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Politik

NATO-Gipfel: China als möglicher Gegner

4. Dezember 2019

Die Allianz hat China zum ersten Mal als Herausforderung und Chance ausgemacht. Sie will die Politik Pekings näher analysieren. Warum hat die NATO Angst vor China? Die Themen Rüstung und Telekommunikation sind heikel.

BG Waffensysteme der VR China | Gonji-11
Neue Waffen zum 70. Geburtstag Chinas: Parade in Peking im Oktober 2019Bild: picture-alliance/dpa/TASS/Z. Rusinova

Der Text der Abschlusserklärung des NATO-Treffens von London erwähnt China zum ersten Mal als mögliche Bedrohung für das Bündnis. "Wir erkennen an, dass Chinas wachsender Einfluss und seine internationale Politik sowohl Herausforderungen als auch Chancen bedeuten, die wir zusammen als Allianz angehen müssen", heißt es in dem Dokument.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg will China aber (noch) nicht als neuen Gegner oder gar Feind der NATO ansehen. "Es geht nicht darum, dass die NATO jetzt an das südchinesische Meer vorstößt. Aber wir sollten bedenken, dass China näher an uns heranrückt", sagte Stoltenberg in London und meinte chinesische Aktivitäten in der Arktis, in Afrika und in Europa, die erst einmal nichts mit klassischer militärischer Rüstung zu tun haben.

Dieser Satz in der Abschlusserklärung "bedeutet nicht, dass China jetzt bereits ein Feind ist", sagte auch US-Verteidigungsminister Mark Esper. China sei eine strategische Herausforderung. Aber: "Wir müssen vorbereitet sein für den Fall, dass sich die Dinge nicht so entwickeln, wie wir möchten."

Im Brüsseler Hauptquartier der NATO wird schon länger über China nachgedachtBild: Imago Images/photothek/T. Trutschel

Warum genau macht sich die westliche Allianz Sorgen? Vor allem wegen der folgenden acht Punkte.

RÜSTUNG: China gibt sehr viel Geld für Rüstung und sein Militär aus. Die chinesische Führung modernisiert ihre Waffensysteme und die Marine. Die NATO will darauf hinwirken, dass sei bei strategischen und interkontinentalen Atomwaffen auf jeden Fall die Oberhand behält. Die Marineeinheiten der NATO - gemeint ist hier vor allem die Pazifikflotte der USA - sollten denen Chinas ebenbürtig sein. Nach den USA hat China mit rund 160 Milliarden US-Dollar den weltweit zweitgrößten Verteidigungshaushalt. Die USA liegen mit 630 Milliarden US-Dollar mit weitem Abstand vorn.

KOOPERATION: China kauft in großem Stil Waffen beim NATO-Gegner Russland. Im Gegenzug verkaufen chinesische Firmen den Russen dringend benötigte Maschinen und Infrastruktur für die Gas- und Erdölindustrie. Diese kann Russland seit 2014 - seit Sanktionen der westlichen Staaten wegen der Annexion der Krim in Kraft traten - nirgendwo sonst mehr erwerben. Die Zusammenarbeit der beiden mächtigsten Staaten im Osten wird bei der NATO nervös beobachtet.

"Es ist noch nicht ganz klar, wie strategisch sich diese Partnerschaft entwickeln wird, aber die NATO könnte sich einem Szenario ausgesetzt sehen, in dem sich Russland und China mehr und mehr annähern. Was würde das für den Zusammenhalt und die Lastenteilung in der NATO bedeuten?", fragt der Dozent Marc Ozawa vom NATO Defense College, einer Art Denkfabrik der NATO mit Sitz in Rom. Die hybride, asymmetrische Kriegsführung, die Russland in der Ukraine anwendet, haben sich die russischen Militärs zumindest teilweise von der chinesischen Armee abgeschaut, die diese Taktik mit entwickelt haben soll. Das meint das Den Haager Zentrum für strategische Studien in einer Analyse.

Soldaten in der Provinz Xinjang: Die Armee wird im Innern gegen Uiguren eingesetztBild: picture-alliance/EPA/D. Azubel

KOMMUNIKATION: Die USA drängen darauf, den chinesischen Konzern Huawei vom Ausbau der Telekommunikationsinfrastruktur auszuschließen. Die USA befürchten Spionage und mögliche Sabotage durch den staatlich gelenkten Konzern. Die europäischen NATO-Staaten wollen Huawei nicht von vorneherein vom Ausbau der 5G-Funknetze fernhalten, sondern fordern allgemeine Sicherheitsstandards, die einzuhalten seien. Aufgabe der NATO wird es sein, die Risiken chinesischer Infrastruktur in der Telekommunikation genau abzuschätzen und Wege zu finden, wie die Kommunikation aufrecht erhalten werden kann, sollte es zu Cyber-Angriffen kommen. Die USA verlangen hier härteres Auftreten, was zum Beispiel der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel missfällt. Sie argumentiert, dass gute wirtschaftliche Beziehungen zu China für Deutschland und andere europäische Staaten wichtig sind.

INFRASTRUKTUR: China hat 16 osteuropäische und südosteuropäische Staaten in seiner sogenannten Seidenstraßen-Initiative versammelt, vergibt billige Kredite und baut Infrastruktur in den Staaten auf, zu denen auch NATO- und EU-Mitglieder gehören. Hauptnutznießer sind derzeit noch die fünf westlichen Balkanstaaten, die nicht der NATO angehören. Dorthin flossen in den Jahren 2016 und 2017 etwas mehr als neun Milliarden Euro. EU-Kommissar Johannes Hahn, bis vor kurzem für die EU-Erweiterung und den Balkan zuständig, sagte schon Anfang des Jahres, dass der Westen den Einfluss Russland überschätze und den Einfluss Chinas unterschätze.

Nicht auf einer Linie in der China-Politik: Frankreichs Präsident Macron (li.) und Präsident Trump in LondonBild: Reuters/L. Marin

AFRIKA: China ist in Rohstoff-reichen Ländern Afrikas aktiv, gewährt dort billige Kredite und baut mit eigenen Firmen Infrastruktur wie Straßen, Eisenbahnen und Kraftwerke. Diese Investitionen häufen in den betroffenen Staaten oft hohe Schulden an, die zu einer großen Abhängigkeit von Peking führen könnten. Während die Europäer bei ihren Entwicklungsinvestitionen auf gute Regierungsführung und möglichst geringe Korruption Wert legen, spielen diese Überlegungen bei staatlichen chinesischen Investoren kaum eine Rolle.

ARKTIS: Die NATO befürchtet, dass auf diese Weise der Einfluss Chinas nicht nur in Afrika, sondern auch in anderen Teilen der Welt wachsen wird. 2018 veröffentlichte die chinesische Führung ein "Weißbuch zur arktischen Politik". Obwohl kein Anrainer der Arktis, entwirft China darin seinen Anspruch auf Teile des Gebiets. Mit umfangreichen Investitionen sollen sich chinesische Firmen an der Erschließung und Ausbeutung der Arktis beteiligen.

PERSISCHER GOLF: Im Nahen und Mittleren Osten könnte China seine mehr oder weniger neutrale Rolle der vergangenen Jahrzehnte irgendwann verlassen. Sein Einfluss durch massive Investitionen im Rahmen der Seidenstraße, auch Belt-and-Road-Initiative genannt, steigt besonders im Iran, der einer der Dreh- und Angelpunkte der neuen Seidenstraße ist. Je mehr sich die Feindschaft zwischen den USA und dem Iran verhärtet, je schwächer die Bindung durch den gescheiterten Deal zur Begrenzung der iranischen Atomwaffen wird, desto stärker stößt China in diese Lücke vor, glauben Analysten in der NATO-Zentrale in Brüssel.

SÜDCHINESISCHES MEER: China beansprucht Inseln im südchinesischen Meer, die nach Auffassung der USA zu anderen südostasiatischen Staaten gehören, mit denen die USA verbündet sind. Militärische Provokationen Chinas in der Region könnten irgendwann zu einem echten Konflikt führen. Die NATO selber wäre zwar nicht direkt involviert, aber das größte NATO-Land USA. Wäre dann Beistand der übrigen Bündnispartner nötig?

Noch keine einheitliche Politik

In manchen Konfliktfeldern, die auch wirtschaftliche Interessen berühren, arbeiten die 29 Mitgliedsstaaten nicht nur gegen China, sondern auch gegen die eigenen Bündnispartner innerhalb der NATO. Zum Beispiel machen die zahlreichen Handelskonflikte, die US-Präsident Donald Trump vom Zaun bricht, nicht vor der NATO-Tür halt. Nicht nur China wird mit US-amerikanischen Strafzöllen belegt, sondern auch Deutschland, Frankreich und andere. Das könnte China und Europäer auf einer anderen Ebene gegen die NATO-Führungsmacht USA zusammenschweißen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat öffentlich bezweifelt, dass Russland und China überhaupt noch als die klassischen Gegner angesehen werden sollten. Er will sich mehr auf den Kampf gegen Terroristen konzentrieren. Deshalb, glaubt Tomas Valasek von der Denkfabrik Carnegie Europe, werde es wohl auch noch etwas dauern, bis die NATO tatsächlich eine einheitliche China-Politik entwickeln könne. Auf Dauer, räumt Valasek ein, könne China "ein größeres Problem werden als Russland, das sich aber viel langsamer entwickelt".

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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