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Dzalamidze: in Wimbledon unter neuer Flagge

Jannik Schneider London
27. Juni 2022

Noch vor der Wimbledon-Sperre russischer und weißrussischer Profis hat die gebürtige Russin Natela Dzalamidze ihre Nationalität gewechselt. Sie spielt nun für Georgien. Eine Entscheidung, die sie gegen Kritik verteidigt.

Natela Dzalamidze beim Tennis
Früher als Russin am Start, jetzt als Georgierin: Natela DzalamidzeBild: Alex Nicodim/NurPhoto/picture alliance

Natela Dzalamidze ist extra etwas früher als üblich auf der Anlage des "All England Lawn Tennis and Croquet Club" erschienen. Für das Gespräch mit der DW möchte sich die 29-jährige Doppelspezialistin vor ihren beiden folgenden Trainingseinheiten am Nachmittag und Abend auf der Trainingsanlage im Aorangi Park in Wimbledon nochmal Zeit nehmen. Die auf ihre Person gerichtete Aufmerksamkeit ist in den Tagen vor dem Start des prestigeträchtigen Tennisturniers der Welt für die Nummer 45 der Weltrangliste ungewohnt groß geworden.

Denn Dzalamidze startet bei internationalen Tennisturnieren ab sofort nicht mehr für Russland, das Geburtsland ihrer Mutter, sondern für Georgien, das Heimatland ihres Vaters. Damit umgeht sie den Ausschluss russischer und weißrussischer Spielerinnen und Spieler beim diesjährigen Wimbledonturnier. In London wird sie an der Seite ihrer Doppelpartnerin, der Serbin Alexsandra Krunic, aufschlagen. "Ich habe die Entscheidung getroffen, weil ich mich auf meine Karriere konzentrieren und die Chance haben möchte, bei den Olympischen Spielen teilzunehmen", begründete Dzalamidze ihren kurzfristigen Nationenwechsel vor einigen Tagen gegenüber in der englischen Zeitung "The Times".

Die Athletin aus St. Petersburg hatte den Prozess des Nationenwechsels nach dem Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und noch vor der Ausschluss-Entscheidung der Turnierorganisation in Wimbledon gestartet. Sie besitzt seit sechs Jahren neben dem russischen auch einen georgischen Pass und hat sich - das betont sie im Gespräch - dabei an alle Regeln gehalten. Die WTA bestätigte den Wechsel am 6. Juni - eine Woche vor der Meldefrist für Wimbledon. Auf der Teilnehmerliste taucht sie bereits unter ihrem neuen Länderkürzel auf. Die Entscheidung der Spielerin und der Zeitpunkt des Wechsels in einem sportpolitisch für alle Seiten sehr sensiblen Zeitfenster polarisiert dennoch.

Verstrickte Lage im Tennissport

Bei den meisten Sportveranstaltungen sind russische und weißrussische Athleten und Athletinnen derzeit gesperrt. Die Verantwortlichen der Profitouren bei Herren und Damen im Tennis, die ATP- und WTA-Tour, sehen ihre Spieler allerdings weniger als Vertreter der Regierungen ihrer Länder, sondern eher als selbstständige Unternehmer. Sie entschieden daher rasch, dass die betroffenen Sportlerinnen an den Events unter neutraler Flagge teilnehmen dürfen.

Allerdings gehören die vier Grand-Slam-Turniere nicht der ATP- und WTA-Tour an. Die Organisatoren von Wimbledon agierten beim Ausschluss, wie aus England zu hören war, sehr eng in Abstimmung mit der britischen Regierung. Um weitere Präzedenzfälle zu verhindern, entschieden ATP und WTA, dass beim prestigeträchtigsten Turnier des Jahres keine Weltranglistenpunkte vergeben werden. Seitdem kocht es hinter den Kulissen und jede Entscheidung, wie dieser Nationenwechsel, wird argwöhnisch begutachtet.

"Habe niemanden ausgetrickst"

"Ich habe weder Wimbledon noch meine Spielerkollegen ausgetrickst und bin den Regeln gefolgt", verteidigt sich Natela Dzalamidze im Gespräch mit der DW. In den Mails nach der Entscheidung Wimbledons hätten alle Spielerinnen Informationen zu den Deadlines und Meldevorgängen erhalten. "In einer Zeile stand sogar, dass Spielerinnen, die ihre Nation wechseln möchten, es vor dem 3. Juni tun müssten", berichtet Dzalamidze. Sie habe daher mit mehreren Wechseln gerechnet. Doch die Doppelspielerin blieb der Einzelfall im Welttennis.

"Ich habe ich mich geschämt, einen russischen Pass zu besitzen", sagt Natela DzalamidzeBild: Manfred Binder/GEPA pictures/imago images

"Natürlich habe ich mit dieser Aufmerksamkeit gerechnet, als ich mich im März zu diesem Schritt entschieden habe. Ich habe den Prozess vor den French Open gestartet, weil ich bereits als Georgierin Vorbereitungsturniere auf Wimbledon spielen wollte", sagt sie. Daraus wurde jedoch aus gesundheitlichen Gründen nichts. "Ich wusste, dass es Wellen schlagen würde, wenn ich als erstes in Wimbledon auftauchen würde."

"Generelle Vorurteile sind unfair"

Die Familie von Dzalamidzes Vater floh 1992 aus der heute autonomen Republik Abchasien [gehört offiziell zu Georgien, Anm. d. Red], in der damals Krieg herrschte. Sie selbst wurde erst ein Jahr später geboren. Sie hat den Krieg nicht persönlich erlebt, sagt aber über die Situation in der Ukraine: "Es tut sehr weh, zu sehen, was in der Ukraine passiert. Ich bin sprachlos und kann mir nicht vorstellen, wie es ist, wenn Raketen herumfliegen und dein Leben bedroht wird."

Für eine russisch-stämmige Sportlerin sind das starke Worte, wenngleich sie das Wort Krieg vermeidet. In Russland kann man dafür strafrechtlich verfolgt werden. "Ich verstehe die Position der Ukrainer und ich habe zu Beginn auch viele aggressive Nachrichten erhalten und versuche keine Diskussionen zu entfachen. Aber wir haben keinerlei Einfluss auf diese Entscheidung als Athletinnen", erklärt sie und wird danach auf persönlicher Ebene sehr emotional.

"Ich möchte keine Ausreden suchen für das, was in der Ukraine passiert, aber für uns Athletinnen ist es sehr unfair, die generellen Vorurteile zu erfahren. Zu Beginn habe ich mich geschämt, einen russischen Pass zu besitzen", sagt Dzalamidze. Nach einer Zeit habe sich das hinterfragt: "Ich bin eine gute Person, warum bekomme ich dieses Gefühl? Ich habe viele Jahre hart gearbeitet als Athletin, um meine Ziele zu erreichen. Und wegen einer Entscheidung, etwas Schreckliches zu starten, muss ich mein Leben und meine Karriere vergessen?"

Hassnachrichten aus Georgien

Der Großteil der Hassnachrichten, die sie seit der Bekanntgabe ihres Nationenwechsels in den sozialen Medien erhalten hat, sei aus Georgien gekommen. "Die meisten dachten, ich würde die Situation in Wimbledon nur ausnutzen wollen, um dann anschließend zurück zum russischen Verband zu wechseln", aber das, sagt Dzalamidze, sei definitiv nicht der Fall.

"Mein Vorname ist russisch, mein Nachname dagegen nicht. Ich bin Halbrussin", sagt sie. "In Russland versteht jeder, dass ich keine komplette Russin bin, wenn sie meinen Namen sehen, der aus Georgien stammt."

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