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Naomi Osaka und ihr täglicher Kampf

Marko Langer
1. Juni 2021

Sie lächelt selten - ihre Gegnerinnen legen das als mentale Stärke von Naomi Osaka aus. Nun lässt sie die Welt wissen, wie es wirklich um sie steht. Eine der weltbesten Tennisspielerinnen leidet an Depressionen.

Naomi Osaka Tennis French Open
Kein Match mehr und vorerst auch kein Wort: Naomi Osaka in Paris Bild: Javier Garcia/BPI/Shutterstock /imago images

Eigentlich ist es ein viel zu schöner Tag, um über Traurigkeit zu reden. Traurigkeit - das ist schon ein zu schönes Wort für diesen Zustand, wo man keine Kraft hat, überhaupt aufzustehen. Aber hier in Paris? Die Sonne strahlt über der umgebauten Anlage von Roland-Garros, alles ist frühlingsfrisch am Bois de Boulogne  - und von den Plätzen hört man den Sound der Bälle und der Spieler. Und den Jubel der Zuschauer, die hier wieder zugelassen sind. The show goes on. Aber - auch an diesem schönen Tag gibt es in Paris auf den Wegen zwischen den Plätzen fast nur ein Thema: den Rückzug der japanischen Spielerin Naomi Osaka und ihr Bekenntnis, seit Jahren an Depressionen zu leiden.

Es fordert seinen Tribut

Ein Anruf in Paris bei Daria Abramowicz, sie geht an ihr Mobiltelefon, obwohl sie eben noch ein Match verfolgt hat. Die Psychologin aus Warschau ist gut vernetzt im Profitennis, betreut Spielerinnen und ist bei allen großen Turnieren bekannt. "Das ist eine mutige Entscheidung, die Respekt verdient", sagt Abramowicz zur Erklärung Osakas. Und klar: Was man "high performance tennis" nenne, fordere auch seinen Tribut im psychologischen Bereich, erklärt die Sportpsychologin.

Die Sportpsychologin Daria AbramowiczBild: Privat

Die 23-jährige Osaka gilt nicht nur als eine der stärksten, sondern auch als eine der unkonventionellen Persönlichkeiten im Profi-Tennis. Am Anfang ihrer Karriere freuten sich die Journalisten noch an ihren manchmal schrägen, originellen Antworten in den obligatorischen Pressekonferenzen. Nun, in Paris, freuten sich die Berichterstatter nicht mehr. Denn die vierfache Grand-Slam-Siegerin Osaka kündigte an, dass sie sich dem Rummel und dem Ritual einer Pressekonferenz nach jedem Match in diesem Jahr entziehen wollte. Das würde Ärger geben. Sie und ihr Umfeld dürften das gewusst haben.

Sie wollte - oder konnte - nicht mehr

Dass die Turnierveranstalter nicht nur in aller Ruhe die übliche Geldstrafe für das Fernbleiben bei der PK verhängen würden, sondern sogar die Möglichkeit eines Turnierausschlusses an die Wand gemalt wurde, brachte die Sache ins Rollen. Ihr Auftaktmatch gegen die Rumänin Patricia Maria Tig konnte Osaka noch mit 6:4, 7:6 gewinnen. Aber dann wollte - oder konnte  - sie nicht mehr.

Nicht einmal Gilles Moretton, Präsident des französischen Tennisverbandes, ahnte, was dann kam: "Das Beste für das Turnier, die anderen Spieler und mein Wohlbefinden ist es, dass ich zurückziehe, damit sich alle wieder auf das Tennis in Paris konzentrieren können", schrieb die Nummer zwei der Welt auf Twitter - und bekannte, dass sie seit 2018 immer wieder mit Depressionen zu kämpfen habe.

2018 - das war das Jahr, als eine blendend aufgelegte Osaka im Finale der US Open die "Grand Dame" Serena Williams vom Platz fegte, die dabei einen Eklat provozierte, weil das New Yorker Publikum unbedingt Serena siegen sehen wollte - und die junge Japanerin bei der Siegerehrung Tränen vergoß ob der Erkenntnis, dass man sie hier nicht gewinnen sehen wollte. Ein brutaler Moment.

Am Ende alles gut? Von wegen ... Naomi Osaka und Serena Williams 2018 bei der Siegerehrung in New York Bild: Reuters/R. Deutsch

Vielleicht war das der Grund, warum Serena Williams nun schnell auf Osakas aktuellen Rückzug reagierte und erklärte: "Ich wünschte, ich könnte sie einfach umarmen, weil ich weiß, wie es sich anfühlt", sagte die 39 Jahre alte Amerikanerin in Paris. Sie habe in der Vergangenheit auch solche Phasen erlebt, gestand Williams.

Kein Einzelfall im Profitennis? In dieser Sportart, wo jede Frau, wo jeder Mann am Ende auf sich allein gestellt ist? Bei der Psychologin Abramowicz kann der Reporter in mehreren Anläufen scheitern mit der Frage, wie oft dieses Krankheitsbild in der Szene verbreitet ist. Kein Wort über ihre Schützlinge, nicht einmal eine Andeutung. Nächste Frage! "Aber natürlich hat die Corona-Krise auch allen zugesetzt, und das professionelle Tennis war eine der ersten Sportarten, die aus dem Lockdown herausgekommen sind", sagt die Polin. Die Tennisspielerinnen hätten sehr schnell wieder zur Tagesordnung übergehen müssen. Um hinzuzufügen: "Das ist eine sehr, sehr ernste Erkrankung."

Man muss dann gar nicht beim deutschen Nationalspieler Robert Enke und seinem Freitod in einer depressiven Phase landen, um das zu verstehen. Osaka, die so gut wie nie auf dem Platz lacht, hat lange mit dem deutschen Trainer Sascha Bajin zusamengearbeitet, der ihr nicht nur bei der Perfektionierung ihrer Schläge half, sondern im Training und in der Box immer auch den "Guten-Laune-Onkel" gab. Kaum jemand in der Szene ist so begabt darin, einen guten Spirit auf dem Platz zu verbreiten. Ob es eine gute Idee war, sich bald nach ihrem US-Open-Erfolg von Bajin zu trennen, wird nur Osaka selbst beurteilen können.

Der "Gute-Laune-Onkel" und als Trainer viel Mehr: Sascha BajinBild: picture-alliance/AP Images/The Yomiuri Shimbun

Denn sie wurde erfolgreicher, aber das Leben wurde damit nicht einfacher für die Japanerin, die in ihrer Heimat ob ihrer Hautfarbe rassistische Anfeindungen erlebte, die sich in den USA mit Mundschutz für "Black lives matter" stark machte, die mittlerweile auf einen Jahresverdienst von bis zu 55 Millionen Dollar geschätzt wird. Und die in Japan schon als mögliches Aushängeschild der Olympischen Spiele in Tokio gehandelt wurde. Das dürfte sich nun erledigt haben.

Ob man Osaka dafür kritisieren kann, ihren Presseboykott nicht gleich mit der Krankheit begründet zu haben? "Ich werde mich nicht hinstellen und über eine Spielerin, über eine Sportlerin urteilen", sagt die Psychologin Abramowicz. Unter keinen Umständen. Doch in ihrer Profession weiß man: Sich zu einer Krankheit wie einer Depression zu bekennen, kann der erste Schritt zu einer Heilung sein. Auch wenn die Krankheit den Betroffenen oder die Betroffene ein Leben lang begleitet.

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