Nahost: Frühgeburt-Babys nach Ägypten gebracht
20. November 2023
Das Wichtigste in Kürze:
- 28 Frühchen aus Gaza nach Ägypten verlegt
- Macron ruft zum Schutz von Zivilisten im Gazastreifen auf
- UN: Im Gazastreifen gibt es mehr als 1,7 Millionen Binnenflüchtlinge
- China unterstützt Zwei-Staaten-Lösung
- Ministerin schlägt Palästinenser-Umsiedlung vor
28 der evakuierten Frühgeborenen aus dem umkämpften Schifa-Krankenhaus in Gaza sind zur Behandlung nach Ägypten gekommen. Das berichtete der staatsnahe ägyptische Fernsehsender Al-Kahira News. Der Sender zeigte Babys in Brutkästen, die am Grenzübergang Rafah im Beisein von Ägyptens Gesundheitsminister Chalid Abdel Ghaffar an ägyptische Krankenwagen übergeben wurden. Der Palästinensische Rote Halbmond bestätigte den Transfer. Die Grenzbehörde auf palästinensischer Seite hatte zuvor erklärt, 31 Frühchen würden in ägyptische Krankenhäuser verlegt. Warum drei von ihnen vorerst offenbar nicht über die Grenze kamen, blieb zunächst unklar..
Die insgesamt 31 Frühgeborenen waren am Sonntag aus dem umkämpften Schifa-Krankenhaus in Gaza evakuiert und ins emiratische Al-Hilal-Krankenhaus im Süden des Gazastreifens gebracht worden. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge war keines von ihnen in Begleitung von Familienangehörigen, da das palästinensische Gesundheitsministerium die Verwandten nicht ausfindig machen konnte. Wegen des Mangels an Arzneimitteln kämpfen die Babys der WHO zufolge mit ernsthaften Infektionen, einige von ihnen befinden sich demnach in Lebensgefahr.
Macron beklagt zu hohe Zahl ziviler Opfer
Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu zum Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen aufgerufen. In einem Telefonat mit Netanjahu habe Macron beklagt, dass es bei dem israelischen Militäreinsatz in dem Palästinensergebiet "zu viele zivile Opfer" gebe, teilte der Elysée-Palast in Paris mit. Er habe den Premier an die Notwendigkeit erinnert, "zwischen Terroristen und der Bevölkerung zu unterscheiden". Macron bekräftigte in dem Gespräch auch seine Forderung nach einer "sofortigen humanitären" Kampfpause, die zu einem Waffenstillstand führen müsse.
Mit Blick auf die Lage im von Israel besetzten Westjordanland äußerte Macron seine "große Besorgnis über die zunehmende Gewalt gegen palästinensische Zivilisten". Er habe diese Angriffe auch in einem Telefonat mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas verurteilt, fügte der Elysée-Palast hinzu. Macron habe außerdem dazu aufgerufen, dass die "Palästinensische Autonomiebehörde und alle Länder der Region den von der Hamas am 7. Oktober in Israel verübten Terroranschlag unmissverständlich und mit größter Entschlossenheit verurteilen".
Hunderte Kämpfer der von der EU und den USA als Terrororganisation eingestuften Hamas hatten am 7. Oktober Israel überfallen und dort Gräueltaten überwiegend an Zivilisten verübt. Dabei wurden nach israelischen Angaben etwa 1200 Menschen getötet, etwa 240 wurden als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Als Reaktion auf den Überfall der Hamas begann Israel mit massiven Angriffen auf Ziele im Gazastreifen, zudem drangen Bodentruppen in das Palästinensergebiet ein. Nach Darstellung der Hamas, die sich nicht unabhängig überprüfen lassen, sollen seit Beginn der israelischen Angriffe vor rund sechs Wochen schon 13.000 Menschen im Gazastreifen ums Leben gekommen sein.
UN: Im Gazastreifen gibt es mehr als 1,7 Millionen Binnenflüchtlinge
Im Laufe des Sonntags sind nach UN-Angaben etwa 20.000 Menschen aus dem Norden des Gazastreifens Richtung Süden geflüchtet. Die Zahl beruht auf Schätzungen von UN-Beobachtern vor Ort, berichtete das UN-Nothilfebüro OCHA. Die meisten Menschen kamen demnach am Übergang zum südlichen Gazastreifen mit Eselskarren und Bussen sowie manche zu Fuß an. Die Menschen folgten dem Aufruf der israelischen Streitkräfte, die seit Wochen verlangen, dass Zivilisten die Stadt Gaza und den Nordteil des abgeriegelten Küstengebiets verlassen.
Nach Angaben des UN-Nothilfebüros sind im Gazastreifen inzwischen mehr als 1,7 Millionen Menschen Binnenflüchtlinge, also etwa drei Viertel der Bevölkerung. Rund 900.000 Menschen haben demnach in überfüllten Einrichtungen des UN-Hilfswerks für Palästinenser (UNRWA) Schutz gesucht. Israel zufolge gibt es im Süden in den für die Zivilbevölkerung ausgewiesenen Gebieten ausschließlich gezielte Angriffe auf Anführer der Hamas. Doch auch im Süden kommt es immer wieder zu Luftangriffen mit vielen Toten. Die Menschen leben dort unter prekären Umständen, Helfer sprechen von einer humanitären Katastrophe.
China unterstützt Zwei-Staaten-Lösung
China befürwortet nach den Worten von Außenminister Wang Yi die Forderung nach einer Zwei-Staaten-Lösung für den Gazastreifen "voll und ganz". Zudem müsse die internationale Gemeinschaft jetzt handeln und wirksame Maßnahmen ergreifen, um die humanitäre Katastrophe zu beenden, sagte er bei einem Treffen mit Spitzenvertretern der Palästinensischen Autonomiebehörde und vier muslimisch geprägten Ländern in Peking.
"Lassen Sie uns zusammenarbeiten, um die Situation im Gazastreifen schnell abzukühlen und den Frieden im Nahen Osten so schnell wie möglich wiederherzustellen", hieß es. Die Situation in dem von der radikalislamischen Hamas kontrollierten Palästinensergebiet betreffe "alle Länder der Welt". Peking sei "ein guter Freund und Bruder der arabischen und muslimischen Länder". Zugleich unterstrich Wang: "China steht in diesem Konflikt fest auf der Seite der Gerechtigkeit und Fairness."
Völkerrechtler verteidigt Israels Vorgehen
Matthias Herdegen, Direktor des Instituts für Völkerrecht der Universität Bonn, hat Israel gegen internationale Kritik in Schutz genommen. Trotz der vielen zivilen Opfer auf palästinensischer Seite sei das Vorgehen der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen juristisch gerechtfertigt, sagte Herdegen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Ein angegriffener Staat dürfe sich prinzipiell auch gegen einen Angreifer zur Wehr setzen, der Zivilisten als Schutzschilde benutze.
"Das Völkerrecht zwingt den Angegriffenen nicht dazu, seine Kampfhandlungen so zu beschränken, dass die Zahl der Opfer beim Angreifer nicht die Zahl der Getöteten im eigenen Land übersteigt", erläuterte Herdegen, der Lehrbücher zum Thema Völkerrecht verfasst hat. "Eine solche Schranke würde das Recht auf Selbstverteidigung gerade gegenüber solchen Konfliktparteien aushöhlen, die Opfer unter der eigenen Bevölkerung zum Mittel ihres Kampfes machen."
Herdegen warf im Gegenzug der militant-islamistischen Hamas gravierende Verstöße vor, indem sie Waffenlager unter Kliniken, Wohnhäusern und Schulen eingerichtete habe. "Schon in dieser Form der Vorbereitung auf einen Konflikt liegt ein eklatanter Verstoß gegen Regelungen des humanitärem Völkerrechts." Auch ein Krankenhaus verliere in diesem Fall seinen absoluten völkerrechtlichen Schutz.
Militär: Hamas-Geiseln waren zeitweise in Schifa-Klinik
Die israelische Armee hat Aufnahmen von Überwachungskameras veröffentlicht, die zeigen sollen, dass die Hamas am Tag ihres Großangriffs auf Israel Geiseln in das Al-Schifa-Krankenhaus in der Stadt Gaza gebracht hat. Die Videos seien ein Beleg dafür, dass die radikal-islamische Palästinenserorganisation das Klinikgelände "am Tag des Massakers als terroristische Infrastruktur nutzte", teilten das israelische Militär und die Geheimdienste in einer gemeinsamen Erklärung mit.
Die israelischen Streitkräfte hatten das größte Krankenhaus im Gazastreifen, unter dem sie eine Einsatzzentrale der Hamas vermuten, vergangene Woche gestürmt. Am Sonntag entdeckten die Soldaten nach israelischen Angaben einen 55 Meter langen "Terrortunnel" unter dem Krankenhaus sowie ein Waffenlager.
Ministerin schlägt Palästinenser-Umsiedlung vor
Die israelische Geheimdienstministerin Gila Gamliel hat die internationale Staatengemeinschaft dazu aufgerufen, eine "freiwillige Umsiedlung" der Palästinenser aus dem Gazastreifen in andere Länder zu fördern. Anstatt Geld für den Wiederaufbau des Küstengebiets oder das "gescheiterte" UN-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) bereitzustellen, "kann sich die internationale Gemeinschaft an den Kosten für die Umsiedlung beteiligen" und den Bewohnern des Gazastreifens helfen, "sich ein neues Leben in ihren neuen Gastländern aufzubauen", schrieb Gamliel in der Zeitung "Jerusalem Post".
Alle bisherigen Lösungsversuche seien gescheitert, erklärte die Politikerin der Likud-Partei von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu. Ihr Vorschlag könnte "eine Win-Win-Lösung sein: Ein Sieg für die Zivilisten Gazas, die ein besseres Leben wollen, und ein Sieg für Israel nach dieser verheerenden Katastrophe", meinte Gamliel.
wa/as/cwo/sth (dpa, afp, rtr, KNA)