1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikEuropa

NATO will Moskau entschlossen entgegentreten

Teri Schultz
30. November 2021

Findet die NATO das richtige Gleichgewicht zwischen Abschreckung und diplomatischem Geschick, um den Kreml zum Einlenken zu bewegen? In der Nähe der russischen Grenze ringt das Bündnis um den richtigen Weg.

Großbritannien Royal Navy | HMS Queen Elizabeth
Die HMS Queen Elizabeth ist das Aushängeschild der britischen Royal NavyBild: picture-alliance/empics/A. Matthews

"Wir sind diejenigen, die die anderen nachts wach halten": Diese Wirkung erhofft sich Brigadegeneral Simon Doran vom US Marine Corps von der Machtdemonstration der NATO auf die russischen Militärs. Doran ist der ranghöchste amerikanische Vertreter bei der britischen Carrier Strike Group 21 (CSG21). Die hier gebündelten Seestreitkräfte befinden sich nach einem sieben Monate andauernden Einsatz auf dem Rückweg ins britische Portsmouth. Auf den Weltmeeren hatten die Streitkräfte an Angriffen gegen den "Islamischen Staat" teilgenommen, chinesische U-Boote verfolgt und Übungen im Schwarzen Meer durchgeführt. "Die CSG21", betonte Doran, "ist überall einsatzbereit".

Der General hofft, "dass wir nicht nur potenzielle Gegner abschrecken, sondern auch allen unseren Partnern und Verbündeten die Gewissheit geben, dass wir da sind, wenn man uns ruft". Eine der wichtigsten Regionen für die NATO ist derzeit wahrscheinlich das Schwarze Meer, wo die CSG21 im Juni militärische Übungen durchführte. Die Spannungen haben in der Region wieder zugenommen, da Russland seine Truppenpräsenz an der Grenze zur Ukraine erneut verstärkt hat.

"Hybride Angriffe" sorgen für höchste Alarmbereitschaft

Danach kam es zur - von Belarus herbeigeführten  und, wie viele behaupten, von Moskau unterstützten - Flüchtlingskrise an den Grenzen zu den NATO-Verbündeten Lettland, Litauen und insbesondere Polen. Der Westen hat den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko beschuldigt, die Migranten bewusst dafür einzusetzen, die Europäische Union zu destabilisieren.

"Überall einsatzbereit" - Brigadegeneral Simon DoranBild: Teri Schultz/DW

Polens Präsident Andrzej Duda erklärte, dass die Geschehnisse an der belarussischen Grenze und die Verstärkung der russischen Truppen an der Grenze zur Ukraine nicht getrennt voneinander betrachtet werden können. Letzte Woche bat Duda bei einem Besuch des NATO-Hauptquartiers in Brüssel um "eine Verstärkung der Luftraumüberwachung" sowie "der Erhöhung der Bereitschaft der NATO-Einheiten entlang der Ostflanke des Bündnisses."

Für das am Dienstag beginnende Treffen der NATO-Außenminister, das in Lettlands Hauptstadt Riga, nur 200 Kilometer von der russischen Grenze, stattfindet, steht also besonders viel auf dem Spiel. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg wies am Samstag darauf hin, dass es "das zweite Mal in diesem Jahr ist, dass Russland eine große und ungewöhnliche Konzentration von Streitkräften in der Region zusammengezogen hat". Darunter befänden sich "Panzer, Artillerie, Drohnen und elektronische Kriegsführungssysteme sowie kampfbereite Truppen."

NATO warnt vor "Konsequenzen" - aber welche?

Stoltenberg sagte, der Schritt erhöhe die Spannungen und berge die Gefahr von Fehleinschätzungen. Er warnte auch, dass jede Anwendung von Gewalt gegen die Ukraine Konsequenzen für Russland haben werde.

Nun ringt die NATO mit der Frage, wie sie den Kreml zum Rückzug bewegen kann. "Alle Optionen liegen auf dem Tisch, und es ist nun an der Allianz zu entscheiden, welche Schritte die NATO als Nächstes unternehmen will", sagte Karen Donfried, die stellvertretende US-Außenministerin für europäische und eurasische Angelegenheiten, am Freitag. "Es gibt einen Zusammenhalt unter den Verbündeten, was die Unterstützung für die Ukraine angeht, und es ist nicht hinnehmbar, dass Russland weiterhin potenziell militärische Maßnahmen gegen die Ukraine ergreift."

Zeigte sich besorgt: NATO-Generalsekretär Jens StoltenbergBild: NATO

Ganz so einfach sei es jedoch nicht, sagt ein hochrangiger US-Diplomat, der zwar befugt war, sich zu diesem Thema zu äußern, aber nicht namentlich genannt werden wollte. Die  NATO befinde sich in einem "klassischen Dilemma im Abschreckungsspiel": "Wenn wir auf der einen Seite sagen, dass es eindeutig Konsequenzen hätte, wenn Russland eine solche Aktion durchführt, dann sollte man sich auch darüber im Klaren sein, was das für Konsequenzen sein sollen."

Andererseits, so fügte er hinzu, wolle man nicht in eine Situation geraten, die zu einer ungewollten Dynamik beitrage. Es gehe also darum, "die richtigen Signale und die richtige Abschreckungshaltung zu finden, die tatsächlich eher zu einer Deeskalation führen."

NATO-Truppen bei einem gemeinsamen Manöver in Estland und Lettland im Oktober 2020Bild: Raigo Pajula/AFP/Getty Images

Funktioniert die Abschreckung?

NATO-Diplomaten neigen dazu, die Abschreckungsstrategie des Bündnisses im Frühjahr, nach der schon einmal eine russische Aufrüstung ohne Zwischenfälle deeskaliert werden konnte, als "Erfolg" darzustellen. Doch nur wenige Monate später sind die russischen Truppen zurück, und dieses Mal sollen sie Berichten zufolge auch Feldlazarette eingerichtet haben, was als Zeichen für einen möglichen Konflikt gewertet wird.

Die NATO hätte mehr tun können, um diese Situation zu verhindern, ist Lauren Speranza überzeugt. Die Expertin für transatlantische Verteidigung und Sicherheit am Center for European Policy Analysis (CEPA), kritisiert, dass die NATO es nicht geschafft habe, den russischen Präsidenten Wladimir Putin die Grenzen aufzuzeigen. 

"Russlands 'hybride Kampagnen' sind weit verbreitet und finden im gesamten Bündnis statt", sagte Speranza gegenüber der DW. "Es reicht nicht aus, auf einzelne Vorfälle zu reagieren." Das Bündnis müsse enger mit der EU zusammenarbeiten, um "koordiniertere, verhältnismäßige Gegenmaßnahmen" aufzustellen.

Ein Satellitenbild vom 1. November 2021 zeigt die Konzentration russischer Truppen nahe Jelnja im äußersten Westen RusslandsBild: Maxar Technologies/AFP

"Dies könnte sorgfältig kalibrierte offensive Cybermanöver, diplomatische Ausweisungen und die Beschlagnahmung oder das Einfrieren von russischem Staatsvermögen beinhalten", sagte sie. Putin würde nicht erwarten, dass die Verbündeten die Maßnahmen geschlossen und politisch einheitlich durchführten. Dies könnte ihn dazu bringen," sein Kalkül zu ändern."

Putin isolieren

Solange sich Russlands Haltung nicht ändere, sollten die NATO und die Regierungen der Verbündeten aufhören, dem russischen Präsidenten zu schmeicheln und ihn wie einen Dialogpartner zu behandeln, fordert die unabhängige Russland-Analystin Olga Lautman. So solle NATO-Generalsekretär Stoltenberg keine Treffen des NATO-Russland-Rates einberufen, bevor diese "aggressiven Aktionen" aufhörten.

"Der Westen stellt Putin als großen Strategen dar - das ist er nicht", sagte sie der DW. "Im Moment testet er, wie ernst es uns ist." Lautman befürchtet, "dass er in den nächsten Wochen in die Ukraine einmarschieren wird". Gleichzeitig probiere er jedoch auch, wie weit er gehen könne, bevor er eine Art Kompromiss oder einen weiteren Gipfel bekomme. "Er muss einfach isoliert werden."

Symbolische Abschreckung per Flugzeugträger: Die HMS Queen Elizabeth Bild: Teri Schultz/DW

In der Zwischenzeit werden die Truppen an Bord der HMS Queen Elizabeth weiterhin Botschaften an den Kreml senden. "Die Tatsache, dass der Flugzeugträger das Schwarze Meer durchquert und seine Fähigkeiten unter Beweis gestellt hat, beweist, dass die Verteidigung des euro-atlantischen Raums für die NATO absolut im Vordergrund steht", sagte General Tim Radford, der stellvertretende Oberbefehlshaber der NATO in Europa, vergangene Woche an Bord des Schiffes. "Das Gebiet und der gesamte euro-atlantische Raum werden ständig überwacht, sei es im Norden, im Süden oder in der Schwarzmeerregion."

Aus dem Englischen adaptiert von Thomas Latschan