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NATO sucht neue Russland-Strategie

Bernd Riegert14. Mai 2015

Am Strand von Antalya suchen Touristen Entspannung und die NATO-Außenminister eigentlich auch. Sie wollen das Verhältnis zu Russland entspannen und neu ordnen, sobald Moskau das ermöglicht. Bernd Riegert aus Antalya.

Strand von Antalya (Foto: Fotolia)
Bild: Mikael Damkier - Fotolia.com

Es war eigentlich wie immer bei den NATO-Außenministertreffen seit der Annexion der ukrainischen Krim-Halbinsel im Schwarzen Meer durch Russland im März 2014: Offiziell scharfe Warnungen und Mahnungen durch den NATO-Generalsekretär an die Adresse Moskaus. Doch hinter den verschlossenen Türen debattierten die Außenminister im türkischen Badeort Belek bei Antalya intensiv darüber, wie sie das Verhältnis zu Russland wieder verbessern können und welche langfristige Strategie sie fahren sollen.

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte nach einem Treffen mit dem ukrainischen Außenminister Pawlo Klimkin, im Ukraine-Konflikt trügen beide Seiten Verantwortung für die Einhaltung des Waffenstillstands, aber es seien vor allem Russland und die pro-russischen Rebellen, die die Vereinbarungen von Minsk für eine politische Lösung der Krise unterliefen. "Wir fordern Russland auf, seine vorsätzliche Destabilisierung der Ostukraine zu beenden. Russland sollte seine Unterstützung für die Separatisten einstellen, seine Truppe aus der Ukraine und von den Grenzen zur Ukraine abziehen, und eine politische Lösung voll mittragen", betonte Stoltenberg zum wiederholten Male vor Journalisten. Russland wiederum bestreitet genauso regelmäßig seine direkte Beteiligung an den Kämpfen in der Ostukraine.

Schulterschluss wie immer: Stoltenberg (re.) und Klimkin (2.v.l.)Bild: NATO

NATO warnt vor Atomwaffen

Die Annexion der Krim, so Stoltenberg, werde niemals anerkannt. Zusammen mit dem NATO-Befehlshaber in Europa, US-General Philip Breedlove, warnte Stoltenberg eindringlich vor Atomwaffen auf der Krim. "Wir verurteilen die andauernde militärische Aufrüstung, die Russland auf der Krim-Halbinsel betreibt. Wir sind sehr besorgt, über Äußerungen, dass in Zukunft russische Atomwaffen oder Trägersysteme auf der Krim stationiert werden könnten." Der russische Präsident Wladimir Putin hatte selbst vor einigen Wochen von einer Alarmierung der Atomstreitkraft Russlands gesprochen, die er bei der Besetzung der Krim erwogen habe. Russische Regierungsvertreter hatten mehrfach eine Verlegung entsprechender Waffen angedeutet.

Die Außenminister der östlichen NATO-Mitglieder, des Baltikums und Polens, sehen sich in die Zeit des Kalten Krieges zurückkatapultiert, nur dass sie bei diesem neuen Ost-West-Konflikt diesmal auf der westlichen Seite stehen und Russland der Gegner ist, so NATO-Diplomaten. Balten und Polen verlangen die Verlegung von mehr NATO-Truppen in ihre Länder. Die bereits beschlossene schnelle Eingreiftruppe, die nicht permanent stationiert wird, sondern rotiert, reicht den östlichen NATO-Staaten nicht. Je weiter westlich oder südlich die NATO-Staaten liegen, desto weniger bedrohlich wird die Ukraine-Krise empfunden. Offiziell stünden zwar alle NATO-Mitglieder hinter der harten Haltung, aber über die zukünftige Strategie gäbe es durchaus unterschiedliche Auffassungen, hört man am Rande des Außenministertreffens. Griechenland zum Beispiel und auch das Gastgeberland Türkei treten für einen "pragmatischen" Ansatz ein.

Noch kein Wendepunkt

US-Außenminister John Kerry klang bei seinem kurzen Besuch in Antalya zuversichtlicher als üblich, dass Russland ernsthaft an einer politischen Lösung und Umsetzung der Minsker Vereinbarungen zur Ukraine interessiert sei. Kerry hatte am Dienstag mit dem russischen Präsidenten Putin konferiert. Überhaupt hätten sich die Russen in den vergangenen sechs Wochen "weicher", "kooperationsbereiter" und "flexibler " gezeigt als in den Monaten zuvor, hieß es bei der NATO. Die USA als größtes NATO-Mitgliedsland hätten weltpolitische Probleme von Iran bis Nordkorea im Blick, zu deren Lösung sie Russland als Partner bräuchten, allein um im Weltsicherheitsrat Resolutionen durchsetzen zu können.

Steinmeier: Vorsichtige PrognoseBild: Getty Images/Afp

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sieht leichte Bewegung im Verhältnis zu Russland, weil erstmals Arbeitsgruppen zur Umsetzung der Minsker Friedensvereinbarung tagen sollen. "Ich freue mich darüber, dass wir Fortschritte erreicht haben mit der Einrichtung der Arbeitsgruppen. Wir sind aber noch nicht an dem Wendepunkt, an dem man Entspannung signalisieren könnte."

Die politischen Kontakte zwischen der Militärallianz NATO und Russland bleiben auf allen politischen Ebenen eingefroren. Immerhin sprechen jetzt die Militärs wieder miteinander, um "fatale Missverständnisse" zu vermeiden. Der "heiße Draht" zwischen den Militärstäben sei reaktiviert worden, bestätigte die NATO in Antalya noch einmal. Das Bündnis hatte in den vergangenen Monaten verstärkt Übungen russischer Marine- und Luftwaffeneinheiten am Rande des NATO-Gebietes registriert. Die NATO ihrerseits lässt ihre Soldaten an ihrer Ostgrenze mehr Übungen abhalten als zuvor. Im Juni ist ein erstes großes Manöver der "Speerspitze", der neuen schnellen Eingreiftruppe geplant.

Dazu kommt der wirtschaftliche Druck auf Russland durch Sanktionen. Der wird voraussichtlich nicht gelockert, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs im Juni über eine Verlängerung entscheiden, meinte Steinmeier. "Ich habe jetzt in Europa jedenfalls keine Beiträge gehört, die sich nach einer Steigerung der Sanktionen anhören, aber sehr wohl viele Meinungen, die auf die Aufrechterhaltung des Druckes drängen."

Abwehr "hybrider" Angriffe

Die Außenminister berieten auch Konzepte, wie die Allianz künftig mit der von Russland angewendeten "hybriden" Kriegsführung umgehen soll. Unter "hybrid" verstehen die Militärs eine Mischung aus zivilen Aufständen, Milizen ohne Hoheitsabzeichen, Propaganda in den Medien, wirtschaftlichem Druck und klassischen Soldaten. Gegen die "grünen Männchen", also russische Spezialkräfte, die zum Beispiel zu Beginn des Konflikts auf die Krim eingesickert sind, hilft aus der Sicht der NATO keine klassische Armee, sondern sie brauche eigene Spezialkräfte, Cyber-Kriegsführung im Internet, möglicherweise eine Art Gegenpropaganda und wirtschaftlichen Druck auf die Hintermänner. Ab welcher Schwelle der "hybriden" Kriegsführung die NATO dann als Verteidigungsbündnis gefordert ist, ist eine der vielen offenen Fragen. "Wir stehen noch ganz am Anfang der Diskussion und das ist auch kein Geheimnis", sagte Bundesaußenminister Steinmeier. Diese Fragen wollen die 28 Minister des Bündnisses spätestens bis zum nächsten Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs im Juli 2016 in Warschau klären. Dann soll eine neue NATO-Strategie für Russland beschlossen werden.

Bild: DW/R. Goncharenko

Zur Abwehr "hybrider" Attacken will die NATO stärker mit der Europäischen Union zusammenarbeiten. Die Außenbeauftragte der EU, Federica Mogherini, war zum üblichen Meinungsaustausch zwischen EU und NATO in die Türkei gekommen. Seit Jahren versuchen die zivile Staatenunion und das Militärbündnis Gemeinsamkeiten zu finden. Das bleibt aber wegen der unterschiedlichen Interessen schwierig. Zwar ist die Mehrzahl der EU-Staaten auch in der NATO, aber die USA, Kanada und die Türkei verfolgen oft andere Ziele als die EU. Einige EU-Staaten, wie Österreich, Schweden oder Irland, die nicht Mitglied der NATO sind, sehen eine militärische Zusammenarbeit eher skeptisch.

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