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KonflikteNahost

Nahost: Deutschland versucht sich als ehrlicher Makler

16. November 2023

Die Rolle Deutschlands im Nahost-Konflikt ist durch das besondere Verhältnis zu Israel gekennzeichnet. Dennoch sucht Außenministerin Annalena Baerbock nach Hilfe für Gaza und Frieden zwischen Israel und Palästina.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock steigt am 10.11.2023 in ein Flugzeug nach Abu Dhabi
Außenministerin Annalena Baerbock betreibt intensive Pendeldiplomatie Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Die Gräben werden tiefer. So sieht es Annalena Baerbock. Die deutsche Außenministerin hat inzwischen ihre dritte Nahostmission seit Beginn des Konflikts hinter sich. Diese Reise hatte Baerbock nach Israel, ins palästinensische Westjordanland, in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Saudi-Arabien geführt. Ihre unmittelbaren Ziele: Hilfe für die notleidende Zivilbevölkerung im Gaza-Streifen und die Befreiung der Geiseln aus der Hand der radikalislamischen Hamas. Darüber hinaus will sie mithelfen, einen regionalen Flächenbrand zu vermeiden und - sehr langfristig - an einer möglichen Friedenslösung mitarbeiten.

Eine israelische Flagge im zerstörten Gaza: Nach dem Angriff der Hamas auf Israel geht die israelische Armee hart gegen die radikalen Islamisten vorBild: Leo Correa/AP/picture alliance

Es gehe für die deutsche Diplomatie darum, "auf alle Seiten einzuwirken, diesen Konflikt möglichst schnell zu Ende zu bringen. Und zwar so, dass die Sicherheit Israels gewährleistet ist und gleichzeitig eine Zukunftsperspektive für die Palästinenser entsteht". So fasst Hans-Jakob Schindler von der internationalen Organisation Counter Extremism Project die Aufgabe des Berliner Außenministeriums gegenüber der DW zusammen.

Baerbock legt sich mit beiden Seiten an

An der selbst erklärten deutschen "Staatsräson", für Israels Sicherheit einzustehen, lässt die Bundesregierung keinen Zweifel. Ursache des Krieges sei der "barbarische Angriff der Hamas" auf Israel, sagte Baerbock.

Andererseits verurteilte sie in Israel die zunehmende Gewalt durch radikale israelische Siedler im Westjordanland gegen Palästinenser und forderte im Gleichklang mit ihrem amerikanischen Amtskollegen Antony Blinken, es dürfe "keine Vertreibung aus Gaza, keine Besatzung oder territoriale Reduzierung von Gaza geben".

Deutschland erhöht zudem die humanitäre Hilfe für die palästinensischen Gebiete in diesem Jahr um weitere 38 Millionen Euro auf 160 Millionen Euro.

Baerbock in Ramallah im Westjordanland mit Mohammed Schtaje, dem Ministerpräsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde: mehr Geld aus DeutschlandBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Nicht jeder ihrer Gesprächspartner kann diesen Spagat nachvollziehen. Der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Schtaje hat sich bitter über Deutschland beklagt: "Israel mit Waffen zu unterstützen ermutigt es, seine Aggression gegen unser Volk in Gaza fortzusetzen." Anfang des Jahres hatten sich Deutschland und Israel über die Lieferung von drei weiteren deutschen U-Booten verständigt.

Selbst die Frage einer Feuerpause im Gaza-Streifen ist für die deutsche Diplomatie heikel. "Wenn die Waffen über einen längeren Zeitraum schweigen, dann nützt das nur den Hamas-Terroristen, die neue Kraft schöpfen können", sagte Michael Roth, Abgeordneter der Kanzler-Partei SPD und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags, kürzlich im ZDF-Morgenmagazin. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat Forderungen nach einer Waffenruhe wiederholt zurückgewiesen. Für ihn kommen allenfalls "humanitäre Pausen" infrage. Es sei wichtig, dass "Israel es schafft, die Hamas zu besiegen".

Katar beherbergt die Hamas-Führung

Wichtig waren bei Baerbocks Reisen auch die Treffen mit Vertretern arabischer Staaten wie Saudi-Arabien und Katar. Beide sind einflussreiche mögliche Vermittler, etwa wenn es um die Befreiung der Hamas-Geiseln geht. Für Katar gilt das besonders: Das Emirat beherbergt nicht nur die Hamas-Führung; es gehört auch zu den wichtigsten Finanziers der Hamas.

Bilder von israelischen Geiseln in der Hand der Hamas an einer Fassade in Tel AvivBild: Debbie Hill/UPI Photo/Newscom/picture alliance

"Insofern sollte es eigentlich keiner Aufforderung bedürfen, dass sich Katar im positiven Sinne für die Geiseln einsetzt", meint Nahost-Experte Schindler. Zugleich dürfe man Deutschlands Rolle nicht überschätzen: "Die Bundesregierung hat hier nur die Möglichkeit zu mahnen und zu bitten. Denn wir haben in diesem Konflikt als Land natürlich keine mit etwa den USA vergleichbaren Einflussmöglichkeiten."

Allerdings werden die USA in der Region als einseitig israelfreundlich wahrgenommen. Deutschland wiederum gilt als neutraler; das eröffnet Spielräume für die deutsche Außenpolitik.

Hamas-Unterstützer Erdogan kommt nach Deutschland

Dieser außenpolitische Spielraum könnte allerdings beim anstehenden Besuch des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan in Berlin an seine Grenzen geraten. Erdogan hat die Hamas-Angreifer als "Befreier" bezeichnet. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, RND: "Wer das Existenzrecht Israels nicht nur leugnet, sondern aktiv bekämpft, darf kein Partner für die deutsche Politik sein." Die Bundesregierung will aber den Dialog auch mit diesem schwierigen Partner aufrechterhalten.

Zumindest in Israel unvergessen ist auch der gemeinsame Auftritt von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Scholz im vergangenen Jahr in Berlin. Dabei warf Abbas Israel einen "Holocaust" an Palästinensern vor, während der Bundeskanzler mit versteinerter Miene danebenstand und schwieg. Erst später verurteilte er Abbas' Vergleich; aber da war der außenpolitische Schaden bereits angerichtet.

Peinlicher Auftritt im August 2022: Bundeskanzler Olaf Scholz (r.) schwieg zunächst, nachdem Palästinenserpräsident Mahmud Abbas Israel einen "Holocaust" an Palästinensern vorgeworfen hatteBild: Wolfgang Kumm/dpa/picture alliance

Was kommt nach einem Sieg über die Hamas?

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat angekündigt, sein Land werde nach dem Feldzug gegen die Hamas "für unbestimmte Zeit" für die Gesamtsicherheit im Gaza-Streifen verantwortlich sein. Seine weiteren Ziele hat er bisher nicht konkretisiert.

"Klar ist, dass für eine Übergangszeit im Gaza-Streifen eine neue Ordnung organisiert werden muss", sagt Hans-Jakob Schindler. Das könnten die UN übernehmen oder auch arabische Staaten. "Insofern muss man natürlich auch mit möglichst vielen Staaten in der arabischen Welt und am Golf reden, ob es hier Freiwillige gäbe, die den Gaza-Streifen übergangsweise sichern wollen und können."

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu will, dass Israel "für unbestimmte Zeit" für die Sicherheit des Gaza-Streifens verantwortlich istBild: Abir Sultan via REUTERS

Mittelfristig sollte nach Schindlers Ansicht wieder die Palästinensische Selbstverwaltungsbehörde die Kontrolle im Gaza-Streifen übernehmen, die 2007 von der Hamas aus der Region vertrieben wurde.

Fernziel Zweistaatenlösung

Und die fernere Zukunft? Auch wenn das bei ihren israelischen Gesprächspartnern im Moment völlig abwegig ist, nennt Baerbock - wie auch ihr US-Amtskollege Blinken - als Fernziel eine Zweistaatenlösung: Einen palästinensischen neben dem israelischen Staat, so wie es in den 90er Jahren bereits von beiden Seiten vereinbart worden war. Das sei "das einzige nachhaltige Modell, das dauerhaft Frieden und Sicherheit für Israelis und Palästinenser garantieren kann", sagte die deutsche Außenministerin in Tel Aviv. Doch dort will man davon erst einmal nichts hören.

"Es ist sicherlich klar", sagt Schindler, "dass die Zweistaatenlösung im Moment ein sehr entferntes, sehr vages Ziel darstellt". Aber, so fragt er rhetorisch: "Welche andere Lösung gibt es denn außer der Zweistaatenlösung?"

Israelischer Panzer im Gaza-Streifen auf einem von der israelischen Armee herausgegebenen Bild: Wer soll den Gaza-Streifen in Zukunft verwalten? Bild: Israel Defense Forces/AP/picture alliance

Die Fortsetzung des Status quo ohne die Hamas, wie sie Netanjahu möglicherweise vorschwebt, sei jedenfalls "keine nachhaltige Lösung", meint Schindler. Der Status quo sei bereits vor dem Hamas-Angriff auf Israel "sehr fragil" gewesen. Mit der Zerstörung der Terrorismus-Infrastruktur würde die Hamas zwar geschwächt, ihre Ideologie aber könne überleben. Insofern sieht Nahostexperte Schindler keine andere Möglichkeit, als weiter auf die Zweistaatenlösung hinzuarbeiten. Auch Deutschland solle das tun.

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