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"National Geographic" arbeitet Vergangenheit auf

Courtney Tenz cp
14. März 2018

Das traditionsreiche US-Magazin "National Geographic" wagt einen kritischen Blick in die eigene Vergangenheit. Ein Historiker durchforstete das Archiv. Was er herausfand, würde heutige Leser abschrecken.

Deutschland Gedenkgottesdienst in Berlin für die Opfer des Völkermordes in Namibia
Bild: Imago/epd

Als sich die Macher des "National Geographic"-Magazins entschlossen, ihre 130 Jahre alten Archive nach Ausgaben mit rassistisch geprägten Artikeln durchsuchen zu lassen, da war der öffentliche Zuspruch sehr groß. Bei der Präsentation der Aprilausgabe sagte Herausgeberin Susan Goldberg: "Jahrzehntelang war unsere Berichterstattung rassistisch. Um über unsere Vergangenheit hinauszuwachsen, müssen wir sie anerkennen." Deshalb konzentriert sich die neueste Ausgabe ausschließlich auf das Thema Rasse.

Goldberg weiter: "Ich bin die zehnte Herausgeberin von "National Geographic" seit der Gründung im Jahr 1888. Ich bin die erste Frau und die erste jüdische Person - also Mitglied zweier Gruppen, die auch einmal Diskriminierung ausgesetzt waren. Es tut weh, die entsetzlichen Geschichten aus der Vergangenheit der Zeitschrift zu veröffentlichen. Aber als wir uns dazu entschlossen, waren wir überzeugt, wir sollten zuerst unsere eigene Geschichte beleuchten, bevor wir unseren Blick auf andere richten."

 

So erschien die Ausgabe am Vorabend des 50. Jahrestages der Ermordung von Martin Luther King Jr. und 50 Jahre nach dem Fall "Loving gegen Virginia" am Obersten Gerichtshof. Seinerzeit wurde die Ehe von Paaren verschiedener Rassen legalisiert. Das April-Cover zeigt Zwillingsschwestern, von denen die eine eine hellere Hautfarbe hat als die andere. Darunter die Titelzeile: "Black and White" ("Schwarz und Weiß").

Die aktuelle Ausgabe Bild: picture-alliance/AP Photo/National Geographic

Wie zu erwarten haben das Bild und die Artikel des Heftes eine Diskussion ausgelöst. Einige Beiträge berichten über Probleme, die Paare verschiedener Rassen haben, wenn sie heiraten wollen, und darüber, wie die Gesellschaft mit dem Thema Rasse umgeht. Schon am Tag nach der Veröffentlichung twitterten Leser unter #IDefineMe über ihre eigenen Erfahrungen mit dem Thema Rasse und lobten den Vorstoß des Magazins.



Als Geschichts-Experten verpflichtete "National Geographic" den Historiker John Edwin Mason von der Universität von Virginia. Mason ist auf die Geschichte der Fotografie und auf die Geschichte Afrikas spezialisiert. Sein Auftrag: das Magazin-Archiv durchforsten, jedoch im Kontext der Epochen, in denen die Arbeiten jeweils veröffentlicht wurden.

"Mason fand heraus, dass "National Geographic" bis in die 1970er Jahre hinein schwarze Menschen in den Vereinigten Staaten weitgehend ignorierte und sie - wenn überhaupt - als Arbeiter oder Hausangestellte darstellte. Damals sahen viele die 'Ureinwohner' als häufig unbekleidete Exoten - glückliche Jäger, edle Wilde: Jede Art von Klischee", schreibt Goldberg in ihrem Leitartikel.

Kolonialmächte und die Kolonien

Die Amerikaner bezögen ihre Vorstellungen von der Welt aus Tarzan-Filmen und primitiven rassistischen Karikaturen, zitiert sie Mason. "Rassentrennung gab es eben." National Geographic belehrte nicht in dem Ausmaß, wie das hoch angesehene Magazin es hätte machen können. "National Geographic entsteht zur Zeit des Kolonialismus. Die Welt wurde damals aufgeteilt in Kolonialmächte und Kolonien. So simpel sah man eben die Welt, und National Geographic spiegelte diesen Blick auf die Welt wider", so Herausgeberin Goldberg.

Die April-Ausgabe zeigt denn auch Beispiele aus der Vergangenheit des Blattes, die heutige Leser wohl beunruhigen würden: eine unangemessene Sprache beim Beschreiben fremder Kulturen, Fotografien von Stammesangehörigen, denen der Reporter die neueste Technologie präsentiert, und auch immer wiederkehrende Stereotypen - dass etwa Aborigines in Australien einen niedrigen IQ hätten.

Den Kolonialismus reflektieren

Frankreichs Präsident Macron besucht Burkina FasoBild: Reuters/P. Wojazer

"National Geographic" stellt sich seiner Vergangenheit zu einer Zeit, in der sich viele Museen und Kulturinstitutionen in Europa aufgefordert sehen, einen kritischen Blick auf ihre Exponate und ihre Sammlungsgeschichte zu werfen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron war es, der in einer Rede in Burkina Faso im November 2017 mahnte: "Afrikanisches Erbe kann nicht nur in privaten europäischen Sammlungen und Museen zu sehen sein." Damit trat er eine Debatte über die Rückgabe afrikanischer Kulturgegenstände los, die seit längerem auch Deutschland bewegt.

Von besonderer Brisanz ist das Thema etwa für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Deutschland, die von 2019 an ihre weltberühmten Sammlungen aus dem Ethnologischen Museum und dem Museum für Asiatische Kunst im neuen Humboldt Forum im Berliner Schloss zeigen will. Stiftungspräsident Hermann Parzinger regte deshalb eine internationale Vereinbarung für den Umgang mit dem kolonialen Erbe an. Doch zunächst sei es eine "moralische Verpflichtung, die Herkunft der Bestände zu klären", betonte Parzinger.

Nachdem sich "National Geographic" mit den Fehlern der Vergangenheit auseinandergesetzt hat, will das Magazin in künftigen Ausgaben den aktuellen Rassismus in den USA beleuchten - bezogen auf Muslime und Latinos. Auch wird die Redaktion einen Blick auf die US-amerikanischen Internierungslager werfen, in denen während des Zweiten Weltkriegs japanischstämmige US-Bürger gefangen gehalten wurden.

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