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KonflikteNahost

Israel geht von deutlich mehr Geiseln aus

Veröffentlicht 16. Oktober 2023Zuletzt aktualisiert 16. Oktober 2023

Israel berichtet nun von 199 Geiseln. Bundeskanzler Scholz will am Dienstag nach Israel reisen. Die israelische Armee wappnet sich gegen eine mögliche zweite Front an der Nordgrenze zum Libanon. Ein Überblick.

Blick auf zerstörte Gebäude
Wie viele Geiseln befinden sich noch in Gaza-Stadt?Bild: Mohammed Salem/REUTERS

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Mehr israelische Geiseln in Gaza als bisher bekannt
  • Scholz reist am Dienstag zu Solidaritätsbesuch nach Israel
  • Guterres: Naher Osten steht "am Rande des Abgrunds"
  • Erneute Aufforderung zur Flucht in den Süden
  • Israel evakuiert Orte an seiner Nordgrenze

 

Israel hat die Zahl der Geiselnahmen durch die terroristische Hamas deutlich angehoben. Die Armee spricht nun von 199 Menschen, die am Samstag vor einer Woche aus Israel in den Gazastreifen verschleppt wurden, zuvor war die Rede von 155. "Wir haben die Familien von 199 Geiseln informiert", sagte Militärsprecher Daniel Hagari vor Journalisten. Ob auch Ausländer in der neuen Schätzung berücksichtigt sind, blieb unklar.

Auf die Frage, wie sich die Tatsache, dass in dem Küstenstreifen so viele Geiseln festgehalten werden, auf die israelischen Angriffe dort auswirke, erwiderte der Armeesprecher: "Unsere Angriffsziele basieren auf Geheimdienstinformationen." Man wisse genau, was man dort angreife, nämlich Infrastruktur der dort herrschenden Hamas und ranghohe Mitglieder der Organisation. Die Hamas wird von Israel, Deutschland, den USA, der EU und einigen arabische Staaten als Terrororganisation eingestuft. 

Baerbock: Bisher kein direkter Kontakt zu deutschen Geiseln

Die Bundesregierung hat nach Aussage von Außenministerin Annalena Baerbock weiterhin "keinen direkten Kontakt" zu den im Gazastreifen festgehaltenen deutschen Geiseln. "Das war eines der Hauptthemen bei meinem Besuch in Israel und auch bei meinem Besuch danach in Ägypten", sagte die Grünen-Politikerin in der ARD-Sendung "Anne Will". Sie habe sich auch an den Emir von Katar gewandt, weil das Land ebenso wie die Türkei über Kanäle zur Hamas-Führung verfüge. Es solle deutlich gemacht werden, "dass es hier um deutsche Geiseln geht".

Baerbock sprach in Kairo unter anderen auch mit ihrem ägyptischen Kollegen Samih ShoukryBild: Ahmed Hasan/AFP

Scholz reist am Dienstag zu Solidaritätsbesuch nach Israel

Zehn Tage nach dem verheerenden Terrorangriff der islamistischen Hamas reist Bundeskanzler Olaf Scholz am Dienstag als erster Regierungschef nach Israel, um ein Zeichen der Solidarität zu setzen. Anschließend geht es weiter nach Ägypten, das einzige Nachbarland Israels, das auch an den Gaza-Streifen grenzt. Es wird erwartet, dass Scholz den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi treffen wird.

Bundeskanzler Olaf ScholzBild: Jens Krick/Flashpic/picture alliance

In den Gesprächen wird es unter anderem darum gehen, wie die rund 200 Geiseln der Hamas im Gaza-Streifen befreit werden können – darunter auch mehrere Deutsche. Zudem will Scholz seinen Beitrag dazu leisten, einen Flächenbrand in der Region zu verhindern. Auch konkrete Hilfsleistungen könnten eine Rolle spielen, etwa militärische Hilfe für die israelischen Streitkräfte und humanitäre Hilfe für die Menschen im Gaza-Streifen, die Israel zur Flucht nach Süden aufgerufen hat.

Zuletzt hatte der Kanzler - wie seine Vorgängerin Angela Merkel vor 15 Jahren - im Bundestag erklärt, die Sicherheit Israels sei deutsche Staatsräson. "In diesem Moment gibt es für Deutschland nur einen Platz: Den Platz an der Seite Israels. Das meinen wir, wenn wir sagen: Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson."

Bundesregierung: Bisher rund 3000 Deutsche aus Israel zurückgebracht

Nach dem Großangriff der radikalislamischen Hamas auf Israel sind bisher rund 3000 Deutsche im Rahmen unterschiedlicher Angebote von Seiten der Bundesregierung zurück nach Deutschland gebracht worden. Das teilte das Auswärtige Amt in Berlin mit. Zudem habe eine mutmaßlich ebenfalls vierstellige Zahl von Deutschen das Land eigenständig mit kommerziellen Flügen und Fähren verlassen. In der Zahl enthalten sind sowohl Sonderflüge der Lufthansa als auch Ausreisen über Jordanien in einem Buskonvoi, zudem Flüge in Transportmaschinen der Bundeswehr sowie weitere Angebote, etwa auf dem Seeweg nach Zypern.

Ein Lufthansa-Airbus bringt in einem Sonderflug Deutsche aus Israel nach München Bild: Lukas Barth/dpa/picture alliance

"Wer das Land verlassen wollte, konnte auch ausreisen", betonte der Sprecher. Es habe hier "nie einen Mangel an Kapazitäten" gegeben. Vielmehr seien angebotene Flüge oder Fährplätze in der Regel nicht ausgeschöpft worden. Auf der Krisenliste des Auswärtigen Amts für Israel befinden sich noch knapp 3000 Deutsche. Davon wollten die meisten aber wohl vorerst in dem Land bleiben. Das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium wiesen Kritik an der Organisation der Ausflugmöglichkeiten für Deutsche aus Israel und Berichte über mögliche Reibereien zwischen beiden Ressorts zurück. Die Zusammenarbeit der Ministerien sei stets eng und vertrauensvoll gewesen, betonten Sprecher beider Ressorts.

Guterres: Naher Osten steht "am Rande des Abgrunds"

UN-Generalsekretär António Guterres hat von der Hamas eine Freilassung aller Geiseln und von Israel die Zulassung von Hilfslieferungen in den Gazastreifen verlangt. Der Nahe Osten stehe "am Rande des Abgrunds", warnte Guterres. Dem Gazastreifen gingen "Wasser, Strom und andere lebenswichtige Güter aus". Die Vereinten Nationen verfügten über Vorräte an Nahrungsmitteln, Wasser, medizinischen Hilfsgütern und Treibstoff in Ägypten, Jordanien, im Westjordanland und in Israel, die "innerhalb weniger Stunden" verschickt werden könnten. Das UN-Personal müsse aber "in der Lage sein", diese Vorräte sicher und ohne Beeinträchtigung in den Gazastreifen zu bringen und in dem gesamten Palästinensergebiet zu verteilen.

Guterres rief zudem die Hamas auf, alle Geiseln "sofort" und "ohne Bedingungen" freizulassen. Jedes dieser beiden Ziele - die Freilassung der Geiseln und die Lieferung von Hilfsgütern - stehe für sich und dürfe nicht als "Verhandlungsmasse" missbraucht werden, betonte der UN-Generalsekretär. Er halte es für seine Pflicht, "in diesem dramatischen Moment", an dem "wir im Nahen Osten kurz vor dem Abgrund stehen", für beide Ziele zu kämpfen.

Erneute Aufforderung zur Flucht in den Süden des Gazastreifens

Die israelische Armee forderte erneut die Bevölkerung im Norden des Gazastreifens und der Stadt Gaza zur Flucht in den Süden des Küstengebietes auf. Armeesprecher Hagari bekräftigte, die Hamas hindere Menschen daran, sich wie von Israel angewiesen vom Norden in den Süden des Gazastreifens in Sicherheit zu begeben. "Leider missbraucht die Hamas ihre Bevölkerung als Schutzschilde, und es werden Zivilisten getötet", sagte Hagari.

Das UN-Hilfswerk für Palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) sieht sich allerdings nicht in der Lage, die zunehmende Anzahl von Flüchtlingen im Süden des Gazastreifens ausreichend zu versorgen. Von den etwa 600.000 Binnenvertriebenen befänden sich etwa fast 400.000 in UNRWA-Einrichtungen. "Das übersteigt bei weitem unsere Kapazitäten, auf sinnvolle Weise zu helfen", teilte das Hilfswerk am Sonntagabend mit.

Es mangele an Platz in den Unterkünften, Wasser und psychologischer Unterstützung. Eine unbekannte Zahl an Menschen befinde sich zudem noch in UNRWA-Schulen im Norden des Gazastreifens. Man sei nicht mehr in der Lage, ihnen zu helfen oder sie zu schützen.

Palästinenser: 1000 Verschüttete nach Bombardements im Gazastreifen

Bei den Gegenangriffen der israelischen Armee nach den Terrorattacken der islamistischen Hamas sind im Gazastreifen palästinensischen Angaben zufolge mehr als 1000 Menschen unter Trümmern verschüttet worden. Darunter seien Verletzte und Tote, teilte der Zivilschutz im Gazastreifen am Sonntag mit. Viele seien auch 24 Stunden nach Bombenangriffen noch lebend unter zerstörten Gebäuden geborgen worden.

Überreste eines palästinensischen Hauses, das bei israelischen Angriffen zerstört wurdeBild: Mohammed Fayq Abu Mostafa/REUTERS

Hunderte Terroristen waren am Samstag vor einer Woche im Auftrag der im Gazastreifen herrschenden Hamas über die Grenze nach Israel gekommen und hatten dort ein Massaker angerichtet. Israel greift seither Ziele im Gazastreifen an. Militante Palästinenser feuern immer wieder Raketen Richtung Israel.

Wann kommt die Bodenoffensive?

Eine Bodenoffensive der israelischen Armee im Gazastreifen ist nach Einschätzung des britischen Geheimdienstes frühestens im Laufe der Woche möglich. Die Vorbereitung einer solchen Maßnahme sei sehr komplex, sagte der Geheimdienstoffizier Frank Ledwidge im DW-Gespräch. Israel mobilisiere derzeit seine gesamten Streitkräfte. "Was Sie auf Ihren Bildschirmen sehen, ist nur ein Bruchteil dessen, was vor sich geht." Dazu gehöre auch, möglichst viele Zivilisten vom "Schlachtfeld zu entfernen", so Ledwidge. Er wies darauf hin, dass "die Israelis damit Probleme haben".

Vorbereitungen für die BodenoffensiveBild: Ilia Yefimovich/dpa/picture alliance

Vorbereitung auf eine mögliche zweite Front

Israel hat am Montag die Evakuierung von Ortschaften an der Grenze zum Libanon angekündigt. In einer gemeinsamen Mitteilung kündigten das Verteidigungsministerium und die Armee "die Umsetzung eines Evakuierungsplans" für Bewohner im Norden Israels an, die in einem zwei Kilometer breiten Streifen an der Grenze zum Libanon leben. Dies betreffe 28 Ortschaften. Seit dem Großangriff der Hamas auf Israel haben auch die Spannungen an der israelisch-libanesischen Grenze zugenommen. Die pro-iranische Hisbollah, die von Israel, Deutschland, den USA und einigen sunnitischen arabischen Staaten als Terrororganisation gelistet ist, hatte in den vergangenen Tagen immer wieder Angriffe auf Israel gestartet. 

Israels Botschafter: Palästinensische Bevölkerung muss von Hamas befreit werden 

Israels Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, hat das Vorgehen der israelischen Armee im Gazastreifen verteidigt. Er sagte im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF), es müsse "klar sein", "dass man die palästinensische Bevölkerung in Gaza von Hamas befreien muss". Den Schutz der Zivilbevölkerung im Gazastreifen könne Israel nicht garantieren, weil die Hamas die eigene Bevölkerung als Schutzschirm benutze, räumte Prosor ein. Dies habe die radikalislamische Palästinenserorganisation schon "jahrelang" getan.

Fassungslos zeigte sich der israelische Botschafter über Bilder aus Deutschland von Davidsternen an Häusern, in denen Juden wohnen. "Das kann man wirklich nicht fassen", Deutschland dürfe das nicht länger zulassen, sagte er.

Abbas distanziert sich von der Hamas

Mehr als eine Woche nach dem terroristischen Großangriff der Hamas auf Israel hat sich Palästinenserpräsident Mahmud Abbas von der im Gazastreifen herrschenden militanten islamistischen Gruppe distanziert. Die Politik und die Aktionen der Hamas "repräsentieren nicht das palästinensische Volk", sagte Abbas laut der amtlichen palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa. Die einzige legitime Vertretung der Palästinenser sei die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO).

Der bald 90 Jahre alte Mahmut Abbas ist amtierender Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde Bild: AFP via Getty Images

Bei einem Telefongespräch mit dem venezolanischen Präsidenten Nicolás Maduro betonte Abbas, er lehne die Tötung von Zivilisten auf beiden Seiten ab. Er forderte alle Beteiligten auf, Gefangene freizulassen. Abbas sprach sich demnach auch für einen friedlichen Widerstand aus, um die Besatzung Israels zu beenden. Die "israelische Aggression" gegen das palästinensische Volk müsse gestoppt werden, sagte er.

Palästinenserpräsident Abbas, der die Autonomiebehörde im Westjordanland leitet, ist zugleich Chef der Fatah-Fraktion innerhalb der PLO. Die Fatah und die Hamas - die größten Palästinenserorganisationen - waren in den vergangenen Jahren erbitterte Rivalen. Die radikalislamische Hamas vertrieb die Fatah 2007 in blutigen Machtkämpfen aus dem Gazastreifen. Abbas Einfluss gilt dort seitdem als gering.

Israel: Vatikan soll Hamas-Massaker klar verurteilen

Israel verlangt vom Vatikan eine eindeutige Verurteilung der Hamas-Massaker vom 7. Oktober. Das geht aus einer Stellungnahme des israelischen Außenministeriums im Netzwerk X, ehemals Twitter, hervor. Demnach sagte Außenminister Eli Cohen seinem vatikanischen Amtskollegen Paul Gallagher, sein Land erwarte vom Vatikan eine "klare und unzweideutige Verurteilung der mörderischen Terrorakte der Hamas-Terroristen, die Frauen, Kinder und alte Menschen allein deshalb umgebracht haben, weil sie Juden und Israelis waren". Es sei nicht hinnehmbar, dass der Vatikan eine Stellungnahme herausgebe, "die vor allem Sorge um die Zivilbevölkerung in Gaza enthält, während Israel 1300 Menschen zu Grabe trägt, die ermordet wurden". Israel sei eine Demokratie, die ihre Bürger vor der Hamas schützen wolle.

fab/se/as/rb/fw/kle/cw (AFP, AP, dpa, epd, KNA, rtr, DW)

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