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Politik

NATO: Truppenaufmarsch im Osten

6. Januar 2017

Die USA haben mit einer Truppenverlegung an den Ostrand des Bündnisses begonnen. Doch es gibt Zweifel, ob die NATO das Baltikum im Ernstfall verteidigen könnte.

USA Verlegung US Truppen für Europa in Bremerhaven
Bild: Getty Images/AFP/P. Stollarz

Bundeswehr-Generalmajor Josef Blotz nennt es eine "logistische Großoperation". Drei Frachter löschen derzeit in Bremerhaven ihre Ladung: Waffen und Ausrüstung der Panzerbrigade der 4. US-Infanteriedivision. Insgesamt 900 Güterwagen, die zusammengehängt 14 Kilometer lang wären, werden in den nächsten Tagen durch Norddeutschland und dann weiter nach Polen rollen, dazu zahlreiche Lastwagenkolonnen.

Die Operation "Atlantic Resolve" sei ein Zeichen des fortdauernden US-Engagements für Europa zur Stabilisierung des Friedens, so Timothy McGuire, der stellvertretende Oberbefehlshaber der US-Landstreitkräfte in Europa, in Bremerhaven. Die US-Regierung hatte im vergangenen Jahr angekündigt, dauerhaft eine zusätzliche Kampfbrigade nach Europa zu schicken. Präsident Barack Obama will vor allem Polen, Esten, Letten und Litauern versichern, dass die USA militärisch zu ihnen stehen. Die Länder hören das gerne. Sie fühlen sich durch die russische Aggression in der Ukraine bedroht. Gleichzeitig haben sie vom designierten Präsidenten Donald Trump im Wahlkampf Zweifel an unbedingter amerikanischer Bündnistreue herausgehört.

Die Amerikaner sind Teil einer größer angelegten NATO-Strategie. Von diesem Jahr an stationiert das Bündnis vier multinationale Kampfverbände mit je rund tausend Soldaten in Polen und den drei baltischen Staaten. Das geht auf einen Beschluss des NATO-Gipfels vergangenen Sommer in Warschau zurück. Zur Stärkung der NATO-Präsenz im Osten gehört auch die Stationierung eines deutschen Bataillons mit bis zu 500 Soldaten in Litauen nördlich der sogenannten Lücke von Suwalki. Dieser schmale Landkorridor von nur rund 65 Kilometern Luftlinie verbindet die NATO-Länder Polen und Litauen und gilt als Achillesferse der NATO bei einer möglichen Verteidigung der baltischen Staaten.

Viele Osteuropäer haben Angst, dass sich Putin mit Trump auf ihre Kosten einigtBild: picture-alliance/AP Photo/M. Kulbis

Säbelrasseln oder defensive Friedenssicherung?

Die politische Auseinandersetzung um die Aufrüstung der NATO an ihrer Ostflanke erreichte beim Warschauer Gipfel bereits einen Höhepunkt. Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach damals von "Säbelrasseln und Kriegsgeheul" und wurde heftig wegen einer angeblich zu russlandfreundlichen Haltung kritisiert. Der Streit geht mit der Truppenverlegung der Amerikaner jetzt in eine neue Runde. Sabine Lösing von der Linkenfraktion im Europaparlament warnt sogar: "Dieser Militäraufmarsch kann als konkrete Kriegsvorbereitung gesehen werden und dürfte wohl unliebsame Gegenreaktionen auslösen."

Auch in der Politik Brandenburgs, durch das die Militärzüge rollen werden, gab es am Freitag dazu einen Schlagabtausch. SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke warnte: "Es hilft uns nicht weiter, wenn Panzer auf beiden Seiten der Grenze auf und ab fahren." Der CDU-Fraktionsvorsitzende Ingo Senftleben zeigte sich irritiert darüber, zumal Woidke Beauftragter der Bundesregierung für Polen ist: "Die Unterstützung durch die USA und andere NATO-Partner wie auch Deutschland findet im Rahmen der vertraglichen Regelung der NATO und auf ausdrücklichen Wunsch Polens statt."

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte die Operation vor wenigen Tagen als "maßvoll und defensiv" verteidigt und sie als Friedenssicherung begründet: "Wir befinden uns in einer Situation, in der die russische Seite intensiv aufrüstet und sich gewillt zeigt, Gewalt gegen seinen Nachbarn Ukraine anzuwenden."  Es gehe um eine "begrenzte, multinationale Präsenz, die zeigen soll, dass wir zusammenstehen und einander schützen."

Die Suwalki-Lücke, Achillesferse der NATO bei einer Verteidigung des BaltikumsBild: DW

Stoltenberg will auch nichts von einer künftigen Abkehr der USA unter Trump von den europäischen Verbündeten wissen: Trump habe ihm "gesagt, dass er sich der NATO und dem transatlantischen Bund verpflichtet fühlt. Zudem hat der US-Kongress gerade erst eine Vervierfachung des Budgets für die US-Präsenz in Europa beschlossen. Deswegen bin ich zuversichtlich, dass die USA zu ihren Verpflichtungen stehen werden." Andererseits will auch Stoltenberg den Dialog mit Russland. "Es gibt keinen Widerspruch zwischen Abschreckung, Verteidigung und Dialog."

Das Baltikum ist im Ernstfall nicht zu halten

Ein entscheidender Satz Stoltenbergs dürfte allerdings in den östlichen NATO-Ländern für Ärger sorgen. Stoltenberg sagte zu einer angeblichen russischen Bedrohung: "Von Russland geht keine unmittelbare Gefahr für einen Bündnispartner aus." Gleichzeitig relativierte er den Umfang der NATO-Präsenz an der Ostseite des Bündnisses durch die jetzt angelaufene Operation: "Es geht um ein paar tausend Soldaten im Vergleich zu zehntausenden russischen Soldaten."

In genau diesen Zahlenverhältnissen sehen Strategen das Problem. Denn wenn Russland wollte, könnte es dank seiner haushohen militärischen Überlegenheit in der Region zumindest die drei baltischen NATO-Staaten mühelos einnehmen. Zu diesem Ergebnis kommen westliche Verteidigungspolitiker. In einer Analyse der amerikanischen Denkfabrik RAND, an der der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber Wesley Clark und der frühere NATO-Kommandeur Egon Ramms mitgearbeitet haben, heißt es, Russland könne die Landverbindung zwischen Polen und dem Baltikum, die Suwalki-Lücke, leicht kappen. Die Infanterie der NATO "wäre nicht einmal imstande, sich zurückzuziehen. Sie würde an Ort und Stelle zerstört werden." Es bliebe nur der Versuch einer Rückeroberung des Baltikums. Doch das werde "im Desaster" enden. Für die Balten sind das keine beruhigenden Ergebnisse.

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