Erweiterung mit Problemen
25. April 2008Als 1949 die Nordatlantikvertrag-Organisation (NATO) gegründet wurde, war die Allianz auf eine "kollektive Verteidigung" ausgerichtet. Die Mitglieder verständigten sich auf eine gegenseitige Verteidigung im Falle eines Angriffes von außen.
Für mehr als die Hälfte des 20. Jahrhunderts war diese außenstehende Seite die Sowjetunion. Kurz nach der Unterzeichnung des Gründungsvertrages der NATO verhärteten sich die Fronten: im Kalten Krieg standen sich die NATO-Mitglieder und die Unterzeichner des Warschauer Paktes 40 Jahre lang erbittert gegenüber. Bis zum Zusammenbruch der Sowjetunion im Jahre 1991 war es das Hauptziel der NATO, die Gefahr einzudämmen, die man hinter ihren Ostgrenzen vermutete.
Seit dem Wegbrechen der sowjetischen Gefahr hat sich das Vorgehen der NATO in Europa allerdings geändert. Vom Verteidigen der Ostgrenzen ist es zum Verschieben dieser Grenzen gekommen - so weit östlich wie eben möglich. Im Jahr 2004 verzeichnete die Allianz die größte Erweiterung ihrer Geschichte: Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, Slowakei und Slowenien – Länder, die früher alle Teil der Sowjetunion oder des Warschauer Paktes waren.
NATO gibt Erweiterung als ein Zeichen von Stabilität vor
Es sieht nicht danach aus, dass die Erweiterung hier aufhört. Fünf weitere Staaten stehen auf der diesjährigen NATO-Beitrittsliste. Die Mitgliedschaft von Albanien, Kroatien und Mazedonien würde das gesamte Bemühen der NATO, die unruhige Balkanregion zu stabilisieren unterstreichen und ihre dortige Rolle verstärken. Der mögliche östliche Vorstoß ´gen Ukraine und noch weiter nach Georgien hat aber Fragen aufgeworfen. Fragen zu den Motiven der NATO und zur Annäherung an ihren früheren Feind aus dem Kalten Krieg – Russland.
Die offizielle Linie der NATO besagt, dass eine Mitgliedschaft in der Allianz Stabilität und Sicherheit mit sich bringt. Die Länder, die für einen Beitritt vorgesehen sind, haben in letzter Zeit alle in irgendeiner Form einen Umbruch und Instabilität erlebt.
"Der Balkan wurde von der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo von Serbien erneut erschüttert", sagte Charles Kupchan, leitender Wissenschaftler für Europäische Studien im Washingtoner Rat für Auslandsbeziehungen gegenüber DW-WORLD.DE. "Eine NATO-Mitgliedschaft für Albanien, Kroatien und Mazedonien kann dabei helfen, die Region inmitten dieser neuen Unsicherheit zu stabilisieren. Denn in den bisherigen Erweiterungsrunden führten die Vorbereitungen auf eine Mitgliedschaft zu einer Verbesserung der demokratischen Regierung und der zivilen Kontrolle des Militärs."
Dan Plesch ist Direktor des Zentrums für Internationale Studien und Diplomatie in London und Autor von Themen zur internationalen Sicherheit. Er glaubt, dass hinter den Plänen der NATO mehr steckt, als das, was offiziell verkündet wird.
"Die öffentliche Erklärung ignoriert Russland", sagt Plesch. "Während die NATO und vor allen Dingen ihre europäischen Mitglieder kein eigenes Ziel regionaler Vorherrschaft um Russland herum behaupten, kann man das von den USA nicht behaupten. Für manche in den USA ist die NATO einfach ein Vehikel, eine andere Möglichkeit, ihre klare Weltmacht auszubauen. Das explizite Ziel Washingtons ist die regionale Vorherrschaft."
Die vorgeschlagene Erweiterung der strategischen NATO-Verteidigung um die ehemaligen Sowjetgebiete hat Russland verärgert. Trotz der Beschwichtigung US-Präsident Bushs während eines kürzlich stattgefundenen bilateralen Gipfels glaubt der scheidende russische Präsident Putin, dass die NATO-Erweiterung um die Ukraine und Georgien eine direkte Gefahr für Russland darstellt.´
"Das Erscheinen eines mächtigen Militärblocks an unseren Grenzen wird von Russland als eine direkte Gefahr seiner Sicherheit betrachtet", sagte Putin beim NATO-Gipfel in Buklarest zu Beginn des Monats. Ebenso bestritt er das Argument der NATO, dass Russland von stabilen westlich-gesicherten Demokratien als Nachbarn profitieren würde. "Der Beitritt Lettlands zur NATO hat für die vielen Tausend Menschen des Landes nichts geändert", sagte Putin. "Die NATO ist kein Demokratisierer."
Dan Plesch stimmt zu, dass das Argument der NATO realistisch betrachtet bröckelt. "Der lettische Fall zeigt doch, dass die NATO Probleme hat, wenn sie sich selbst überfordert. Wenn Probleme in weit abgelegen NATO-Gebieten andauern und die Staaten nicht unterstützt werden, stellt das die NATO als bedeutungslose Allianz bloß."
Russland: spielt es das Spiel mit oder ist es in Gefahr?
Auf die Möglichkeit der NATO-Erweiterung um die Ukraine und Georgien hat Russland mit kriegerischen Warnungen reagiert, die an Sowjet-Rhetorik aus dem Kalten Krieg erinnern. Im Februar warnte Putin, dass Russland "Gegenmaßnahmen" ergreifen könnte, wenn die Ukraine Mitglied der NATO werden würde. Er schlug vor, das Russland seine Raketen auf Kiew richten könnte.
Anfang April relativierte ein führender russischer General Putins Aussage indem er sagte, dass Russland "militärische und andere" Schritte unternehmen würde, wenn die Ukraine und Georgien der NATO beitreten würden.
Einige Experten nehmen an, dass Präsident Putin die Stärke Russlands gegenüber einer sich anbahnenden Gefahr unterstreicht. Andere glauben, dass Putin und sein designierter Nachfolger, Dmitrij Medwedew, wirklich besorgt sind – und das mit Grund.
"Die NATO will Russland weder einkreisen noch versichert sie regionale Vorherrschaft. Stattdessen will sie neuen Mitgliedern Stabilität, Sicherung und Abschreckung signalisieren", sagt Charles Kupchan. "In Wirklichkeit bringt die NATO-Erweiterung trotzdem mehr westlichen Einfluss mit sich und richtet neue Mitglieder nach der Euro-Atlantischen-Gemeinschaft aus. Diese Wiederausrichtung ist einer der Gründe, warum Russland gegen die Erweiterung ist: es minimiert den geopolitischen Einfluss Moskaus. So ist die NATO-Erweiterung in gewissem Sinne schon eine Absicherung gegen die mögliche Rückkehr von Russlands Ambitionen."
Es gibt wachsende Sorgen, dass die NATO-Ausweitung ein neues Wettrüsten mit Russland nach sich zieht. Und dazu führt, dass der Kreml eine härtere Haltung gegenüber den sozialen Spannungen einnimmt, die durch die schwindelerregenden Verteidigungskosten entstanden sind.
"Der schlimmste Fall wäre eine Wiederkehr der militärischen Rivalität zwischen der NATO und Russland. Aber diese Möglichkeit ist fern," sagt Kupchan. "Es ist eher möglich, dass Russland sich im Kaukasus mehr einmischt und es weniger russische Kooperation bei den Themen von Rüstungskontrolle, über Iran bis hin zum US-Raketenabwehr und dem Kosovo geben wird."
Ob es dazu kommt, ist fraglich. Denn es ist unwahrscheinlich, dass die Ukraine und Georgien in nächster Zeit NATO-Mitglieder werden, trotz des "Mitgliedschaft-Aktionsplans" der Ukraine, der eine nochmalige Prüfung im Dezember vorsieht.
Die Spannungen – die zweifelsohne weiterköcheln und sich möglicherweise bis zur Lösung der momentanen Situation verschärfen werden – zwischen all jenen mit einem Interesse an der Erweiterung, sind mindestens so wichtig, wie der eigentliche Beitritt.