Impeachment-Ikone wider Willen?
28. September 2019Nancy Pelosi ließ keinen Zweifel daran, dass es sich um einen historischen Moment handelte, als sie an diesem Dienstag im Kapitol vor die Kameras trat. Es gehe um nichts Geringeres, als "die Republik zu erhalten", wie es Benjamin Franklin, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, einst ausgedrückt hatte. "Die Handlungen des Präsidenten haben ernsthaft gegen die Verfassung verstoßen", erklärte die Frontfrau der US-Demokraten im Kongress. Trump habe im Rahmen der Ukraine-Affäre seinen Amtseid, die nationale Sicherheit und die Integrität der US-Wahlen verraten. "Niemand steht über dem Gesetz", so Pelosi. Deshalb würden die Demokraten eine Voruntersuchung für ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump einleiten.
Hintergrund ist der Verdacht, Trump habe in einem Telefonat mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj die Freigabe von Hilfsgeldern von der Lieferung von belastendem Material über den Sohn des demokratischen Präsidentschaftsbewerbers Joe Biden abhängig gemacht. In der am Donnerstag veröffentlichten Beschwerde eines Geheimdienstmitarbeiters sind weitere brisante Vorwürfe zu lesen. Demnach sollen Mitarbeiter des Weißen Hauses versucht haben, die wörtliche Mitschrift des Gesprächs unter Verschluss zu halten. Trumps Privatanwalt Rudi Giuliani schreibt der Bericht eine "zentrale Rolle" in der Affäre zu. Auch Justizminister William Barr soll an dem mutmaßlichen Amtsmissbrauch beteiligt gewesen sein.
Bedenkenträgerin statt Getriebene
All das reicht Nancy Pelosi, um Vorbereitungen zu einem möglichen sogenannten Impeachment-Verfahren einzuleiten - "endlich", werden sich einige ihrer Parteifreunde gedacht haben. Denn die mächtigste Frau in Washington stand Forderungen aus den eigenen Reihen nach einer solchen Untersuchung monatelang skeptisch gegenüber.
Während einige Demokraten vor dem Hintergrund des Berichts von Sonderermittler Robert Mueller, in dem es unter anderem um eine mögliche Justizbehinderung durch Trump ging, auf ein Amtsenthebungsverfahren drängten, verwies Pelosi immer wieder auf die Risiken eines solchen Unterfangens - auch mit Blick auf die Präsidentschaftswahl 2020. So sei sie besorgt gewesen über Umfragen, in denen nur eine Minderheit der Wähler eine Amtsenthebung Trumps befürwortete, und habe sich noch gut an das gescheiterte Verfahren gegen Bill Clinton erinnern können, aus der dieser gestärkt hervorging, schrieb der Journalist David Remnick im US-Magazin "The New Yorker".
"Ich glaube, sie ist immer noch skeptisch"
Pelosi selbst begründete ihren Kurswechsel Remnick gegenüber so: "Die Leute sagen, du hast deine Meinung geändert. Ich habe meine Meinung nicht geändert. Die Fakten haben die Situation verändert."
Tatsächlich könnte auch der Stimmungsumschwung in der eigenen Partei Pelosi überzeugt haben. Am Montag sprachen sich sieben Demokraten, die bisher Impeachment-Bestreben abgelehnt hatten, in der "Washington Post" für entsprechende Schritte aus, sollte es dafür eine rechtliche Grundlage geben. Am Dienstag plädierte der angesehene Demokrat John Lewis im Kongress für die Voruntersuchung.
"Es gab diese Kaskade von prominenten Mitgliedern der Fraktion, die sich dafür ausgesprochen haben, und dann war sie eher zu dem Schritt gezwungen - und ich glaube, sie ist immer noch skeptisch", sagt Sascha Lohmann, Amerika-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Pelosis Ankündigung habe "verfassungsrechtlich bisher noch nichts geändert, es war ja eher ein politisches Statement. Sie hatte in diesem Fall nichts in der Schublade und hat sich dennoch aufgemacht. Auch das spricht für die These, dass sie keine Wahl hatte."
Späte, aber steile Politik-Karriere
Dabei ist Pelosi immer wieder als lautstarke und furchtlose Gegenspielerin des Präsidenten aufgetreten. Ihre Macht als Haus-Sprecherin weiß sie zu nutzen: Im Januar gelang es ihr, Trump zu einer vorläufigen Lösung im Regierungs-Shutdown zu zwingen, nachdem sie seine Rede zur Lage der Nation verschoben hatte.
Pelosi schrieb Geschichte, als sie von 2007 bis 2011 als erste Frau die Führung des Repräsentantenhauses übernahm. 2019 gelang ihr ein weiterer Coup: Sie eroberte das Amt zurück - eine solche Konstellation hatte es zuletzt vor mehr als 50 Jahren gegeben.
Die politische Karriere der 79-Jährigen schien vorherbestimmt. Sie stammt aus einer politisch engagierten Familie aus Baltimore. Ihr Vater und ihr Bruder waren dort beide Bürgermeister. Dennoch vollzog sich ihr politischer Aufstieg durchaus kompliziert und langwierig. Pelosi zog mit ihrem Ehemann nach Kalifornien, brachte fünf Kinder zur Welt und wurde erst in ihren Vierzigern zur Vollzeit-Politikerin, als alle Kinder aus dem Haus waren. 1987 trat sie zunächst in einem Wahlbezirk, den traditionell die Demokraten für sich entschieden, für einen Sitz im Repräsentantenhaus an. Sie gewann und hat diesen Sitz seitdem nicht mehr verloren. Gleichzeitig stieg sie im Kongress in immer höhere Positionen auf.
Einer ihrer bedeutendsten Erfolge als Sprecherin des Repräsentantenhauses war die Zusammenarbeit mit dem republikanischen Präsidenten George W. Bush während der Finanzkrise im Jahr 2008. Experten schreiben der Demokratin auch eine entscheidende Rolle bei der Verabschiedung des "Affordable Care Act" zu, Präsident Barack Obamas historischer Krankenversicherung.
Im Auge des Sturms
Die Entscheidung, nun doch die Impeachment-Verfechter in den eigenen Reihen zu unterstützen, ist ein weiterer Meilenstein. Doch die Gefahr, dass ein mögliches Amtsenthebungsverfahren am Widerstand der Republikaner im Senat scheitert, ist groß. Noch nie ist ein US-Präsident durch ein Impeachment-Verfahren des Amtes enthoben worden.
Dass ein solches Szenario den Demokraten im US-Wahlkampf unter Umständen immer noch schaden könnte, sei nicht wichtig, sagte Pelosi im "New Yorker". "Wir haben die Sache mit größter Sorgfalt behandelt. Es ist nicht so, als hätten wir uns da hineingestürzt. Er [Trump] hat uns in diese Situation gebracht. Er hat uns keine Wahl gelassen."
Ob ihr Vorstoß Pelosi selbst am Ende schadet oder stärkt - für die Demokratin könnte es ungemütlich werden, prognostiziert Politikwissenschaftler Lohmann. "Sie wird natürlich damit rechnen, dass es ein sehr schmutziges Verfahren wird." Es sei das erste Mal, "dass so ein so schwerwiegendes Verfahren, das ja auch an den Grundfesten dieser Demokratie rüttelt, unter den Bedingungen sozialer Medien stattfinden wird. Sie wird jetzt in das Auge des Sturms vorrücken hinsichtlich der Angriffe von Trump und auch einigen Republikanern."