer Mitteilung des Weißen Hauses.

Fast drei Dutzend Lastwagen brachten am Sonntag Hilfsgüter in den Gazastreifen, womit die Lieferung der größte Hilfskonvoi seit Beginn der Gegenschläge Israels ist. Humanitäre Helfer erklärten jedoch, dass die Hilfe immer noch nicht ausreicht, um den Bedarf zu decken. Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen betonte, mindestens 40 ihrer Lastwagen müssten den Gazastreifen täglich erreichen, um die Ernährungsbedarf zu decken. Israelische Behörden kündigten am Sonntag an, bald mehr humanitäre Hilfe zu erlauben.

Kritik aus Washington und Paris an Gewalt durch Siedler

Aus den USA wächst der Druck auf den Verbündeten Israel in weiterer Hinsicht. Nach Auffassung der US-Regierung sollte Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu "extremistische Siedler" im Westjordanland bremsen und zur Rechenschaft ziehen. Der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, sagte im US-Fernsehen, es sei "völlig inakzeptabel", dass "extremistische Siedler Gewalt gegen unschuldige Menschen im Westjordanland" ausübten. Sullivan bezeichnete dies als "andauernde Herausforderung", es sei keine einmalige Angelegenheit. Der US-Präsident hatte sich schon am Mittwoch besorgt über "extremistische Siedler" im Westjordanland gezeigt und Gewalt gegen Palästinenser verurteilt. Derartige Angriffe seien, als würde man Öl ins Feuer gießen.

Das Westjordanland gehört zu den palästinensischen Gebieten, ist jedoch von Israel besetzt. Israelische Siedlungen im Westjordanland werden vom Internationalen Gerichtshof und von den Vereinten Nationen als völkerrechtlich illegal eingestuft. Dem UN-Menschenrechtsbüro zufolge steigt die Gewalt bewaffneter israelischer Siedler gegen Palästinenser.

Auch Frankreich verurteilte die Gewalt durch Siedler, die laut französischem Außenministerium in den vergangenen Tagen zum Tod mehrerer palästinensischer Zivilisten in Kusra und Al-Sawija geführt hat. Die Gewalttaten seien untragbar und müssten aufhören. "Frankreich ruft die israelischen Behörden dazu auf, unverzüglich Maßnahmen zu treffen, um die palästinensische Bevölkerung zu schützen", hieß es in einer Mitteilung von Sonntagabend.

Wie die "Times of Israel" berichtet, haben israelische Behörden einen bekannten jüdischen Siedler-Aktivisten aus Gründen der "staatlichen und öffentlichen Sicherheit" im Westjordanland festgenommen. Der Siedler-Aktivist soll demnach zunächst vier Monate in Administrativhaft kommen. Die umstrittene Administrativhaft wird in der Regel gegen palästinensische Terrorverdächtige in Israel ausgesprochen und bietet die Möglichkeit, Personen auch ohne Anklage auf unbestimmte Zeit festzuhalten. Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation Hamoked werden mehr als 1300 Menschen (Stand Oktober) unter Administrativhaft festgehalten, fast ausschließlich Palästinenser.

Netanjahu: "Zweite Phase hat begonnen"

Nachdem die israelischen Bodentruppen seit mehr als 24 Stunden im Gazastreifen operieren, hat der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu erklärt, dass die Kämpfe in dem Palästinensergebiet "lang und schwierig" würden. "Wir sind darauf vorbereitet", fügte Netanjahu auf einer Pressekonferenz nach einem Treffen mit Familien von Geiseln, die in Gaza festgehalten werden, hinzu.

Israels Premierminister Netanjahu hat die Palästinenser erneut dringend aufgefordert, den nördlichen Gazastreifen zu verlassenBild: Abir Sultan via REUTERS

Er sagte weiter, die von den israelischen Truppen im Gazastreifen eingeleitete Bodenoperation sei die "zweite Phase" im Krieg gegen die militant-islamistische Hamas. Dessen Ziele seien, das militärische Potenzial und die Führungsstrukturen der Hamas zu zerstören und die Geiseln nach Hause zu bringen. Der Sieg über die Hamas sei eine "existenzielle Prüfung" für Israel. Netanjahu rief die Zivilbevölkerung des Gazastreifens auf, sich in sichere Gebiete zu begeben.

Außerdem beschuldigte Netanjahu die Hamas, Krankenhäuser als Kommandozentralen zu nutzen, und erklärte, das Militärbudget der Islamisten stamme zu "90 Prozent" aus dem Iran. Die Hamas wird nicht nur von Israel, sondern auch von den USA, Deutschland und anderen Ländern als terroristische Organisation betrachtet.

Israels Militäreinsatz ist eine Reaktion auf Terrorangriffe der Hamas am 7. Oktober. Dabei wurden nach israelischen Angaben etwa 1400 Menschen von Hamas-Mitglieder getötet - die meisten Opfer waren Zivilisten. Mehr als 220 Menschen wurden aus Israel in den Gazastreifen verschleppt. 

Austausch von Geiseln und Gefangenen erwogen

Nach Angaben des Premierministers werden die Kontakte zur Freilassung der Geiseln auch während der Bodenoffensive fortgesetzt. Es würden alle Anstrengungen unternommen, um die mehr als 200 von der Hamas festgehaltenen Geiseln zu befreien. Netanjahu sagte, die Idee eines Austauschs von Geiseln gegen palästinensische Gefangene sei im israelischen Kriegskabinett diskutiert worden. Er lehnte es jedoch ab, nähere Einzelheiten zu nennen, da dies kontraproduktiv wäre. 

Hamas – die Organisation hinter den Angriffen auf Israel

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Im DW-Interview sagte der israelische Friedensaktivist und Autor Gershon Baskin, es gebe derzeit einige Herausforderungen dabei, die Geiseln über Verhandlungen freizubekommen. 2011 war Baskin unmittelbar an Verhandlungen mit der Hamas zur Freilassung eines israelischen Soldaten beteiligt.

Nach seiner Einschätzung gibt es derzeit anscheinend keine direkte Kommunikation mit dem militärischen Arm der in Gaza herrschenden islamistischen Terrormiliz. Erschwerend komme hinzu, dass nicht klar sei, ob die Hamas über alle Entführten entscheiden könne: "Wir wissen nicht, ob die Hamas alle Geiseln in ihrer Gewalt hat." Baskin zufolge haben unter anderem der Islamische Jihad und die Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) Geiseln verschleppt - beide Gruppierungen werden von der EU ebenfalls als Terrorgruppen eingestuft.

Armee: Mehr als 450 Ziele bombardiert

Israels Armee hat im Zuge der Ausweitung ihrer Kampfeinsätze im Gazastreifen erneut Hunderte Stellungen der terroristischen Hamas angegriffen. Wie das Militär auf Telegram bekanntgab, bombardierten Kampfflugzeuge am Samstag mehr als 450 Ziele, darunter Kommandozentralen, Beobachtungsposten und Abschussrampen für Panzerabwehrraketen. Im Zusammenwirken mit den eigenen Bodentruppen hätten die israelischen Kampfverbände Terrorzellen attackiert, die versucht hätten, Abwehrraketen abzufeuern. Zwei Soldaten seien im nördlichen Gazastreifen verwundet worden, hieß es weiter. 

Papst fordert Feuerpause

Papst Franziskus hat aus humanitären Gründen eine Feuerpause im Gazastreifen gefordert. "Stellt das Feuer ein, haltet ein, Brüder und Schwestern, der Krieg ist immer eine Niederlage, immer, immer!", rief das Oberhaupt der katholischen Kirche beim Mittagsgebet auf dem Petersplatz in Rom. Es müsse Raum für humanitäre Hilfslieferungen geben, betonte Franziskus. Zudem verlangte der Papst erneut die umgehende Freilassung der von der Hamas festgehaltenen Geiseln.

IKRK spricht von unerträglichem Leid

Die Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), Mirjana Spoljaric, hat die humanitäre Lage im Gazastreifen verurteilt und von einem "unerträglichen Ausmaß an menschlichem Leid" gesprochen. Die Menschen in dem belagerten Küstenstreifen schliefen entweder in Behelfsunterkünften oder unter freiem Himmel, mit wenig Nahrung und Wasser, so das IKRK.

"Dies ist ein katastrophales Versagen, das die Welt nicht tolerieren darf", sagte Spoljaric und fügte hinzu, es sei inakzeptabel, dass die Zivilbevölkerung im Gazastreifen "inmitten der massiven Bombardierungen keinen sicheren Ort hat, an den sie gehen kann". Angesichts dieses "dramatischen bewaffneten Konflikts" sei es "von entscheidender Bedeutung, dass alle Parteien das humanitäre Völkerrecht einhalten", so Spoljaric.

Gaza-Anwohner plündern UN-Lagerhallen

Tausende Menschen sind in mehrere Lagerhäuser und Verteilungszentren des Hilfswerks für die Palästinenser (UNRWA) in mittleren und südlichen Gebieten des Gazastreifens eingebrochen. Sie erbeuteten Weizenmehl und andere lebensnotwendige Dinge, darunter auch Hygieneartikel, wie das Hilfswerk in Rafah an der Grenze zu Ägypten mitteilte. In einem der Lagerhäuser in Deir al-Balah lagere das UNRWA Vorräte der humanitären Konvois aus Ägypten, hieß es weiter.

Thomas White, Direktor für UNRWA-Angelegenheiten im Gazastreifen, sagte, die zivile Ordnung drohe nach drei Wochen Krieg und einer strengen Belagerung des Gazastreifens zusammenzubrechen. Die Menschen seien verängstigt, frustriert und verzweifelt.

Nach Schätzungen der Vereinten Nationen (UN) sind innerhalb des Gazastreifens 1,4 Millionen Menschen vor der Gewalt geflüchtet. Fast 590.000 von ihnen seien in 150 UNRWA-Notunterkünften untergebracht.

Internet kommt offenbar langsam zurück

Die Internet-Beobachtungsstelle Netblocks teilte am frühen Sonntagmorgen mit, der Internetdienst im Gazastreifen werde langsam wiederhergestellt. Dies gehe aus den Echtzeitdaten des Netzes hervor. Die Internetverbindung war am Freitag in den meisten Teilen des Gebiets unterbrochen worden, als Israel seine Bombardements und Bodeneinsätze gegen die Hamas verstärkte.

Der israelische Kommunikationsminister Schlomo Karhi erklärte unterdessen, er wolle alles unternehmen, um den Einsatz des Satelliten-Kommunikationssystems Starlink im Gazastreifen zu verhindern. Grund sei, dass die Hamas das System für Terrorzwecke missbrauchen würde, schrieb Karhi auf der Online-Plattform X. "Darüber besteht kein Zweifel, wir wissen es, und Musk weiß es."

Der israelische Kommunikationsminister Shlomo Karhi (l.), hier im Gespräch mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (Archivfoto) Bild: Maya Alleruzzo/AP/picture alliance

Tech-Milliardär Elon Musk hatte zuvor angekündigt, er wolle mithilfe des Kommunikationssystems seiner Firma SpaceX dabei helfen, die unterbrochene Kommunikation zu international anerkannten Hilfsorganisationen im Gazastreifen wieder herzustellen. Weiter schrieb Karhi: "Vielleicht wäre Musk bereit, die Freilassung unserer entführten Babys, Söhne, Töchter, älteren Menschen als Bedingung für (den Einsatz von Starlink) zu nennen." Solange dies nicht geschehe, werde sein Ministerium "jegliche Verbindung mit Starlink kappen".

Blauhelmsoldat an der Grenze zwischen Israel und Libanon verletzt

Im Libanon ist inmitten militärischer Spannungen an der Grenze zu Israel ein Soldat der UN-Beobachtermission UNIFIL verletzt worden. Laut einer Mitteilung von UNIFIL ereignete sich der Zwischenfall bereits am Samstag. Die israelische Armee und die vom Iran unterstützte Hisbollah-Miliz im Libanon, die Verbindungen zur Hamas pflegt, liefern sich seit Beginn des Gaza-Konflikts vor drei Wochen zunehmend Schusswechsel. Wie UNIFIL mitteilte, ereignete sich der Vorfall bei einem Mörserbeschuss einer Basis im östlichen Teil des Grenzgebiets. Demnach wurde auch das UNIFIL-Hauptquartier nahe der libanesischen Küstenstadt Nakura durch eine Granate beschädigt, die im Inneren des Stützpunkts einschlug.

Die Hisbollah wird von den USA, Deutschland und mehreren sunnitischen arabischen Staaten als Terrororganisation eingestuft.

ww/dh/rm/wd/gri/mak/sti/se/ust/AR/hf (rtr, ap, afp, dpa, epd, DW, kna, Times of Israel, Hamoked)

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