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KonflikteNahost

Nahost aktuell: Großdemo gegen Antisemitismus in Paris

Veröffentlicht 12. November 2023Zuletzt aktualisiert 12. November 2023

In Frankreich gehen Zehntausende Menschen, darunter viele Politiker, gegen den zunehmenden Antisemitismus auf die Straßen. 800 Ausländer und Palästinenser mit Zweitpass sind aus Gaza ausgereist. Nachrichten im Überblick.

Frankreich Marsch gegen Antisemitismus in Paris
Der Marsch gegen den Antisemitismus in Paris Bild: Claudia Greco/REUTERS

Das Wichtigste in Kürze:

  • Zehntausende Bürger demonstrieren in Frankreich gegen Antisemitismus
  • 800 Ausländer und Palästinenser mit Zweitpass verlassen Gazastreifen
  • Zehn Israelis durch Beschuss aus dem Libanon verletzt
  • Hamas hat Kontrolle über Nord-Gaza verloren
  • Berichte über heftige Kämpfe in Krankenhaus-Nähe

 

Angesichts eines deutlichen Anstiegs antisemitischer Vorfälle in Frankreich haben zehntausende Menschen in Paris an einer Großkundgebung gegen Antisemitismus teilgenommen. Hinter einem großen Banner mit dem Motto "Für die Republik, gegen den Antisemitismus" setzte sich der "Große Marsch" vor der Nationalversammlung in Bewegung.

An der Spitze des Demonstrationszugs liefen Premierministerin Elisabeth Borne, die Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy und François Hollande, der Präsident der jüdischen Dachorganisation Crif, Yonathan Arfi, sowie die beiden Vorsitzenden von Nationalversammlung und Senat, Yaël Braun-Pivet und Gérard Larcher, die den "große Bürgermarsch" initiiert hatten. Nach Angaben der Regierung waren bei den landesweiten Demonstrationen mehr als 30 Minister präsent. Präsident Emmanuel Macron nahm an der Pariser Kundgebung nicht teil, versicherte aber im Vorfeld, "in Gedanken" dabei zu sein.

Bekannte Politiker marschieren an der Spitze der Demonstration in Paris Bild: Claudia Greco/REUTERS

Seit Beginn des Hamas-Israel-Krieges haben die französischen Behörden fast 1250 antisemitische Straftaten registriert, darunter neben Pöbeleien und Schmierereien auch Gewalttaten. Da in Frankreich sowohl die größte jüdische als auch die größte muslimische Gemeinde Europas lebt, ist die Sorge groß, dass die Gewalt in Nahost auf das Land übergreift. Mehr als 3000 Polizistinnen und Polizisten sollten allein in Paris für Sicherheit sorgen. Medienberichten zufolge fanden landesweit 70 ähnliche Veranstaltungen statt, darunter auch in Lyon und Nizza, wo jeweils bis zu 3000 Teilnehmer gezählt wurden.

An der Pariser Kundgebung nahm auch die rechtsgerichteten Partei Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen teil. Aus Protest gegen deren Beteiligung blieb die Linkspartei "La France insoumise" (LFI) der Demonstration fern und organisierte eine Kranzniederlegung am Vélodrome d'Hiver, die jedoch von jüdischen Demonstranten unterbrochen wurde, aus Protest gegen den gewählten Ort. In der ehemaligen Radsporthalle fand im Juli 1942 die größte Massenverhaftung von Jüdinnen und Juden in Frankreich statt. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober haben die Kontroversen um die politische Haltung der LFI zugenommen, die die Bezeichnung der Hamas als Terrororganisation ablehnt.

800 Ausländer und Palästinenser mit Zweitpass aus Gaza ausgereist

Erneut haben Hunderte Ausländer und Palästinenser mit zweitem Pass den Gazastreifen verlassen können. Mehr als 800 von ihnen hätten den Grenzübergang Rafah nach Ägypten überquert, sagte ein Sprecher des Kontrollpunkts auf palästinensischer Seite. Damit hätten seit Wiederöffnung der Grenze vor etwa anderthalb Wochen rund 2700 Ausländer und Palästinenser mit zweitem Pass das abgeriegelte Küstengebiet verlassen.

Ein Vertreter des Ägyptischen Roten Halbmonds erklärte zunächst nur, 500 von ihnen seien auf der ägyptischen Seite des Grenzübergangs angekommen. Die Mehrheit stamme aus Russland und der Ukraine. Zudem seien es Ägypter, die ursprünglich aus den Palästinensergebieten stammten. Der staatsnahe ägyptische Fernsehsender Al-Kahira News berichtet, die 500 Ausreisenden stammten aus rund 15 Ländern, darunter auch Deutschland, USA, China und Frankreich.

Weitere Ausländer überqueren die Grenze beim Übergang Rafah nach ÄgyptenBild: Russia Emergencies Ministry/ITAR-TASS/IMAGO

Aus Sicherheitskreisen in Ägypten verlautete zudem, auch mehrere verletzte Palästinenser seien aus dem Gazastreifen herausgekommen und würden in Ägypten medizinisch behandelt. Der Grenzübergang Rafah ist der einzige, der nicht unter israelischer Kontrolle steht.

280 Deutsche konnten Gaza verlassen

In den vergangenen Tagen konnten immer wieder Hunderte Ausländer und Palästinenser mit doppelter Staatsbürgerschaft über den Übergang Rafah aus Gaza in Richtung Ägypten ausreisen. Unter ihnen waren bislang auch insgesamt 280 Menschen mit deutschem Pass und Angehörige, wie das Auswärtige Amt im Kurzbotschaftendienst X mitteilte.

Zehn Israelis durch Beschuss aus dem Libanon verletzt

Der Norden Israels ist erneut aus dem Libanon beschossen worden. Die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah bekannte sich zu zwei Angriffen aus dem Nachbarland. Insgesamt wurde am Sonntag über mindestens fünf Angriffe berichtet. Dabei wurden nach Angaben israelischer Sanitäter mindestens zehn Menschen verletzt. Die Armee teilte mit, bei einem Angriff mit Mörsergranaten aus dem Libanon seien sieben israelische Soldaten leicht verletzt worden. Bei einer weiteren Attacke wurden drei Elektriker verletzt. Israelische Soldaten reagierten demnach mit Artilleriefeuer auf die Orte im Libanon, aus denen geschossen worden war.

Seit Beginn des Hamas-Israel-Kriegs am 7. Oktober kommt es an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon immer wieder zu Konfrontationen zwischen der israelischen Armee und der libanesischen Hisbollah-Miliz. Auf beiden Seiten gab es bereits Todesopfer. Zudem feuerten am Sonntag die Kassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der terroristischen Hamas, 15 Geschosse aus dem Libanon auf den Norden Israels. Vier davon fing die israelische Raketenabwehr ab, wie das Militär mitteilte. Der Rest sei in unbewohnten Gebieten eingeschlagen.

Eine UNIFIL-Patrouille in der libanesischen Ebene Khiyam (Archivbild)Bild: JOSEPH EID/AFP

Im Süden des Libanons wurde erneut ein Soldat der UN-Beobachtermission UNIFIL verwundet. Er sei von Schüssen getroffen worden und habe operiert werden müssen, teilte die Mission mit. Sein Zustand sei stabil. Woher die Schüsse im Ort Al-Kausa nahe der Demarkationslinie zwischen Israel und dem Libanon kamen, sei unklar. UNIFIL, die sogenannte Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon, gibt es seit 1978. Sie gilt als eine der ältesten aktiven UN-Beobachtermissionen.

Zweite Nasrallah-Rede

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hatte am Samstag in seiner zweiten Rede seit Ausbruch des Hamas-Israel-Kriegs mehr Unterstützung der islamischen Welt für die Palästinenser im Gazastreifen verlangt. "Können nicht 57 arabische und muslimische Länder den (ägyptischen) Grenzübergang Rafah öffnen?", sagte Nasrallah in Beirut. Die Hisbollah wird von Israel, Deutschland, den USA und mehreren sunnitischen arabischen Staaten als Terrororganisation geführt.

Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah während seiner Rede am Samstag Bild: Alaa Al-Marjani/REUTERS

Die Hisbollah gilt als weitaus mächtiger und stärker bewaffnet als die im Gazastreifen herrschende militant-islamistische Hamas. Ihr Einfluss reicht tief in den von Krisen gelähmten libanesischen Staat, wo die Gruppe auch im Parlament vertreten ist. Auch die Hamas wird von Israel, Deutschland, der EU, den USA und einigen arabischen Staaten als Terrororganisation gelistet. 

Israels Regierungschef warnt die Hisbollah vor weiteren Angriffen

"Macht nicht den Fehler, in den Krieg einzusteigen. Das wäre der Fehler eures Lebens", warnte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die libanesische Hisbollah-Miliz, die hauptsächlich vom schiitischen Iran finanziert wird. "Euer Einstieg in den Krieg wird das Schicksal des Libanons besiegeln", sagte Netanjahu am Samstagabend.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu (Archivfoto vom 29. Oktober) Bild: Abir Sultan via REUTERS

Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant wies darauf hin, an der Nordgrenze seines Landes hätten sich "die Provokationen in Aggression verwandelt". Der größte Teil der israelischen Luftwaffe sei nicht mehr mit dem palästinensischen Gazastreifen beschäftigt, die Flugzeugnasen seien nun nach Norden gerichtet. "Die Bürger des Libanons müssen wissen, dass, wenn (Hisbollah-Chef) Nasrallah einen Fehler begeht, das Schicksal Beiruts wie das Schicksal Gazas sein könnte."

Hamas hat keine Kontrolle mehr über Nord-Gaza

Nach Angaben Israels hat die Hamas die Kontrolle über den nördlichen Teil des Gazastreifens verloren. Ministerpräsident Netanjahu sagte, Hamas-Terroristen hätten "keinen sicheren Ort mehr, um sich zu verstecken". Auch das Militär hatte zuvor mitgeteilt, die Terrororganisation kontrolliere nicht mehr den Norden des Küstenstreifens. Nach Augenzeugenberichten stehen israelische Panzer auf zentralen Straßen der Stadt Gaza.

Netanjahu: Israel muss Kontrolle über Sicherheit in Gaza haben

In einer Diskussion im israelischen Fernsehen über die Zukunft des Gazastreifens hat Regierungschef Netanjahu eine Einbindung der Palästinensischen Autonomiebehörde ausgeschlossen. "Es wird dort etwas anderes geben müssen", sagte er auf die Frage, ob die Autonomiebehörde unter Führung von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas den Gazastreifen nach dem Krieg regieren könnte. Das Küstengebiet dürfe nicht unter Kontrolle einer Behörde stehen, "die ihre Kinder dazu erzieht, Israel zu hassen, Israelis zu töten und den Staat Israel auszulöschen", sagte Netanjahu. Zudem müsse Israel die Kontrolle über die Sicherheit in dem Küstengebiet haben.

2005 hatte sich Israel vollständig aus dem Gazastreifen zurückgezogen. US-Außenminister Antony Blinken hatte Ende Oktober angeregt, die Palästinensische Autonomiebehörde sollte langfristig wieder die Kontrolle über den Gazastreifen übernehmen.

Zugleich wies Netanjahu im TV darauf hin, es werde keine Waffenruhe geben, solange die von Terroristen entführten Geiseln nicht freigelassen würden. In der Küstenmetropole Tel Aviv und anderen israelischen Städten demonstrierten am Samstagabend Tausende Menschen für die Freilassung der 239 Menschen, die von der Hamas im Gazastreifen seit mehr als vier Wochen festgehalten werden.

Israel: Sorge um die jungen Soldaten an der Front

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Augenzeugen sprechen von schweren Gefechten um Krankenhäuser

Schwere Gefechte zwischen der israelischen Armee und der islamistischen Hamas sorgen laut Augenzeugen für chaotische Zustände in den Krankenhäusern im Norden des Gazastreifens. Sollten die Kämpfe nicht gestoppt oder zumindest die Patienten evakuiert werden, "werden diese Krankenhäuser zu Leichenhallen", erklärte die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen am Sonntag. Ein Chirurg, der für Ärzte ohne Grenzen im größten Krankenhaus, der Al-Schifa-Klinik, arbeitet, berichtete, es gebe kein Wasser, keinen Strom und keine Lebensmittel für die Patienten, unter ihnen dutzende Babys. Auf dem Krankenhausgelände suchten außerdem zahlreiche Zivilisten Zuflucht.

Das Krankenhaus sei "vollkommen umstellt", es gebe Bombardements in der Nähe, sagte der Direktor des Krankenhauses, Mohammed Abu Salmija. Das medizinische Team könne nicht arbeiten und dutzende Leichen könnten nicht fortgeschafft und beerdigt werden.

Patienten im Al-Schifa-Krankenhaus Bild: Khader Al Zanoun/AFP

Andere Augenzeugen in der Klinik berichteten der Nachrichtenagentur AFP am Telefon, es gebe ununterbrochen Schüsse, Luftangriffe und Artilleriefeuer in der Nähe des Krankenhauskomplexes.

Israel: Berichte über Krankenhaus-Angriffe sind Lügen

Die israelische Armee hat Berichte über Angriffe auf das Krankenhaus zurückgewiesen. "In den vergangenen Stunden wurden Falschinformationen verbreitet, wir würden das Al-Schifa-Krankenhaus umstellen und angreifen. Dies sind falsche Berichte", sagte Armeesprecher Daniel Hagari. "Die Hamas lügt über das, was in den Krankenhäusern passiert."

Der Armeesprecher betonte, es gebe weiterhin "eine festgelegte Passage, um das Krankenhaus zu betreten oder zu verlassen". Die Armee werde zudem die Evakuierung von Säuglingen aus der Klinik unterstützen. Ein weiteres Krankenhaus, die Rantisi-Kinderklinik, sei bereits evakuiert worden, nachdem "ein Terrorist", der dort tausend Menschen festgehalten habe, "ausgeschaltet" worden sei, sagte Hagari.

Unterdessen widersprach Richard Hecht, der internationale Sprecher der israelischen Streitkräfte, Berichten, wonach israelische Soldaten Menschen erschossen hätten, die versucht hätten, sich aus dem Al-Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt in Sicherheit zu bringen. Hecht sagte der Deutschen Welle: "Wir zielen nicht auf Zivilisten, wir zielen auf die Hamas. Jeder, der herauskommt und nicht die Absicht hat, jemandem zu schaden, wird von uns nicht ins Visier genommen." Der Sprecher fügte hinzu: "Leider haben wir gesehen, dass die Hamas auch auf Menschen zielt, die versuchen, in den Süden zu gelangen, und auf ihre eigenen Zivilisten."

Macron beklagt "Wiederaufleben eines ungezügelten Antisemitismus"

Vor der für diesen Sonntag geplanten Großkundgebung gegen Judenhass in Paris hat Präsident Emmanuel Macron eine Zunahme des Antisemitismus in Frankreich beklagt. In einem von der Zeitung "Le Parisien" veröffentlichten Brief an seine Landsleute verurteilt Macron das "unerträgliche Wiederaufleben eines ungezügelten Antisemitismus".

Emmanuel Macron ruft die Franzosen auf, sich gegen Antisemitismus zu wehren Bild: Ludovic Marin/REUTERS

"Ein Frankreich, in dem unsere jüdischen Mitbürger Angst haben, ist nicht Frankreich", schreibt Macron. "Ein Frankreich, in dem Franzosen aufgrund ihrer Religion oder Herkunft Angst haben, ist nicht Frankreich." Der Marsch gegen Antisemitismus in Paris solle zeigen, dass Frankreich geeint "hinter seinen Werten und seinem Universalismus" stehe.

Zu der Demonstration in der französischen Hauptstadt werden zehntausende Menschen erwartet. Seit dem beispiellosen Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober auf Israel und der daraufhin erfolgten Kriegserklärung Israels an die Terrororganisation im Gazastreifen haben die französischen Behörden fast 1250 antisemitische Straftaten registriert. Darunter sind Gewalttaten, Pöbeleien und Schmierereien.

se/sti/pg/kle/qu/MM (dpa, afp, rtr, kna) 

 

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