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NATO und Türkei: Fünf Fragen

Bernd Riegert2. August 2016

Die Militärallianz hat nach dem vereitelten Putsch in der Türkei nur wenig Einfluss auf das Land. Die NATO kann die Regierung in Ankara mahnen - strafen kann sie nicht. Bernd Riegert aus Brüssel.

F-16 Jet
Stützpunkt in der Türkei: US-Kampfjet startet über die Moschee von Incirlik hinwegBild: picture-alliance/dpa

Wie reagiert die NATO auf die Entwicklung in der Türkei?

Die USA schickten ihren höchsten Militär nach Ankara, um den Schaden in den Beziehungen zwischen den USA, der Türkei und der restlichen NATO einzudämmen. Der Generalstabschef der USA, Joseph Dunford, versicherte, die USA würden sich weiter für die Demokratie in der Türkei einsetzen. Er verurteilte den versuchten Militärputsch.

Das gleiche hatte der Generalsekretär der Allianz, Jens Stoltenberg, bereits zwei Tage nach dem Putschversuch in einem Telefonat mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan getan. Stoltenberg sagte aber auch, dass die Türkei ihre eigene demokratische Ordnung, Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte achten müsse.

Der türkischen Regierung missfällt diese, ihrer Meinung nach sehr zurückhaltende Solidarität. Erdogan selbst forderte in Interviews die Besuche von hochrangigen Politikern in der Türkei ein. Die "Säuberung" des türkischen Militärs von mutmaßlichen Putschisten hat die NATO bislang nicht offiziell kommentiert. Die eigenen Soldaten in NATO-Stäben auszutauschen, sei das gute Recht jedes Mitgliedsstaates, heißt es in Brüssel.

Mitglied seit 1952: Türkische Flagge vor dem NATO-Hauptquartier in BrüsselBild: picture-alliance/dpa/J. Warnand

Dürfen der NATO nur demokratische Staaten angehören?

Die Präambel des NATO-Vertrages bezieht sich unter anderem auf demokratische Werte und Grundlagen. Aber während des Kalten Krieges war man in der Allianz nicht so zimperlich. Portugal wurde 1949, als es die NATO mitgründete, von einem Diktator beherrscht. Im Laufe der NATO-Geschichte wurden die Mitglieder Türkei und Griechenland nach Staatsstreichen für eine gewisse Zeit vom Militär regiert.

Seit dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er Jahren wird die politische Wertgemeinschaft der NATO deutlicher betont. Besonders die neu aufgenommenen Mitglieder sollten demokratische Rechtsstaaten sein. Die NATO ist aber politisch viel weniger eng verwoben als die Europäischen Union. Die Mitgliedsländer Türkei und Griechenland beispielsweise begegnen sich wegen des Zypernkonflikts immer noch äußerst misstrauisch. Die USA hatten nach der türkischen Besetzung Nordzyperns 1975 ein Waffenembargo gegen den NATO-Partner Türkei verhängt.

Wie wichtig ist die Türkei im NATO-Verbund?

Die US-Luftwaffe unterhält in Incirlik nahe der Stadt Adana einen großen Luftwaffenstützpunkt mit rund 2000 Soldaten. Er dient als Basis für die Luftangriffe auf Stellungen der Terrororganisation IS in Syrien und im Irak. Incirlik spielte auch bei den Kriegen am Persischen Golf und der Afghanistan-Mission der NATO eine wichtige Rolle. Dort sind auch 250 Bundeswehrsoldaten mit Tornado-Aufklärungsflugzeugen und einem Betankungsflugzeug provisorisch stationiert.

Incirlik ist keine Einrichtung der NATO. Die gibt es aber in der westtürkischen Hafenstadt Izmir. Dort arbeitet eines der fünf NATO-Hauptquartiere, das für größere Operationen der Landstreitkräfte und deren Koordinierung zuständig ist. LANDCOM, so die Abkürzung, untersteht dem NATO-Oberbefehlshaber in Europa. In Izmir gibt es einen weiteren wichtigen Militärflughafen der US-Streitkräfte.

Insgesamt schätzt man die Zahl der teilweise von NATO-Truppen genutzten Einrichtungen auf 20 Standorte in der Türkei. Die türkische Armee ist die zweigrößte in der NATO nach den US-Streitkräften. Die Türken waren bislang an allen NATO-Operationen in Afghanisten, auf dem Balkan, in Syrien oder Libyen beteiligt. Außerdem hat die NATO ein Radarsystem für die Raketenabwehr in Europa gerade frisch in der Türkei installiert.

Geopolitisch sei die Türkei an der Südostflanke zu den Krisenherden im Nahen Osten und am Schwarzen Meer äußerst wichtigt, sagen Militärexperten. Aber das solle man auch nicht überbewerten, meint der ehemalige Chef des Militärausschusses der NATO, der deutsche General a. D. Harald Kujat. Die Türkei sei schon immer ein Verbündeter gewesen, auf den man sich nicht zu 100 Prozent verlassen könne, sagte Kujat im Deutschlandradio. Auch im Kampf gegen den IS sei ihre Rolle anfänglich eher "dubios" gewesen.

Wird es Streit um die Luftwaffenbasis Incirlik geben?

Präsident Erdogan verlangt von den USA lautstark die Auslieferung des Geistlichen Fethullah Gülen, den er für den Drahtzieher des Umsturzversuches hält. Die US-Behörden wollen das Gesuch prüfen, sobald die Türkei Beweise vorlegt. Gülen, der in den USA lebt, streitet jede Verbindung zu den Putschisten ab.

Die Türkei hatte erst vor zwei Jahren den USA das Recht eingeräumt, die Basis Incirlik für Luftschläge gegen den IS zu nutzen. Das könnte sie als Druckmittel im Streit um eine Auslieferung Gülens nutzen. Die Regierung in Ankara kritisiert zudem, das die USA auch kurdische Gruppen im Kampf gegen den IS in Syrien unterstützen. Diese Kurden hält sie für Terroristen.

Mit dem NATO-Mitglied Deutschland liefert sich die Türkei ebenfalls eine Fehde. Da geht es um die Armenien-Resolution des Bundestages. Das Parlament hatte den Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich vor über hundert Jahren kritisiert, was die Türkei als Angriff wertet. Deshalb dürfen zurzeit keine deutschen Abgeordneten die Bundeswehrsoldaten in Incirlik besuchen. Sollte das nicht bald wieder möglich sein, könnte der Bundestag die deutschen Soldaten aus der Türkei abziehen.

Kann die NATO die Türkei zwingen oder ausschließen?

Der NATO-Vertrag sieht weder den Austritt noch Strafen noch ein Ausschlussverfahren vor. Der Washingtoner Vertrag kann nur vom Mitgliedsland selbst aufgekündigt werden. Die Gremien der NATO in Brüssel können höchstens politischen Druck auf die Türkei ausüben, damit die Regierung rechtsstaalich handelt und den herrschenden Ausnahmezustand nicht ausnutzt.

Die Bedeutung und Leistungsfähigkeit der türkischen Streitkräfte in der NATO werde durch den versuchten Militärputsch abnehmen, meint der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber in Europa, James Stavridis. "Leider ist es wahrscheinlich, dass der Fokus nach dem Coup auf den internen Angelegheiten des Militärs, auf endlosen Untersuchungen und Loyalitätsüberprüfungen liegen wird", meint Admiral a. D. Stavridis in einer Analyse für das Internetportal "Foreign Policy".

Das Militär werde um seine Stellung im Staat ringen."Das wird einen lähmenden Effekt auf die militärische Einsatzfähigkeit haben. Einige Aktivitäten auf der Luftwaffenbasis Incirlik gehen zwar weiter, aber die Kooperation mit der Türkei insgesamt ist auf vielen NATO- und US-amerikanischen Kanälen eingefroren", warnt Stavridis.

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