Natalia Mateo mit ECHO Jazz geehrt
26. Mai 2016 Die richtigen Menschen trifft Natalia immer dann, wenn ihre aktuellen Projekte zum Stillstand kommen. "Und auf einmal ist es passiert", erzählt Natalia Mateo im Gespräch mit der DW. "Zuerst hat es zwischen mir und dem Schlagzeuger gefunkt. Es war ein Moment voller Euphorie. Wir haben gesponnen, wer mit wem wie arbeiten würde." So beschreibt Natalia Mateo die Anfänge ihrer Zusammenarbeit mit Fabian Ristau, einem Freund aus der Studienzeit. 2015 ist es dann so weit: Nachdem Siegfried "Siggi" Loch, Deutschlands erfolgreichster Jazzproduzent und Chef des Labels ACT, auf Natalia Mateo aufmerksam wurde, erscheint im März des vergangenen Jahres das Album "Heart of Darkness".
Chancen und Hindernisse
Natalias Vater, Andrzej Kowalczyk, ist Opernsänger. "Doch die Tatsache, dass ich singe, war keine bewusste Entscheidung, auch nicht der Druck meiner Eltern. Es war eher ein unterbewusstes Kosten, ein Ausprobieren der Musikwelt", erinnert sich Natalia. Als Kind fühlt sie sich körperlich schwach und denkt, ihre Stimme sei so klein wie sie selbst. Deswegen hätte sie viele Komplexe gehabt, ergänzt die Sängerin.
1987 zieht Natalias Familie nach Linz. Zehn Jahre später kehrt die Familie wieder zurück nach Polen. Natalia besucht in Wrocław (Breslau) ein Gymnasium der Ursulinen. "Dort gab es keine Musik, keine Kunst", erzählt Natalia von ihrer schwierigen Anpassungszeit in Polen.
Am Wendepunkt
Neun Jahre später zieht die junge Frau nach Berlin. Dort möchte sie ihr Studium fortsetzen. Am "European College of Liberal Arts" macht sie bei den verschiedensten Projekten mit. Dabei konkretisieren sich ihre Wünsche: "Da wusste ich, dass ich nicht weiter Anglistik studiere. Ich wusste, dass ich singen will."
Natalia sucht verzweifelt nach Gesangslehrern, nach Klavier- und nach Tanzlehrern. Sie kommt zu Carol McPherson. "Sie ist eine kompromisslose, fanatische, ziemlich anstrengende Lehrerin", erzählt Natalia. "Viele Schüler hielten ihre schonungslose Kritik nicht aus. Nach solch einer Kritik konnte man zu der Meinung kommen, dass man überhaupt nicht singen kann. Das Erfahren meiner eigenen Grenzen und der Ursachen dafür waren eine große Erleichterung für mich. Endlich gab es jemanden, der mir sagen konnte, was mit meiner Stimme los war."
Klassischer Gesang oder Jazz?
Eines Tages muss sich Natalia Mateo zwischen zwei Genres entscheiden. Da setzt sie auf Jazz und lässt die Klassik sein. Sie zollt dem klassischen Gesang hohen Respekt. Doch: "Im Jazz geht es darum, den eigenen Stil und den eigenen Klang zu finden, aber vor allem geht es darum, etwas Eigenes zu sagen. Im Grunde genommen hatte ich Angst vor dieser Konfrontation", erinnert sich Natalia.
Parallel zum Studium in Berlin studiert Natalia in der Klasse für Jazzgesang am Institut für Musik in Osnabrück. Jahre später schreibt das deutsche Fachmagazin "Jazzpodium" über Natalia Mateo: "Die Stimme von Natalia Mateo hat etwas Kristallisches, etwas anrührend Zerbrechliches. Sie klingt anspruchsvoll, aber nicht zu schwer, sie klingt sicher, ohne auch nur einen Hauch von elitärem Ehrgeiz".
Eine ideale Verbindung
Bahnbrechend in Natalias Karriere ist die Begegnung mit Siggi Loch, dem Gründer und musikalischen Mastermind der Plattenfirma ACT. Dieser kommt eines Tages zu einem Workshop, den Natalias Hochschule veranstaltet. "Ich spürte, dass es der Augenblick war", erinnert sich die Polin an die Begegnung. "Nach dem Workshop lud Siggi mich zu einem Gespräch ein. Später kam er zu meinem Konzert und schlug vor, dass ich für seine Firma eine Schallplatte aufnehme."
Das Album wird sowohl von der Kritik als auch vom Publikum sehr gelobt. "Es ist auch ein Verdienst meiner Musiker", sagt Natalia Mateo und nennt in einem Atemzug die Namen von: Gregor Lener, Simon Grote, Dany Ahmad, Christopher Bolte und Fabian Ristau.
Zwischen Phantasie und Stille
Natalia mag Künstler, die "etwas anders" klingen, wie zum Beispiel Tom Waits, Björk oder Gretchen Parlato. Natalia schätzt Künstler, die mit der Sprache spielen oder sogar in einer Phanstasie-Sprache singen, wie Simin Tander oder Theo Bleckmann. Die traditionelle Jazzsprache, also das, was beispielsweise Kurt Elling macht, hält Natalia für einen Leistungssport - aber auch für eine intellektuelle Wanderung. "Mit aller Achtung davor, werde ich wahrscheinlich diese Regionen nicht ergründen", sagt Natalia bescheiden. Ihre Stimme ist eine Quintessenz der Suche und des Mutes, ein Dickicht aus Klängen, hinter dem Virtuosität und viel harte Arbeit stecken. Natalia selbst wählt nach den inmitten von Klängen verbrachten Stunden paradoxerweise die Stille. "Ich möchte dann nicht hören müssen", sagt sie.
Zwischen den Welten
Die Lieder auf dem neuen Album "Heart of Darkness" drücken ihre Erfahrungen der letzten Jahre aus, die Erfahrungen der Reisen, der Trennung, der Wiederkehr. "Als ich die Arbeit begann, machte ich mir keine Gedanken zu dem Titel des Albums. Aber es ist wahr, ich bin irgendwo zwischen den Welten", sagt Natalia. "Dieser emotionale Zustand betrifft viele Migranten, ganz besonders die Künstler. Das sind die so genannten modernen Lebensläufe. In ihnen sind wir wie aufgespannt zwischen verschiedenen Orten. Die Konfrontation mit dem Anderen und dem Fremden ist eine sehr moderne Erfahrung. Etwas, das uns formt und auch eine Verbissenheit oder Radikalisierung verursachen kann.
Die Polen in Deutschland vertreten meistens eine der beiden Optionen: Entweder leugnen sie ihre Wurzeln, oder sie halten krampfhaft an diesen Wurzeln fest. Die Wahrheit liegt, wie immer, dazwischen. Für mich bedeutet jedes Abgrenzen von der Kultur und Gesellschaft, jedes Verschließen in eigenen Strukturen etwas, woraus keine Gemeinschaft wachsen kann. Die Abgrenzung hat ihre dunkle Seite."
Auf die Frage, ob Natalia Mateo heute eine Jazzmusikerin wäre, wenn sie Polen nicht verlassen hätte, antwortet die Künstlerin: "Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht. Ich weiß nicht, ob ich mich in Polen zu Recht gefunden hätte. Das ist eine schwierige Wahrheit. Das Leben in Deutschland ist wohl in mancher Hinsicht einfacher. Ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt mit meiner Migrationserfahrung fertig geworden wäre, wenn ich einige Menschen auf meinem Lebensweg nicht getroffen hätte."
Natalia Mateo wurde am Donnerstag (26.05.2016) von der deutschen Musikindustrie mit dem ECHO Jazz als beste Newcomerin ausgezeichnet. Ein nicht zu unterschätzender Erfolg für die 33-jährige Jazzsängerin, die vielleicht am Anfang einer steilen Karriere steht.
Hier ist unsere Playlist bei Spotify mit Songs von Natalia Mateo: