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PolitikEuropa

NATO beendet Afghanistan-Einsatz

Barbara Wesel
14. April 2021

Es war der längste und verlustreichste Einsatz der NATO-Partner. Der Abzug der US-Truppen im September bedeutet jetzt den Rückzug aller internationalen Kontingente. Ungewiss bleibt die politische Zukunft des Landes.

NATO-Abzug aus Afghanistan beginnt am 1. Mai
Pressekonferenz mit NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg (M.), US-Außenminister Antony Blinken (l.) und Verteidigungsminister Lloyd Austin (r.)Bild: Johanna Geron/AFP/Getty Images

"Das ist nicht das Ende, das ist der Anfang eines neuen Kapitels", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg zum Beschluss über den gemeinsamen Abzug aus Afghanistan. Jetzt liege es in den Händen der Afghanen selbst, einen nachhaltigen Frieden aufzubauen. Es sei keine leichte Entscheidung gewesen und sie berge Risiken, räumte Stoltenberg ein. Aber die Alternative zum Abzug in den nächsten Monaten wäre eine langfristige Verpflichtung mit noch mehr Truppen gewesen. Stattdessen solle der geordnete Abzug am 1. Mai beginnen und in wenigen Monaten beendet sein. 

Der Preis der Solidarität

Derzeit sind noch 36 Nationen, NATO-Staaten und Verbündete, in Afghanistan vertreten. Das Bündnis habe in den letzten 20 Jahren einen hohen Preis gezahlt, erinnerte der NATO-Generalsekretär. Rund 3500 Soldaten der Allianz sind in dem Einsatz gefallen, über 20.000 wurden verwundet. "Wir werden die Solidarität der NATO nie vergessen", versprach US-Außenminister Antony Blinken. 

Jetzt aber werde man den gemeinsamen Abzug beginnen. "Nach Jahren, in den wir gesagt haben, wir müssten irgendwann gehen" sei jetzt der Zeitpunkt gekommen, denn er glaube eine unbegrenztes Engagement in Afghanistan sei weder im Interesse der USA noch der NATO-Partner. "Wir müssen unsere Strategien den Herausforderungen des Jahres 2021 anpassen". Gleichzeitig versprach Blinken, die USA würden Afghanistan weiter unterstützen und bei der Sicherung des sozialen Fortschritts helfen - allerdings auf diplomatischem Wege. 

US-Soldaten in AfghanistanBild: Brian Harris/Planet Pix/ZUMA/picture alliance

Und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin fügte noch ein wichtiges Detail hinzu: Die USA wollten weiter Teile der afghanischen Armee wie die Luftwaffe unterstützen und die Gehälter für die Soldaten zahlen. Ohne diese Finanzhilfe würde sie allerdings auch in kürzester Zeit zusammenbrechen. "Es gibt noch zu viel Gewalt im Land", räumte Austin ein, und die Taliban wollten den Fortschritt im Land  teilweise zurückdrehen. "Aber der Präsident hat uns mit dem Rückzug eine neue Mission auferlegt", und die werde harte Arbeit, fügte der frühere US-General hinzu.  

Geordneter Abzug in vier Monaten

Derzeit sind noch rund 2500 US-Soldaten in Afghanistan. Unter ihrem Schutz werden in den nächsten Monaten etwa 7000 Angehörige internationaler Truppen abziehen. Das größte Kontingent stellt dabei Deutschland mit rund 1000 Soldaten. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer hatte direkt nach der amerikanischen Rückzugsankündigung erklärt, man sei zusammen in den Einsatz gegangen und "wir gehen zusammen raus".

Deutsche Soldaten im NATO-Camp Marmal am Rand von Mazar-i-Sharif nach einem Angriff der Taliban Bild: FARSHAD USYAN/AFP/Getty Images

Jetzt gehe es darum, "die Planungen in der NATO mit denen der USA zu synchronisieren". Die amerikanische Lufthoheit über das Land ist der militärische Schirm, unter dem die beteiligten NATO-Partner ihren Abzug organisieren müssen. Dahinter steht eine gewaltige logistische Aufgabe, um die Masse von militärischem und zivilem Material rechtzeitig außer Landes zu schaffen.

Auch die letzten rund 750 britischen Soldaten, ein Bruchteil der Kräfte, die jahrelang an der Seite der USA in vorderster Front gegen die Taliban gekämpft hatten, werden abgezogen. Das bedeutet gleichzeitig das Ende ihrer Trainingsmission in Kabul, wo sie afghanische Truppen ausgebildet hatten.

Im britischen Militär gibt es auch Kritiker des Beschlusses. "Natürlich muss dieser furchtbare Krieg eines Tages zu einem Ende kommen", erklärte Generalmajor Charlie Herbert, früherer NATO-Berater in Afghanistan. "Aber auf diese Weise unsere afghanischen Partner zu verlassen fühlt sich an wie Verrat, nicht zuletzt am afghanischen Militär, dessen Opfer wir so viele Jahre lang geteilt haben." Und Simon Diggins, ehemaliger britischer  Militärattaché in Kabul, befürchtet, dass ein bedingungsloser Abzug "den Taliban grünes Licht für die Übernahme gibt". 

Friedensprozess vorerst ungewiss

Ein Sprecher der Taliban erklärte auf Twitter, man wolle an der Doha-Vereinbarung festhalten, wonach Präsident Trump einen Rückzug der US-Truppen schon zum 1. Mai zugesagt hatte. "Wenn die Vereinbarung gebrochen wird und fremde Mächte das Land nicht bis zu diesem Zeitpunkt verlassen, werden die Probleme sicherlich größer und diejenigen dafür verantwortlich gemacht werden, die sich nicht daran halten", schrieb Zabihullah Mujahid.

US-Vertreter Zalmay Khalidzad und Mullah Abdul Ghani für die Taliban unterzeichnen ein Abkommen über den FriedensprozessBild: Hussein Sayed/AP/dp/picture alliance

Beide US-Vertreter warnten demgegenüber in Brüssel vor harten Gegenschlägen, sollten die Drohungen umgesetzt werden. Ungewiss ist allerdings derzeit, was aus der Friedenskonferenz wird, die vom 24. April an in Istanbul geplant ist. Ein Sprecher der Taliban-Delegation in Katar hatte auf Twitter angekündigt, man werde "an keiner Konferenz teilnehmen, bis alle fremden Truppen aus Afghanistan abgezogen sind".

In Istanbul soll den stockenden Friedensverhandlungen neuer Schub verliehen werden. Dabei gibt es verschiedene Szenarien, unter anderem einen US-gestützten Plan, in Kabul eine Übergangsregierung unter Einbeziehung der Taliban zu bilden, was die Ablösung von Präsident Ashraf Ghani bedeuten würde. Bislang aber sind alle Lösungsansätze theoretisch, weil niemand weiß, wie sich die Situation im Land in den nächsten Monaten entwickelt.  

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Die Vereinten Nationen erinnern in ihrem Bericht zur Situation in Afghanistan an die Opfer der jüngsten Gewaltwelle: In den ersten drei Monaten dieses Jahres wurden 573 Zivilisten getötet und über 1200 verletzt. "Wenn das Maß der Gewalt nicht sofort verringert wird, werden in diesem Jahr Tausende von Afghanen durch ihre Landsleuten getötet und verletzt", erklärte die UN-Sonderbeauftragte Deborah Lyons. Dabei seien Todesopfer unter Frauen und Kindern besonders stark angestiegen. . 

Pessimistische Zukunftserwartungen

"Ein übereilter bedingungsloser Abzug nimmt der afghanischen Regierung den Hebel, um in Istanbul eine faire Friedenslösung auszuhandeln", warnt Martin Rahimi vom US-afghanischen Friedensrat. "Er bringt auch das Risiko, das Land zu destabilisieren, erhöht die Wahrscheinlichkeit eines Bürgerkrieges und die Rückkehr von Terrorgruppen, die die lokale, regionale und globale Sicherheit gefährden".

Seit Jahren reißt die Reihe der Anschläge gegen Zivilisten und zivile Ziele in Afghanistan nicht ab - die UN verzeichneten über 500 Todesopfer in drei Monaten Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Wali Sarhadi

Er sieht wie viele weitere Beobachter Afghanistans Zukunft pessimistisch. "Dies ist nicht das Ende des Krieges, es ist nur das Ende seiner direkten amerikanischen Phase", schreibt Eliot A. Cohen von der Johns-Hopkins-Universität in "The Atlantic". Der Krieg werde auch nach dem US-Abzug weitergehen und  die "brutal-fundamentalistischen Taliban" ermächtigen, die weiter foltern und morden würden, während sie Fortschritte bei der Frauenbildung und jeder Art von Säkularismus zurückdrehten.

"Die Afghanen kämpfen jetzt mit der Unsicherheit, besonders weil der Friedensprozess (durch die US-Verhandlungen mit den Taliban) schon begonnen hat", sagt Ali Jawar Adili vom Netzwerk der Afghanistan-Experten. Die Gespräche hätten zwar dazu geführt, dass internationale Truppen im Land nicht mehr angegriffen wurden. Dagegen erlebten aber die Afghanen die Wucht der steigenden Angriffe und gezielten Tötungen. "Bei diesen Morden werden die Menschen zum Ziel genommen, die künftig Partner der internationalen Gemeinschaft sein müssten", sie würden dadurch ausgelöscht.

Wie sieht Adili die Behauptung, die NATO habe bei dem Einsatz ihre Ziele? Es sei eine Frage der Definition, erklärt der Politologe, aber wenn das Ziel gewesen sei, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für militante Gruppen und extremistische Terroristen mehr ist, dann habe man es verfehlt. "Afghanistan hat keine stabile Regierung, die politischen Prozesse stecken fest und die Taliban sind dabei, ihre militärische Rückkehr zu organisieren".

Der deutsche Afghanistan-Experte Thomas Ruttig erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur epd: "Eine Machtübernahme der Taliban ist eine Gefahr für die Menschenrechte". Sie nutzten ihre starke politische und militärische Position voll aus. Und in Kabul fand Parlamentspräsident Rahman Rahmani ähnlich deutliche Worte Es sei nicht die richtige Zeit für einen Rückzug der internationalen Truppen, er werde die Lage im Land "weiter verschlechtern und sogar einen Bürgerkrieg auslösen".

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