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Politik

Medienkrieg um Khashoggi

Kersten Knipp | Mehyeddin Hussein
22. Oktober 2018

Im Nahen Osten ist ein Kampf um die Deutungshoheit im Fall Khashoggi entbrannt. Vor allem katarische und saudische Medien deuten das Geschehen unterschiedlich. Der Fall zeigt: Pressefreiheit existiert in der Region kaum.

Washington Protest Vermisster Journalist Khashoggi
Bild: picture-alliance/dpa/J. Martin

Ernst schauen sie in die Kamera, der Vater verhaltener als der Sohn, beide in schwarzem Umhang vor schwarzem Hintergrund. "Der Diener der beiden heiligen Stätten und der Kronprinz kondolieren der Familie von Jamal Khashoggi" ist der Artikel in der saudischen Zeitung Al-Riad überschrieben. Der König und der Prinz hätten mit dem Sohn des Verstorbenen telefoniert, heißt es in dem Artikel, und dieser habe sich für das Beileid "aufrichtig" bedankt.

Die Schadensbegrenzung im mutmaßlichen Mordfall Jamal Khashoggi läuft medial auf Hochtouren. Die Beileidsadressen der Staatsspitze an die Familie des Opfers ist zentraler Bestandteil der nationalen Kampagne, flankiert von zahlreichen Kommentaren, allesamt defensiver Art.

Den Sicherheitsdiensten sei ein Fehler unterlaufen, heißt es in Al-Riad. Diesen wolle man weder entschuldigen noch rechtfertigen. "Wir wollen aber darauf hinweisen, dass unsere kluge Führung hinreichend Mut und Willen zur Transparenz bewiesen hat, indem sie die Details des Geschehens bekanntgab, noch bevor die türkischen Behörden ihre offizielle Erklärung abgeben." Nun werde der Fall vor ein saudisches Gericht gebracht. Mit den Angeklagten würden dem Gesetz entsprechend umgegangen.

Saudi-Arabien und seine "Feinde"

Dieser werde dem gewaltigen Medienaufruhr ein Ende setzen, gibt sich "Al Riad" überzeugt. Man habe von Anfang an gewusst, dass die "vielen Feinde" des Königreichs den Fall Khashoggi als "Geschenk des Himmels" sehen würden. "Sie werden nicht aufhören, zu schreien und zu jammern, solange ihnen jemand zuhört." Das sei ihre Agenda, und darum komme es nun auf eines an: der internationalen Öffentlichkeit die Wahrheit zu präsentieren - zumindest jenen, die sie hören wollten.

Screenshot der Website der saudischen Zeitung "Al-Riad"Bild: alriyadh.com

Beiträge wie der in "Al-Riad" seien typisch für die saudische Presselandschaft, sagt Günter Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz. "Auf diese Weise nimmt man Mohammed bin Salman aus dem medialen Feuer. Man präsentiert angebliche Schuldige; Mohammed bin Salman hingegen gibt durch das Kondolenzbuch zu verstehen, dass er mit dem Fall überhaupt nichts zu tun habe. Das ist die mediale Standardposition in Saudi-Arabien", so Meyer im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Vorwürfe aus Katar

Jenseits der saudischen Grenze, im kleinen Emirat Katar, herrscht ein ganz anderer Ton. In der zum Umfeld des Senders "Al-Jazeera" gehörenden Zeitung "Al araby al-jadeed" werden schwere Vorwürfe gegen den Kronprinz und sein Umfeld erhoben. Durch das Geständnis, Khashoggi sei im Konsulat gestorben, versuche Saudi-Arabien sein Gesicht zu wahren, heißt es in der Zeitung. "Damit aber scheitert die Regierung komplett. Denn sie kann nicht verbergen, dass Kronprinz Salman und seine Entourage entschieden haben, jede abweichende Stimme zum Schweigen zu bringen, sei es durch Entführung, Verhaftung, Zerstückelung oder Mord." Für diese Entwicklung macht "Al araby al-jadeed" auch US-Präsident Trump und dessen Schwiegersohn Jared Kushner verantwortlich. Beide hätten sich gerühmt, mit Kronprinz Bin Salman "ihren" Mann in Riad installiert zu haben. "Nun regiert in Saudi-Arabien unter Prinz Salman eine Gruppe von jungen Männern, die alles tun, um ihre Gegner zum Schweigen zu bringen."

Im Zentrum des Medienstreits: Mordopfer Khashoggi Bild: picture-alliance/AA/O. Shagaleh

Die von Katar finanzierten Medien, besonders der in der arabischen Welt viel gesehene TV-Sender Al-Jazeera, ließen an ihrer Position keinen Zweifel, so Günter Meyer. "Da steht diese Affäre in allen News an erster Stelle. Ausführlich wird  auch die Kritik von westlicher Seite dargelegt, mit besonderer Berücksichtigung der Diskussion in den USA. Trump hält sich zwar zurück, aber die Mitglieder des Senats und des Repräsentantenhauses üben massiven Druck auf den Präsidenten aus. Diese Stimmen kommen wie die türkischen immer wieder zu Wort."

Keine Pressefreiheit in der arabischen Welt

Die Marschrichtungen der Medien beider Seiten belegten vor allem eines, sagt Meyer: "Es gibt in einem erheblichen Teil der arabischen Staaten keine Pressefreiheit mehr." Die Medien, die gegen die besonders autoritären Herrscher argumentierten oder deren Verhalten kritisierten, existierten nicht mehr. "Wenn das jemand wagt, wird er für lange Zeit im Gefängnis sitzen, sofern er sich nicht rechtzeitig ins Ausland absetzen konnte. Von freier Presse kann in diesen Ländern keine Rede sein." Die Medien hätten vor allem eine Aufgabe: "Sie haben das Vorgehen des jeweiligen Herrscherhauses zu bejubeln und zu rechtfertigen."

Seit Wochen wetteifern die arabischen Medien um die Deutungshoheit im Fall Khashoggi. Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht die Frage nach der Schuld oder Unschuld von Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS). Beide Lager trennt eine eherne Grenze: Medien, die MbS - mindestens - eine Mitwisserschaft vorwerfen, gehören ausnahmslos zum Lager solcher Länder, die ein eher angespanntes Verhältnis zu Saudi-Arabien haben. Umgekehrt zählen die, die den Kronprinzen in Schutz nehmen, zu Ländern, deren Regierungen gute Beziehungen zu Riad haben.

Auf allen Kanälen gegen Saudi-Arabien: der katarische Nachrichtensender Al-JazeeraBild: Al Jazeera Media Network

Vorwurf: Unaufrichtigkeit auf beiden Seiten

Der Medienfachmann Hafez al-Mirazi, der sowohl bei dem Katar verbundenen Sender Al-Jazeera wie auch bei dem den Saudis nahestehenden Konkurrenten "Al Arabiya" gearbeitet hat, geht in der Debatte um den Fall Khashoggi zu beiden Seiten auf Distanz. "Al-Jazeera ist in der Berichterstattung nicht aufrichtig, weil es seine politischen Motive nicht aufdeckt. Umgekehrt verschleiert Al-Arabiya seinen Zuschauern die Wahrheit", so Al-Mirazi  im DW-Interview.

Ähnlich sieht es Nashat al-Akkash, Medienwissenschaftler an der Universität Bir Zeit in Ramallah. Al-Jazeera berichte über den Fall Khashoggi nicht um seiner selbst willen, sondern weil der Sender "politische Rechnungen" mit Saudi-Arabien zu begleichen habe. Das aber stehe der Objektivität in diesem Fall nicht entgegen. Die Berichterstattung des katarischen Senders sei verlässlicher als die seiner Konkurrenten aus Saudi-Arabien, so Al-Akkash im DW-Interview.

Insgesamt, so Günter Meyer, folgten sowohl die saudischen wie die katarischen Zeitungen dem jeweiligen Regierungskurs. "Einige der Zeitungen mögen ihren Sitz in London haben. Aber auf ihren politischen Kurs hat das keinen Einfluss. Entscheidend ist die Frage, von wem die Zeitungen jeweils finanziert werden. Auch in London folgen diese Tageszeitungen der Order aus Riad oder aus Doha."

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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