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Film

Warum ein Jude seine Identität verheimlichte

Elizabeth Grenier woy
3. November 2019

Er wuchs unter muslimischen Migranten in Berlin auf, war ihr Freund. Bis sie erfuhren, dass er jüdisch ist. Die erschütternde Autobiografie von Arye Sharuz Shalicar wird jetzt verfilmt.

Zwei männliche und eine weibliche Jugendliche vor einer Graffiti-Wand (Foto: Sten Mende).
Bild: Sten Mende

Über viele Jahre gelingt es dem 15-jährigen Soheil seine jüdische Identität vor seinen Freunden zu verbergen. Er fällt kaum auf - seine Familie stammt aus dem Iran und daher ähnelt er äußerlich den meist muslimischen Kindern im Wedding, einem Berliner Stadtteil mit hohem Migrantenanteil. Eines Tages jedoch taucht eine Klassenkameradin im Schneidergeschäft seiner Eltern auf und erfährt von seiner jüdischen Herkunft. "Das muss unser Geheimnis bleiben", fleht der junge Soheil seine Freundin Selma an.

Genau diese Szene aus dem Film "Nasser Hund" spielen die beiden Jungschauspieler Doguhan Kabadayi und Derya Dilber an dem Tag, als die Produktionsfirmen Carte blanche und Warner Brothers Germany zu einem Pressetermin einladen. Die Handlung basiert auf der Autobiografie "Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude" von Arye Sharuz Shalicar, der sich als Jugendlicher unter Weddinger Gangstern zu behaupten versuchte und schließlich doch nach Israel ging, um seine jüdische Identität frei leben zu können. "Für die Deutschen war ich ein Kanake, für die Moslems ein Jude, für die Juden ein krimineller Jugendlicher aus dem Wedding", heißt es im Klappentext des 2010 erschienenen Buches.

Nasser Hund: Metapher für Anti-Semitismus

Der provokante Buchtitel basiert auf einem iranischen, antisemitischen Sprichwort. Demnach würde man sich eher mit einem durchnässten Hund als mit einem Juden abgeben. Für den Film entschied man sich jedoch für eine Kurzvariante: "Es ist ein Titel, der in unserer Kultur sehr abschreckend wirkt, denn seine Anspielungen lösen bei uns innerlich Alarm aus", sagt Produzent Stephan Wagner. Obwohl eine derartige Provokation eine effektive Marketingstrategie sein könnte, entschied man sich, nur den ersten Teil des Titels "Nasser Hund" zu verwenden. "Als Referenz zur Geschichte, ohne die komplette Polarisierung", sagt Wagner.

Ausgezeichnet mit dem Deutschen Fernsehpreis: Schauspieler Kida Khodr RamadanBild: picture-alliance/dpa/H. Kaiser

Aufgrund von Verfolgung flohen viele persische Juden unter anderem nach Deutschland, doch der Anschlag in Halle  war für viele eine brutale Erinnerung daran, dass Antisemitismus auch hier noch sehr präsent ist - und sogar lebensgefährlich sein kann.

Schauspieler Kida Khodr Ramadan, der Soheils Vater in dem Film spielt und in Deutschland für seine Rolle als Clan-Anführer in der TV-Serie "4 Blocks" bekannt ist, zeigt sich über die Art und Weise, wie Jugendliche Antisemitismus derzeit offen äußern, beunruhigt. Geboren 1976 in Libanon, wuchs Ramadan in Kreuzberg auf, ein weiterer Berliner Stadtteil mit hohem Migrantenanteil. Antisemitismus sei zu seiner Schulzeit kein großes Thema gewesen. Muslime und Juden teilten vielmehr Gemeinsamkeiten, wie etwa dass sie beschnitten waren oder eigene religiöse Feste feierten: "Wir hatten die gleiche Haltung", erinnert sich der Schauspieler. Er befürchtet, dass vor allem die sozialen Medien Hass befeuern und hofft, dass der Film etwas bewirken kann: "Selbst wenn wir unter 100.000 Personen von nur einer die Meinung ändern können, wäre ich stolz, dazu beigetragen zu haben."

Plötzlich Feinde

Geschichten über den Kampf von Identitäten sind auch dem Regisseur sehr vertraut. Er selbst stammt aus Kroatien und auch wenn seine Familie nicht aufgrund des Krieges nach Deutschland kam, so hätten die ethnischen Konflikte im ehemaligen Jugoslawien ihn stark geprägt, sagt Damir Lukacevic. "Von einem Tag auf den anderen wird dein Gegenüber zum Feind erklärt." Auch im Zentrum seines Films "Nasser Hund" stehe die Frage, was ausschlaggebender sei, so Lukacevic: "Freundschaft oder Herkunft und Vergangenheit einer Person".

Am Set von "Nasser Hund": Regisseur Damir LukacevicBild: Volker Roloff

Als im Film die jüdische Identität von Solheil auffliegt, wendet sich sein Freund Husseyn sofort gegen ihn. Gespielt wird dieser von Mohammad Eliraqui, der den Plot auch aus seiner eigenen Lebensgeschichte gut nachempfinden kann. Als palästinensischer Flüchtling landete er mit seiner Familie in Neubrandenburg, rund 150 Kilometer nördlich von Berlin. Hier erlebte er mehrfach Diskriminierung und körperliche Übergriffe. Später zogen sie in den Berliner Stadtteil Neukölln, den Mohammad Eliraqui als sein wirkliches Zuhause empfindet - und das, obwohl er hier mit Gangs und Straßenkriminalität konfrontiert ist. Husseyn ist seine erste Rolle, damit bringt er die Authenzität der Berliner Straßen mit in den Film ein.

Die Geschichte wiederholt sich

Das Drehbuch zu entwickeln, Schauspieler zu casten und sie auf den Film vorzubereiten, war ein mehrjähriger Prozess. Lukacevic hatte die Buchvorlage zunächst als Theaterstück mit Schülern aus jener Weddinger Schule umgesetzt, die auch Arye Sharuz Shalicar besucht hatte. In mehrmonatigen Improvisationsworkshops erarbeiteten Laiendarsteller - junge Palästinenser, Syrer, Iraner und Türken - die unterschiedlichen Rollen. Jeder von ihnen musste dabei auch einmal die Perspektive des jüdischen Jungen einnehmen, der versucht, seine Identität zu verheimlichen. All diese Erfahrungen flossen in das Drehbuch mit ein. Auch hat sich der Regisseur dafür entschieden, die biografische Buchvorlage der 1990er Jahre ins heutige Berlin zu setzen, da die Geschichte heute "viel relevanter ist als noch vor 20 Jahren."

Noch Freunde? Schauspieler Doguhan Kabadayi, Derya Dilber und Mohammad Eliraqui (v.l.n.r.) am FilmsetBild: DW/E. Grenier

Die Laienschauspieler der Workshops hatten alle einen muslimischen Hintergrund - bis auf einen jüdischen Jungen, der von seinen Mitschülern bereits drangsaliert und angegriffen worden war. "Sein Fall ist gut dokumentiert. Er ist der Sohn von Wenzel Michalski, dem Direktor von Human Rights Watch", sagt Lukacevic. "Er hatte viele arabische und türkische Freunde in der Schule - bis sie herausfanden, dass er Jude ist." Diese Erfahrung brachte der Schüler in den Workshop mit ein. Der Austausch mit ihm habe dem Hauptdarsteller Doguhan Kabadayi sehr geholfen, sich auf seine Rolle vorzubereiten, so der Regisseur.

Dass das Thema derzeit besonders relevant ist, zeigt auch das Engagement von Warner Brothers, die in den Film eingestiegen sind, obwohl keine bekannten Darsteller in den Hauptrollen zu sehen sind. Derzeit laufen die Dreharbeiten für "Nasser Hund" noch, der Kinostart ist für 2020 geplant.

 

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