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KonflikteIsrael

Israels Armee will Bodeneinsatz ausweiten

27. Oktober 2023

Das israelische Militär erklärt, größere "Bodenoperationen" im Gazastreifen stünden unmittelbar bevor. Die UN-Generalversammlung hat eine Resolution für eine "humanitäre Waffenruhe" verabschiedet. Unser Überblick.

Israel | Israeilisches Militär mit gepanzerten Fahrzeugen
Gepanzerte Fahrzeuge der israelischen Armee nahe der Grenze zum Gazastreifen (Archivbild)Bild: YURI CORTEZ/AFP

 

Das Wichtigste in Kürze:

  • Israels Armee kündigt Ausweitung der Bodenoffensive an
  • UN-Resolution für "humanitäre Waffenruhe“ in Gaza verabschiedet
  • Angriff im Gazastreifen zu Lande und aus der Luft
  • 57 UN-Mitarbeiter im Gazastreifen getötet
  • Israelische Armee: Zahl der Geiseln steigt auf 229

 

Die israelische Armee hat angekündigt, in der Nacht zu Samstag ihren Einsatz von Bodeneinheiten im Gazastreifen auszuweiten. Ein Militärsprecher rief die Bewohner von Gaza-Stadt erneut dazu auf, sich nach Süden zu begeben.

Die Führung der militant-islamistischen Hamas in Gaza erklärte, Israel habe die Kommunikation und den größten Teil des Internets im gesamten Gazastreifen gekappt. Die israelischen Angriffe seien "die heftigsten seit Beginn des Krieges" am 7. Oktober.

"Sofortige humanitäre Waffenruhe" gefordert

Die UN-Generalversammlung hat am späten Freitagabend mit überwältigender Mehrheit eine nicht bindende Resolution angenommen, in der eine "sofortige, dauerhafte und anhaltende humanitäre Waffenruhe" im Gazastreifen gefordert wird. Die Resolution wurde von arabischen Ländern eingebracht. Für die Resolution stimmten 120 Länder, 14 votierten dagegen, darunter Israel und die USA, 45 Staaten enthielten sich der Stimme, darunter auch Deutschland.

Ein kanadischer Änderungsantrag zur Resolution, der von den USA unterstützt wurde, scheiterte. Er erhielt nur 88 Stimmen und damit weniger als der erforderlichen Zweidrittelmehrheit. Der Änderungsantrag hätte eine Verurteilung der "terroristischen Angriffe der Hamas ... und der Geiselnahme" hinzugefügt. In dem Änderungsantrag wird die sofortige Freilassung der Geiseln gefordert.

"Gezielter Angriff"

Bereits in der Nacht zu Freitag hatten israelische Bodentruppen nach Militärangaben einen "gezielten Angriff" im Zentrum des Gazastreifens ausgeführt. Dieser sei von Kampfjets und Drohnen unterstützt worden. Der Vorstoß habe Einrichtungen der Hamas gegolten. Anschließend hätten die Soldaten das Palästinensergebiet wieder verlassen, ohne dass es Verletzte in den eigenen Reihe gegeben habe.

Ein israelischer Kampfjet vom Typ F-35 (Archivbild)Bild: Jack Guez/AFP/Getty Images

Parallel zum Einsatz am Boden seien Ziele der Hamas im Zentrum und "überall im Gazastreifen" bombardiert worden, hieß es weiter. Dabei seien Raketenabschussrampen und Kommandozentralen zerstört und Mitglieder der Hamas getötet worden.

Hunderte Hamas-Terroristen hatten vor drei Wochen israelische Grenzanlagen überwunden und Soldaten wie auch wehrlose Zivilisten getötet. Etliche Opfer wurden gefoltert. Hunderte Personen wurden in den Gazastreifen verschleppt. Die Hamas feuerte Tausende Raketen auf Israel ab.

Nach jüngsten Angaben des israelischen Militärs wurden bei der Attacke mehr als 1400 Menschen auf eigenem Gebiet getötet und über 220 Personen als Geiseln entführt. Bei darauf folgenden israelischen Angriffen wurden nach Zahlen der Hamas-Behörden mehr als 7000 Menschen im Gazastreifen getötet. Diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Die Hamas wird außer von Israel auch von den USA, der EU, Deutschland und weiteren Staaten als Terrororganisation eingestuft.

Ein israelische Aufklärungsdrohne vom Typ Elbit Hermes 450 fliegt nahe der Stadt Sderot entlang der Grenze zum GazastreifenBild: Jack Guez/AFP/Getty Images

Drohne trifft ägyptischen Ort Taba

Im ägyptischen Ort Taba ist nahe der Grenze zu Israel eine Drohne niedergegangen. Sechs Menschen seien verletzt worden, sagte ein Sprecher der ägyptischen Armee. Eine "anonyme gelenkte Drohne" sei Freitag früh in der Nähe des Krankenhauses von Taba niedergegangen. "Der Vorfall wird von einem Sonderausschuss der betroffenen Behörden untersucht", teilte der Sprecher mit.

Der staatsnahe ägyptische Fernsehsender Al-Kahira News hatte vorher dagegen von einer Rakete berichtet und eine mögliche Reaktion nicht ausgeschlossen. "Sobald die Verantwortlichen hinter dem Raketenangriff feststehen, stehen alle Optionen zur Verfügung, um damit umzugehen", berichtete der Sender unter Berufung auf einen Regierungsvertreter. Ägypten behalte sich das Recht vor, zu reagieren.

Israels Armee erklärte, die Drohne sei aus "einem Gebiet nahe dem Roten Meer" gekommen. Israelische Kampfjets seien schnell in die Gegend beordert worden, sagte Armeesprecher Daniel Hagari laut israelischen Medien. Israel werde mit Ägypten und den USA an einer "verstärkten Verteidigung gegen Bedrohungen aus einem Gebiet nahe dem Roten Meer" arbeiten. Der Verdacht richtete sich gegen die schiitischen Huthi-Rebellen im Jemen, die vom Süden der Arabischen Halbinsel mutmaßlich Ziele in Israel angriffen. Die Rebellen werden vom Iran unterstützt.

57 UN-Mitarbeiter im Gazastreifen getötet

Seit dem Beginn der israelischen Luftangriffe auf den Gazastreifen infolge des Terrorangriffs der Hamas auf Israel sind 57 Mitarbeiter des UN-Hilfswerks für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) getötet worden, wie UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini mitteilte. Er ergänzte, es sei eine "bedeutende und ununterbrochene" Hilfe für den Gazastreifen nötig.

UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini auf der Pressekonferenz in JerusalemBild: Mostafa Alkharouf/Anadolu/picture alliance

Rotkreuz-Ärzte im Gazastreifen angekommen

Erstmals seit Kriegsbeginn nach Angaben des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK) ist ein medizinisches Team der Organisation im Gazastreifen eingetroffen. Darunter seien auf Kriegsverletzungen spezialisierte Ärzte, teilte eine IKRK-Sprecherin mit. Insgesamt hätten zehn Helfer und sechs Lastwagen mit Hilfsgütern die Grenze von Ägypten aus bei Rafah überquert.

"Die humanitäre Katastrophe verschlimmert sich von Stunde zu Stunde", sagte der Regionaldirektor der Organisation, Fabrizio Carboni. "Ein sicherer und beständiger humanitärer Zugang ist dringend nötig", betonte er. Das Team der Hilfsorganisation sei nur "eine kleine Hilfe, aber nicht genug".

Fahrzeug des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz in Gaza-Stadt vor zwei WochenBild: Ashraf Amra/AA/picture alliance

Israelische Armee: Zahl der Geiseln steigt auf 229

Die Zahl der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln ist höher als bisher von Israel angenommen. Man habe bis Freitag die Familien von 229 Geiseln informiert, sagte der israelische Armeesprecher Daniel Hagari. Das sind fünf mehr als bislang bekannt. Es werde erwartet, dass die Zahl noch steigen könnte. Die vier von der Hamas bereits freigelassenen Geiseln sind nach Militärangaben bei der Zahl nicht mit eingerechnet. Nach israelischen Informationen sind unter den Geiseln Bürger von 25 Staaten, darunter auch Deutsche.

Fast drei Wochen nach dem Terrorangriff gibt es laut einer Regierungssprecherin noch immer rund 100 Vermisste, deren Schicksal ungeklärt ist. Wegen des schlimmen Zustands vieler Leichen ist auch die Identifikation noch nicht abgeschlossen.

Macron: "Undifferenziertes Bombardement"

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat angesichts der israelischen Angriffe auf Ziele im Gazastreifen von einem "undifferenzierten Bombardement" gesprochen. Frankreich erkenne den Willen und das Recht Israels vollständig an, gegen die Terroristen der Hamas zu kämpfen, und sei bereit, zu helfen. "Aber wir sind der Ansicht, dass die vollständige Blockade, das undifferenzierte Bombardement und erst recht die Aussicht auf eine massive Bodenoffensive nicht geeignet sind, die Zivilbevölkerung angemessen zu schützen", sagte Macron am Rande des EU-Gipfels in Brüssel. Er bitte darum, dass Israel sich die Zeit nehme, um weitere Schritte gut vorzubereiten.

Frankreichs Präsident Macron (ganz rechts) im Kreis weiterer Politiker am Donnerstag in Brüssel, darunter Bundeskanzler Scholz (vorne, links)Bild: European Union Council/Anadolu Agency/picture alliance

Der französische Präsident verlangte einen humanitären Waffenstillstand und kündigte eine Koalition mit mehreren europäischen Ländern an, um unter anderem einen humanitären Korridor auf See einrichten zu können.

EU-Gipfel einigt sich auf Erklärung zu Nahost

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union hatten sich in Brüssel nach langem Ringen auf eine Abschlusserklärung zum Krieg in Nahost geeinigt. Darin fordern sie Feuerpausen und geschützte Korridore für sichere Hilfslieferungen in den Gazastreifen. Die sich verschlechternde humanitäre Lage in Gaza gebe Anlass zu größter Besorgnis, heißt es in dem Dokument. Die Europäische Union werde eng mit ihren Partnern in der Region zusammenarbeiten, um die Zivilbevölkerung zu schützen, Hilfe zu leisten und den Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser, medizinischer Versorgung, Treibstoff und Unterkünften zu erleichtern. Es sei dabei sicherzustellen, dass diese Hilfe nicht von "terroristischen Organisationen" missbraucht werde.

Außerdem wird betont, man unterstütze Bemühungen für eine internationale Friedenskonferenz. "Zivilisten müssen immer und überall geschützt werden", sagte EU-Ratspräsident Charles Michel mit Blick auf die Lage im Gazastreifen.

"Israel lehnt einen humanitären Waffenstillstand derzeit ab", kommentierte ein Sprecher des israelischen Außenministeriums den EU-Beschluss. Dies gelte für "jegliche Art von geforderten Feuerpausen". Grundsätzlich erlaube Israel jedoch, "dass humanitäre Hilfe in den Gazastreifen gelangt, solange sie nicht in den Händen von Terroristen der Hamas landet".

USA fordern "humanitäre Feuerpause"

Die US-Regierung von Präsident Joe Biden hat sich ähnlich wie die EU geäußert. Wie der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates der Vereinigten Staaten, John Kirby, darlegte, befürworte man eine begrenzte humanitäre Feuerpause im Gaza-Krieg. "Dabei handelt es sich um örtlich begrenzte, zeitlich begrenzte, spezifische Pausen auf dem Schlachtfeld, damit humanitäre Hilfe zu den Bedürftigen gelangen kann oder die Menschen das Gebiet in relativer Sicherheit verlassen können", sagte Kirby in Washington.

John Kirby, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der Vereinigten Staaten von AmerikaBild: Brendan Smialowski/AFP/Getty Images

Man sei der Überzeugung, dass eine solche Feuerpause (Englisch: humanitarian pause) eine wertvolle Idee sei, der man nachgehen solle. Sie könne Stunden oder Tage dauern, so Kirby. Er sprach dabei nicht von einem humanitären Waffenstillstand (humanitarian ceasefire). Dieser wird etwa von den Vereinten Nationen gefordert und ist weitgehender. Israel lehnt solche Forderungen im Krieg gegen die Hamas bislang ab.

EU startet weitere Hilfsflüge

Zwei weitere Flüge mit Hilfslieferungen für den Gazastreifen sollen nach Angaben von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen noch an diesem Freitag starten. Für die kommenden Tage seien darüber hinaus weitere Flüge geplant, sagte sie auf dem EU-Gipfel in Brüssel. Zwei erste Transporte hätten bereits 56 Tonnen Hilfsgüter nach Ägypten gebracht, die in den Gazastreifen geliefert worden seien. "Das ist wichtig, aber es wird natürlich noch mehr benötigt", so von der Leyen.

Die EU-Kommission hatte vor knapp zwei Wochen eine Luftbrücke für Hilfsorganisationen im Gazastreifen angekündigt. Die Flugzeuge bringen etwa Medikamente nach Ägypten. Von dort sollen die Hilfsgüter weiter nach Gaza transportiert werden.

Hamas veröffentlicht Liste von mutmaßlichen Kriegstoten

Nach Zweifeln an den vom Gesundheitsministerium im Gazastreifen verbreiteten Opferzahlen hat die von der Hamas kontrollierte Behörde eine Liste veröffentlicht, die angeblich die Namen der Getöteten enthält. In dem 212 Seiten langen Dokument stehen auch Alter, Geschlecht und Personalausweisnummer der Palästinenser, die seit dem 7. Oktober getötet worden sein sollen. Es werden 7028 Namen genannt. Die Angaben der Behörde ließen sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.

Unter anderem die US-Regierung hatte die Opferzahlen zuvor in Frage gestellt. So sagte Präsident Biden, dass er kein Vertrauen in die vom Gesundheitsministerium veröffentlichten Zahlen habe.

USA schicken Truppen in den Nahen Osten

Aufgrund der zunehmenden Anzahl an Angriffen gegen US-Truppen schickt das Pentagon rund 900 zusätzliche Soldaten in den Nahen Osten. Diese sollen die Luftverteidigung verstärken und das US-Personal vor Angriffen durch mit dem Iran verbundene Gruppen schützen, teilt das Verteidigungsministerium mit.

Die US-Armee ist nach Angaben von Pentagon-Sprecher Patrick Ryder in der vergangenen Woche mindestens zwölf Mal im Irak und vier Mal in Syrien angegriffen worden. Ein weiterer Angriff im Irak sei am Donnerstag fehlgeschlagen.

Ägypten baut Feldlazarett an Gaza-Grenze

Ägypten lässt zur Behandlung palästinensischer Verletzter aus dem Gazastreifen nahe der gemeinsamen Grenze ein Feldlazarett errichten. Dieses werde hinter einem staatlichen Krankenhaus im Ort Scheich Suwaid gebaut, sagte ein ägyptischer Regierungsvertreter der Deutschen Presse-Agentur. Der Ort im Norden der Sinai-Halbinsel liegt etwa 15 Kilometer vom Grenzübergang Rafah entfernt.

Das Feldlazarett werde mindestens über 300 Betten verfügen, berichtete die Zeitung "Al-Masri Al-Jum" unter Berufung auf medizinische Kreise. Auch das Krankenhaus stehe für Verletzte zur Verfügung, erklärte Ortsvertreter Salih Abu Huli. Die Zahl der verfügbaren Betten nannte er nicht. "Das Krankenhaus Scheich Suwaid ist bereit, die Verwundeten zu empfangen, und ist mit allen medizinischen Geräten für akute und Notfall-Operationen ausgestattet." Es würden ärztliche Teams bereitstehen, wenn die Verletzten den Gazastreifen zur Behandlung in Ägypten verlassen dürften, erklärte er weiter.

Ägypten hatte 1979 als erstes arabisches Land einen Friedensvertrag mit Israel geschlossen. Im Konflikt mit den Palästinensern nahm Ägypten immer wieder eine wichtige Rolle als Vermittler ein. Die Regierung in Kairo hat zugleich Sorge, dass über den Grenzübergang Rafah große Ströme von Flüchtlingen nach Ägypten kommen könnten.

Hamas-Gespräche in Moskau

Diplomaten des russischen Außenministeriums haben in Moskau mit einer Delegation der Hamas über eine Freilassung der im Gazastreifen festgehaltenen ausländischen Geiseln gesprochen. Das teilte das Ministerium nach dem Treffen mit Musa Abu Marsuk mit, der demnach zur Führung der Hamas gehört.

Hamas-Funktionär Musa Abu Marsuk (Archivbild)Bild: Sefa Karacan/AA/picture alliance

Israel verurteilte das Treffen in Moskau. "Wir fordern die russische Regierung auf, die Hamas-Terroristen unverzüglich auszuweisen", teilte der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Lior Haiat, mit. Die hohen Hamas-Funktionäre hätten an ihren Händen das Blut von 1400 getöteten Israelis, "die abgeschlachtet, ermordet, hingerichtet und verbrannt wurden".

Das israelische Militär meldete unterdessen, dass bei einem Luftangriff der Armee im Gazastreifen der stellvertretende Geheimdienstchef der Hamas, Shadi Barud, getötet wurde. Er soll mit verantwortlich gewesen sein für die Planung des Angriffs auf Israel und das Massaker vom 7. Oktober.

jj/haz/ie/nob/sti/mak/ack (dpa, afp, rtr, ap)