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National oder europäisch?

Verica Spasovska 18. Juli 2003

Soll in Berlin ein „Zentrum gegen Vertreibung“ gebaut werden? Wie zuvor das Holocaust-Mahnmal, sorgt nun der geplante „Erinnerungsraum“ in der Hauptstadt für heftige Diskussionen. Verica Spasovska kommentiert.

Die Vertreibungen innerhalb Europas im 20. Jahrhundert und die Frage, wie die Nachgeborenen dieses dunkle Kapitel europäischer Geschichte bewältigen, bleibt ein Reizthema. Darf ein "Europäisches Zentrum gegen Vertreibungen" in Berlin aufgebaut werden, wie es der Bund der Vertriebenen und einige prominente Linksintellektuelle planen? Oder wäre Berlin der falsche Ort, weil die Nähe dieses Zentrums zum Holocoust-Mahnmal die Bedeutung des Mahnmals herabsetzen könnte? So sehen es jedenfalls 65 Kritiker aus sechs Ländern, unter ihnen auch Bundestagspräsident Thierse, Literaturnobelpreisträger Grass und polnische und tschechische Intellektuelle.

Im Kern geht es um die Befürchtung, die Gedenkstätte in Berlin könnte einem Wiederaufflammen nationalistischer Ideen Vorschub leisten. Die Kritiker dieser Idee fordern deshalb im Interesse eines zusammenwachsenden Europas, einen gemeinsamen "Erinnerungsraum" zu schaffen. Und der dürfe eben nicht in Berlin angesiedelt sein, sondern zum Beispiel in Görlitz an der deutsch-polnischen Grenze oder im polnischen Wroclaw, dem früheren Breslau.

Düsteres Kapitel

Geht es bei diesem Streit lediglich um einen Ort? Nein, die Wogen schlagen so hoch, weil dieses Thema Empfindsamkeiten aller Beteiligten trifft. Denn die historischen Zusammenhänge der Vertreibungen, zu denen auch die so genannten ethnischen Säuberungen auf dem Balkan Ende des Jahrhunderts gerechnet werden, sind zwar durchaus verschieden. Aber das Leid der betroffenen Menschen ist sehr ähnlich und vergleichbar: Für sie alle ist der Verlust der Heimat, die Entwurzelung, die Demütigungen der Vertreibung, ein Trauma, das sie teilen. Sie alle sind Teil dieses düsteren Kapitels der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Auch aus diesem Grund fordern die Kritiker der "Berlin-Variante", dass eine "gemeinsame europäische Gedächtniskultur" geschaffen wird. Ein wichtiger Schritt dorthin wäre eine Erinnerungsstätte, die als gemeinsames europäisches Projekt in Angriff genommen wird. Geschichte soll gemeinsam geschrieben werden, damit man sich ihrer gemeinsam erinnern kann, argumentieren sie durchaus sinnvoll. Kein Zweifel: Dieses Projekt könnte ein großer Schritt auf dem Weg zu einem europäischen Selbstverständnis sein.

Und man könnte verhindern, dass ein solches Zentrum für eine nationale Nabelschau missbraucht würde, die sich politisch instrumentalisieren ließe. Dieser Gedanke ist zweifellos gut und richtig. Aber er gilt natürlich für alle Beteiligten. Besonders Polen und Tschechien sollten sich dabei angesprochen fühlen, wenn es darum geht, eine Wiederkehr nationalistischer Ideen, abgeleitet aus der Vertreibungsgeschichte, zu verhindern.

Prag statt Berlin?

Auch die Gegenargumente des Bundes der Vertriebenen (BdV), der nach wie vor für Berlin plädiert, sind nicht von der Hand zu weisen. Verbandspräsidentin Erika Steinbach befürchtet nicht ganz zu Unrecht, dass das Projekt zerredet wird, wenn es erst mal auf eine europäische Ebene gehoben wird. Und dass dies zu Lasten der deutschen Heimatvertriebenen gehen könnte. Aber klar ist auch: wenn es sich um ein "Europäisches Zentrum der Vertreibung" handeln soll, dann wäre Berlin sicherlich nicht der optimale Ort. Wie wäre es zum Beispiel mit Prag?

Wie auch immer die Entscheidung letztlich ausfallen wird, die hitzige Debatte um ein Stück Geschichte - fast 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges - wirft ein Schlaglicht auf die Befindlichkeiten der deutschen Gesellschaft und ihrer europäischen Nachbarn. Vergangenheitsbewältigung ist und bleibt ein hartes Stück Arbeit, aber sie ist unabdingbar, wenn wir sie als Chance für eine gemeinsame europäische Zukunft begreifen wollen.