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NATO-Operation gegen Jugoslawien: Legitimation für Russland?

23. März 2024

Vor 25 Jahren griff die NATO Jugoslawien an, um eine "humanitäre Katastrophe" im Kosovo abzuwenden. Ein Vergleich mit Russlands Krieg gegen die Ukraine hinkt, und zwar kräftig.

US-Luftwaffenbasis auf dem Flughafen von Tirana
Sündenfall im Völkerrecht: Bietet die NATO-Intervention im Kosovo 1999 Russland heute valide Argumente für den Krieg gegen die Ukraine?Bild: epa AFP Coex/dpa/picture-alliance

Nach monatelangen ergebnislosen Verhandlungen griff die NATO am 24. März 1999 in den Bürgerkrieg zwischen der jugoslawischen Armee und serbischen Sicherheitskräften auf der einen Seite und der UCK-Miliz im Kosovo auf der anderen Seite ein. Die ultranationalistische UCK kämpfte für die Unabhängigkeit des Kosovo. Mit Luftangriffen auf Ziele in Serbien wollten die NATO-Staaten den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic dazu zwingen, ethnische Säuberungen im Kosovo zu beenden Die von den Vereinten Nationen befürchtete humanitäre Katastrophe im Kosovo sollte so abgewendet werden.

Ein UN-Mandat für die Militärschläge, bei denen trotz des Einsatzes von Präzisionswaffen Zivilisten getötet wurden, gab es nicht. Die NATO-Staaten mandatierten sich unter Führung von US-Präsident Bill Clinton kurzerhand selbst. Diese "humanitäre Intervention" sei nötig, um Schlimmeres zu verhindern, lautete die Begründung. Außerdem sollten UN-Resolutionen durchgesetzt werden, die Jugoslawien nicht umgesetzt hatte.

April 1999: Der Präsident Jugoslawiens, Slobodan Milosevic (re.), trifft den Anführer der Kosovo-Albaner, Ibrahim Rugova in BelgradBild: picture-alliance/dpa

Nach 25 Jahren ist die Mehrheit der Juristen, die sich mit Völkerrecht beschäftigen, allerdings der Auffassung, dass der NATO-Einsatz so nicht vom internationalen Recht gedeckt war.

Moralisch geboten, aber nicht vom Recht gedeckt?

"Wenn Sie nach der herrschenden Meinung fragen, dann war es ein Verstoß. Bereits im Vorfeld war gesagt worden, nur mit einer Ermächtigung des Sicherheitsrates würden überhaupt militärische Maßnahmen gegen Serbien ergriffen. Andere Rechtfertigungsgründe kommen nicht in Betracht, jedenfalls nach herrschender Meinung", meint Professor Wolff Heintschel von Heineigg im Gespräch mit der DW.  Heintschel von Heinegg lehrt und forscht zu Völkerrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder.

Vor 25 Jahren: Die NATO bombardiert Jugoslawien

05:06

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Die Gründe, die von westlichen Politikern für das Eingreifen der NATO angeführt wurden, reichten von Schutz der Bevölkerung im Kosovo über eine Stabilisierung der Lage auf dem von Kriegen erschütterten West-Balkan bis zur Blockade im UN-Sicherheitsrat durch Russland und China. Auch der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer sprach von einer Intervention, die moralisch geboten sei, um Massaker wie in Bosnien-Herzegowina zu verhindern. "Das sind ja alles schöne Überlegungen. Aber das Völkerrecht wird nicht von einer kleinen Gruppe gemacht und es ist auch kein Gewohnheitsrecht. Da brauchen wir eine überwältigende Mehrheit der Staaten. Und die haben wir halt nicht", sagt der Völkerrechtler Wolff Heintschel von Heinegg dazu.

Russland biegt sich eine Begründung zurecht

Der Angriff der NATO auf Jugoslawien, der erst am 10. Juni 1999 mit dem Einlenken von Slobodan Milosevic endete, war eine Art völkerrechtlicher Sündenfall. "Die Argumentation, die von den acht NATO-Staaten vorgebracht wurde, die an dieser Kosovo-Kampagne beteiligt waren, haben wir dann wieder gehört, als es um die Annexion der Krim ging", beschreibt Wolff Heintschel von Heinegg die Folgen.

Tiefe Wunden in Belgrad: Das frührere Innenministerium wurde 1999 von NATO-Bombern zerstört und so als Mahnmal erhalten (Archivfoto 24.03.2023)Bild: ANDREJ ISAKOVIC/AFP/Getty Images

Bei der Annexion der Krim berief sich Russland 2014 auf den vermeintlichen Präzedenzfall, um die Bevölkerung der Krim vor angeblicher Bedrohung zu schützen. Das gleiche Muster bemühte Russlands Machthaber Wladimir Putin nach dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022. Putin behauptete, die Bevölkerung der Ost-Ukraine habe um Hilfe gebeten und berief sich auf die UN-Charta als Rechtfertigung für die "Sonder-Militäroperation".

Das Urteil des Völkerrechtlers Wolff Heintschel von Heinegg über diese Begründung ist eindeutig: "Selbst wenn man die humanitäre Intervention anerkennt, sind natürlich die russischen Argumente absurd. Es kann keine Rede davon sein, dass die Verhältnisse, die damals im Kosovo herrschten - ich erwähne nur die berühmt berüchtigten ethnischen Säuberungen -  auf der Krim herrschten und auch nicht in der Südost-Ukraine herrschen."

Parallelen zur NATO-Argumentation von 1999: Machthaber Putin rechtfertigt seinen Angriff 2022 mit "Hilfe für die bedrängte Bevölkerung"Bild: Dmitri Lovetsky/AP/picture alliance

Keine Rechtfertigung für Krieg gegen die Ukraine

Die Lage vor 25 Jahren auf dem Westbalkan ist also mit der Situation in der Ukraine heute nicht zu vergleichen. Der russische Einmarsch und der breit angelegte Krieg gegen die Ukraine bleiben völkerrechtlich illegal. "Das ist die Quittung für den Kosovo-Einsatz: Wir werden jetzt mit denselben Argumenten konfrontiert, die wir damals vorgebracht haben, auch wenn sich die Faktenlage natürlich grundlegend voneinander unterscheidet", so Heintschel von Heinegg von der Europa-Universität in Frankfurt/Oder.

Die juristische Aufarbeitung der NATO-Operation gegen Jugoslawien verlief sowohl beim Jugoslawien-Tribunal der Vereinten Nationen als auch vor internationalen Gerichtshöfen im Sande. Im aktuellen Fall des Ukraine-Krieges hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag bereits im März 2022 angeordnet, dass Russland alle Kampfhandlungen in der Ukraine einzustellen habe. Russland ignoriert die Anordnung jedoch. Das Hauptverfahren, in dem es um die Völkermords-Konvention geht, läuft noch.

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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