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Schwierige Suche nach den letzten lebenden Nazi-Verbrechern

13. April 2025

80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs nähert sich auch die strafrechtliche Verfolgung von NS-Verbrechern und Unterstützern ihrem Abschluss. Hätte Deutschland mehr tun können?

Ältere Frau mit Gesichtsmaske und weißer Mütze und Mantel und brauner Handtasche
Die mittlerweile verstorbene Irmgard Furchner, einst Sekretärin im KZ Stutthof, bei ihrem Prozess im Dezember 2022 in ItzehoeBild: Christian Charisius/AP Photo/picture alliance

Klaus Barbie, von 1942 bis 1944 Gestapo-Chef von Lyon, wegen seiner Grausamkeit nur "Schlächter von Lyon" genannt. Oder auch Kurt Lischka und Herbert Hagen, verantwortlich für die Deportation von 76.000 Juden aus Frankreich in die Vernichtungslager, darunter 11.400 Kinder. Drei der vielen Nazi-Kriegsverbrecher und Kollaborateure, die von den bekannten Nazi-Jägern Serge und Beate Klarsfeld aufgespürt und später verurteilt wurden. Und deswegen keinen ruhigen Lebensabend verbringen konnten. Im Gegensatz zu so vielen anderen Nazis, die trotz ihrer Gräueltaten unbehelligt lebten.

Der Holocaust-Überlebende und Rechtsanwalt Serge Klarsfeld schreibt der DW auf Anfrage: "Wir verfolgten nur die Verbrecher, die Entscheidungen über das Schicksal von Massen von Juden getroffen hatten, wir verfolgten nur die Anführer der Endlösung. Unsere Suche und Beteiligung an der Verhaftung von Barbie nach einem zwölfjährigen Kampf von 1971 bis 1983 hat uns in Frankreich großen Beifall eingebracht."

Französischer Orden für Beate und Serge Klarsfeld am 27.Mai 2024 in Berlin, überreicht von Präsident Macron Bild: Kay Nietfeld/AP/picture alliance

Auch in Deutschland, das jahrzehntelang die Suche nach den Tätern des Holocaust nur auf wenige führenden Köpfe beschränkt hatte, sorgte das spektakuläre Auffinden Barbies in Bolivien für Aufsehen und Zustimmung. Die Klarsfelds, die für ihr Engagement 2015 das Bundesverdienstkreuz erhielten, machten die Nazi-Jagd zu ihrer Lebensaufgabe.

Damit legten sie den Grundstein für eine historische Entscheidung des Bundestages am 3. Juli 1979: Nach einer fast 20-jährigen Debatte um die Verfolgung von NS-Verbrechen beschloss das Parlament, dass Mord und Völkermord nicht mehr verjähren dürfen. 

"Hätten die Deutschen 1954 das Gesetz von 1979 angenommen, wären die Fälle von Tausenden von Nazi-Verbrechern von Staatsanwälten und schließlich von den Gerichten geprüft worden. Doch viele Richter waren in der Nazipartei und wären ihnen gegenüber nachsichtig gewesen", erklärt Klarsfeld.

Ehemalige KZ-Sekretärin als Symbol für späte Rechtsprechung

Auf Nachsicht hofften in jüngster Zeit auch viele kleine Rädchen in der Mordmaschinerie der Nazis. So wie die im Januar im Alter von 99 Jahren verstorbene Irmgard Furchner. Die ehemalige Sekretärin im KZ Stutthof war 2022 zur Beihilfe zum Mord in über 10.000 Fällen schuldig gesprochen worden. Das Verfahren angestoßen hatte Oberstaatsanwalt Thomas Will, seit fünf Jahren Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg. Er sagt der DW:

"Unser Auftrag ist nach wie vor, noch Personen zu finden, denen der Prozess zu machen ist. Wir untersuchen weiterhin Konzentrationslager. Zu jedem Lager sind noch zahlreiche möglicherweise noch lebende Personen vorhanden, die wir noch nicht finden konnten." Doch nur noch wenige Geburtsjahrgänge kämen für eine Verfolgung in Frage. "Realistischerweise kommen nur noch 1925 bis 1927, 1928 in Betracht."

Schwierige Suche nach den letzten lebenden NS-Tätern

Vor dem Landgericht Hanau ist ein mittlerweile 100 Jahre alter ehemaliger Wachmann des Konzentrationslagers Sachsenhausen wegen Beihilfe zum Mord in über 3300 Fällen angeklagt. Diese NS-Täter fast 80 Jahre nach Kriegsende noch aufzuspüren, ist für Will und sein Team eine Herkulesaufgabe. Dass die kompletten Personendaten samt Geburtsort und Geburtsdatum vorliegen, sei eher die Ausnahme. Doch je weniger Daten, desto unwahrscheinlicher ein Erfolg. "Beispielsweise einen Karl Müller ohne weitere Zusatzinformationen ausfindig zu machen, ist ein Ding der Unmöglichkeit", so Will.

"Nachdenken über diese Prozesse und Diskussion darüber war und ist auch heute noch wichtig" - Thomas WillBild: Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg

Seitdem die Zentrale Stelle zur Aufklärung von Nazi-Verbrechen am 1.Dezember 1958 ihre Arbeit aufgenommen hat, haben sich 1,78 Millionen Karteikarten mit Personen, Tatorten und Einheiten angesammelt. Knapp 19.000 Verfahren wurden bei Staatsanwaltschaften und Gerichten in Deutschland eingeleitet. Gesucht wird aber nicht nur hierzulande, sondern weltweit, mit Hilfe des Schengener Informationssystems und Interpol. Denn viele NS-Täter sind ausgewandert.

Strafverfolgung endet nicht, weil Mord nicht verjährt

Doch wie viel Sinn macht es noch, gegen 100-jährige Greisinnen und Greise, die häufig auch für vernehmungsunfähig erklärt werden, vor Gericht zu ziehen? Thomas Will bekommt diese Frage oft gestellt und hat eine klare Antwort: "Alleine der Schuldspruch ist schon sehr wichtig, weil er, wenn auch spät, die strafrechtliche Verantwortung und Schuld feststellt. Wie wichtig dies zudem für die Angehörigen der Opfer ist, kann man gar nicht hoch genug einschätzen."

Auch Will kritisiert, dass es in Deutschland seit Ende des Zweiten Weltkriegs vor 80 Jahren zu wenige Verurteilungen gegen NS-Täter gegeben habe. Ein Grund dafür sei ein allgemeines Strafrecht gewesen, das nicht dazu gemacht gewesen sei, staatlich verordnete Massenverbrechen zu verfolgen. Außerdem sei die Grundhaltung zunächst gewesen, dass es auf der einen Seite die für alles verantwortlichen Haupttäter gab, andererseits die verführten Gehilfen des Nationalsozialismus.

"Die gesellschaftlichen Verhältnisse mussten sich erst ändern. Aber ohne Zweifel hätte es selbst damit mehr Verurteilungen geben können und geben müssen. Deshalb ist es auch wichtig, die Arbeit der Zentralen Stelle und die vielen seither entstandenen Unterlagen als Zeugnis des Umgangs der Nachkriegsgesellschaft mit ihrer NS-Vergangenheit zu verstehen."

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