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PolitikUkraine

NATO berät Waffeneinsatz der Ukraine auf russischem Gebiet

30. Mai 2024

Die NATO berät in Prag über mehr Unterstützung für die Ukraine im Abwehrkampf gegen Russland. Beschränkungen für bestimmte Waffen könnten fallen. Wird auch Deutschland zustimmen? Von Bernd Riegert, Prag.

Ukrainischer Soldat mit Artillerie-Munition in Liman (25.05.2024)
Soldat in der Ost-Ukraine: Beschränkungen beim Einsatz westlicher WaffenBild: Diego Herrera Carcedo / Anadolu/picture alliance

Vor 25 Jahren trat das Gastgeberland Tschechien der NATO bei. Vor 75 Jahren wurde die Nordatlantische Allianz gegründet. Die Außenministerinnen und Außenminister der NATO-Mitgliedsstaaten wollten in der tschechischen Hauptstadt Prag eigentlich einen freudvollen Jubiläumsgipfel Mitte Juli in Washington vorbereiten.

Doch viel Zeit wird dort zum Feiern nicht bleiben. Zu drängend sind die Probleme, allen voran der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, die irgendwann in die NATO aufgenommen werden soll. Außerdem muss sich das Verteidigungsbündnis mit seiner eigenen Verteidigungsfähigkeit, den Kosten für Rüstung und Soldaten und einem möglichen Wahlsieg des NATO-kritischen Republikaners Donald Trump in den USA auseinandersetzen.

Rote Linien neu ziehen?

Die 32 Außenministerinnen und -minister der NATO-Staaten beraten in Prag, ob Beschränkungen für den Einsatz westlicher Waffen, die der Ukraine auferlegt wurden, aufgehoben werden können. Grund sind Russlands derzeit massive Angriffe auf die ostukrainische Region Charkiw, die von russischem Territorium geführt werden. Deshalb plädieren mehr und mehr Staaten dafür, der Ukraine den Einsatz von weitreichenden Waffen gegen russische Stellungen und Anlagen in Russland zu erlauben.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte vor dem Treffen, man könne der Ukraine mit roten Linien nicht länger die Hände binden. Zuletzt hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron der Ukraine zugesichert, sie könne französische Waffen nutzen, um russische Stellungen, Depots und Abschussrampen in der Nähe Front zu neutralisieren. Großbritannien erlaubt den unbeschränkten Einsatz schon länger.

NATO-Partner Macron (mit Ost-Ukraine-Karte) und Scholz (am Dienstag): "Ans Völkerrecht halten"Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz hatte bislang den Einsatz deutscher Waffen zur Bekämpfung von Zielen in Russland abgelehnt, weil er eine weitere Eskalation fürchtet. Allerdings hatte Scholz am Dienstag gesagt, die Ukraine könne sich verteidigen, solange sie sich ans Völkerrecht halte.

Es gilt als unstrittig, dass das Kriegsvölkerrecht dem Angegriffenen erlaubt, im Rahmen der Selbstverteidigung auch Ziele auf dem Gebiet des Aggressors zu bekämpfen - egal wo sie sich befinden. Auch aus militärischer Sicht ist es nötig, Abschussrampen, Flugplätze, Munitionsdepots, Führungskommandos und andere Einrichtungen des Feindes wenn nötig tief im Hinterland zu zerstören. Anders lasse sich ein Krieg nicht gewinnen, bestätigen NATO-Militärs, die nicht namentlich genannt werden wollen.

US-Außenminister ist für Anpassung der Regeln

Entscheidend ist die Haltung der NATO-Führungsmacht USA, die die meisten Waffen an die Ukraine liefert. US-Außenminister Anthony Blinken sagte vor seiner Ankunft in Prag, eine Aufhebung der bisherigen Beschränkungen sei möglich. Man lerne aus dem Kriegsverlauf und der Situation auf den Schlachtfeldern.

US-Außenminister Blinken in Prag: "Strategie an die Lage anpassen"Bild: Petr David Josek/picture alliance/AP

"Bei jedem Schritt auf dem Weg haben wir uns angepasst und nach Bedarf umgestellt. Und genau das werden wir auch in Zukunft tun", sicherte Blinken bei einem Besuch in Moldaus Hauptstadt Chisinau zu. Amerikanische Medien berichten jedoch, dass US-Präsident Joe Biden noch nicht davon überzeugt ist, der Ukraine mehr freie Hand beim Einsatz von aus den Vereinigten Staaten gelieferten Systemen zu geben.

Eine konkrete Entscheidung wird in Prag nicht erwartet, zumal für die Einsatzbeschränkungen nicht die NATO als Bündnis, sondern die einzelnen Mitgliedsstaaten im bilateralen Verhältnis mit der Ukraine zuständig sind. Die NATO als Bündnis liefert keine Waffen, sondern nur "nicht-tödliches" Material, wie LKW oder Zelte, und kümmert sich um die Ausbildung für ukrainische Soldaten.

Weitreichende deutsche Haubitze RCH 155 (Archivbild): Angriffe, wenn nötig, tief im Hinterland?Bild: KMW/dpa/picture alliance

Aus Russland kommen derweil die üblichen Töne. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow warf der NATO vor, die Ukraine in eine Verlängerung des Krieges zu treiben. "Die NATO-Mitglieder lassen sich auf eine neue Runde der Eskalation ein und sie machen das vorsätzlich", sagte Putins Sprecher Reportern in Moskau.

Ukraine-Hilfen von Trump abkoppeln

In Zukunft soll die Nordatlantische Allianz nach Vorstellungen von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mehr Verantwortung bei der Koordination der Bewaffnung der Ukraine übernehmen. Die Hilfe für die Ukraine müsse nämlich "Trump-sicher" gemacht werden, wie das im NATO-Jargon mittlerweile heißt.

Bislang organisieren die USA in monatlichen Sitzungen der sogenannten "Ramstein"-Gruppe die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine. Vertreten sind in der nach dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Deutschland benannten Gruppe die NATO-Staaten und weitere Verbündete wie Japan oder Australien. Da befürchtet wird, dass bei einem möglichen Regierungswechsel in Washington eine Administration von Donald Trump der Ukraine nicht mehr helfen würde, sollen die Strukturen für die Koordination und Organisation jetzt von den USA auf die NATO als Bündnis übergehen.

NATO-Tagungsort Palais Czernin in Prag: Ukraine-Hilfe "Trump-sicher" machenBild: Bernd Riegert/DW

Außerdem drängt NATO-Generalsekretär Stoltenberg auf langfristige Finanzierungszusagen für die Ukraine und ein neues Hilfspaket, unabhängig davon, wer ab nächstem Jahr im Weißen Haus sitzen wird. Diese Verstetigung der Ukraine-Unterstützung soll beim Gipfeltreffen in Washington im Juli besiegelt werden.

Erste Munitionskäufe außerhalb der NATO-Staaten

Derzeit geht die Suche nach mehr Munition und Luftabwehr für die Ukraine weiter. Tschechien hatte eine Initiative zum Munitionseinkauf außerhalb Europas ins Leben gerufen. Es gebe erste Erfolge, meinte der tschechische Premier Petr Fiala. In einigen Tagen könnten mehrere Zehntausend Artillerie-Granaten an die ukrainische Armee geliefert werden. Insgesamt sind 800.000 Schuss in der Planung.

Deutschland beteiligt sich an dem Fonds zum Ankauf der Munition mit 600 Millionen Euro, der größte Einzelbeitrag aller NATO-Staaten. Seit Tschechien die Munitionsinitiative vor einigen Monaten gestartet hat, seien die Preise für Artilleriegranaten weltweit gestiegen, räumte der tschechische Regierungschef Fiala ein. Die Nachfrage bestimme leider den Preis.

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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