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PolitikEuropa

Auferstehung: NATO-Russland-Rat tagt

11. Januar 2022

Nach bilateralen Gesprächen zwischen den USA und Russland wird in Brüssel weiter verhandelt. Der NATO-Russland-Rat tritt zusammen, um eine gewisse Entspannung der Beziehungen einzuleiten. Von Bernd Riegert, Brüssel.

Belgien I Nato-Hauptquartiers in Brüssel
Forum für reanimierten Austausch: Russland kehrt zum gemeinsamen Rat ins NATO-Hauptquartier in Brüssel zurückBild: Benoit Doppagne/dpa/picture alliance

An diesem Mittwoch versuchen sich die Vertreter der NATO und Russlands an der Wiederbelebung eines diplomatischen Formats: Der "NATO-Russland-Rat" (NRR) soll wieder zusammenkommen. Die russische Regierung hatte im Herbst 2021 ihre Diplomaten bei der NATO de facto abgezogen. Zuvor hatte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg den meisten bereits ihre Akkreditierung entzogen. Die Spannungen zwischen der Allianz und Moskau erreichten somit einen Höhepunkt.

Wegen der Truppenbewegungen an der russisch-ukrainischen Grenze, wegen der Unterstützung Belarus' durch Moskau und wegen der zahlreichen Menschenrechtsverletzungen in Russland zog die NATO den Stecker. Das hatte aber kaum praktische Folgen, denn der NRR hatte bereits seit 2019 nicht mehr getagt.

Jetzt soll das Beratungsgremium, in dem sich laut Statuten die 30 NATO-Mitglieder und Russland auf Augenhöhe zum Austausch über sicherheits- und militärpolitische Fragen begegnen sollen, zum ersten Mal wieder tagen. Russland hatte nach Darstellung der NATO eine ständig ausgesprochene Einladung angenommen, nachdem US-Präsident Joe Biden und der russische Präsident Wladimir Putin wegen der Spannungen rund um die Ukraine im Dezember zweimal telefoniert hatten. Der Westen wirft Russland vor, mit bis zu 100.000 Soldaten eine Invasion der Ukraine vorzubereiten. Moskau bestreitet das.

Stoltenberg sichert der ukrainischen Vize-Premier Stefanishyna Unterstützung zu - trotz russischer EinwändeBild: YVES HERMAN/REUTERS

"Wetterfeste Plattform für Beratungen"

Im NATO-Russland-Rat auf Botschafterebene am Mittwoch stehen die russischen Forderungen nach Sicherheitsgarantien und einem Ende der Osterweiterung zur Debatte. Ebenso wird es um die Vorwürfe der NATO an den russischen Präsidenten Wladimir Putin, der die Souveränität seiner Nachbarstaaten zu achten habe, gehen. "Ich glaube, der NATO-Russland-Rat ist eine wichtige Plattform, eine wetterfeste Plattform für Beratungen, für Dialog mit Russland. Besonders dann, wenn die Spannungen hoch sind, wenn wir Drohungen und Spannungen wie gerade erleben, dann ist es wichtig, dass es diese Institution gibt, dass wir sie nutzen, dass wir reden", sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Montag zur Vorbereitung der Gespräche.

Russland hat seit Monaten Truppen an der ukrainischen Grenzen zusammengezogenBild: AP /picture alliance

Von 2002 bis 2008, von seiner Gründung bis zum Krieg Russlands mit Georgien, erlebte der NATO-Russland-Rat seine fruchtbarsten Zeiten. Damals tagte das Gremium jeden Monat, manchmal sogar auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs. Mehr oder weniger völlig lahmgelegt wurde der gemeinsame Rat dann von 2014 an, als Präsident Putin die ukrainische Halbinsel Krim annektieren ließund anfing, Separatisten in den östlichen Regionen der Ukraine zu unterstützen. Die NATO weigerte sich, mit Russland über politische Themen zu sprechen. Fortan ging es nur noch darum, praktische militärische Fragen wie Kommunikationswege im Falle einer Krise oder der Austausch von Daten über Manöver und Truppenbewegungen sporadisch zu besprechen.

Keine Zugeständnisse an Moskau 

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hofft, dass man wenigstens über diese praktische Fragen mit den russischen Vertretern im Gespräch bleiben kann. Auch Fragen der Rüstungskontrolle oder Truppenstationierung an der NATO-Ostgrenze könnten angesprochen werden, hatte die stellvertretende US-Außenministerin Wendy Sherman angekündigt. Zugeständnisse an Moskau soll es am Mittwoch nicht geben, so Stoltenberg. Im Gegenteil. Am Montag empfing Jens Stoltenberg noch einmal die stellvertretende Regierungschefin der Ukraine, Olga Stefanishyna. Ihr wurde erneut zugesichert, dass die NATO den Weg der Ukraine in die Allianz unterstützt.

Bilaterale Gespräche der Großmächte: US-Vize-Außenministerin Sherman (li.), russischer Kollege RyabkowBild: Denis Balibouse/KEYSTONE/REUTERS/dpa/picture alliance

Am Montag hatten sich in Genf in der US-Botschaft bereits die stellvertretende amerikanische Außenministerin Wendy Sherman und ihr russischer Amtskollege Sergej Ryabkow zu bilateralen Gesprächen getroffen. Dieser "strategische Dialog" über die Sicherheit in Europa führte nicht zu einer Änderung der bekannten Positionen, hatten Sherman und Ryabkow anschließend erklärt. "Wir hatten den Eindruck, dass die amerikanische Seite, die russischen Vorschläge sehr ernst genommen hat", sagte Rjabkow am Montag in Genf.

"Wir haben unseren Kollegen erklärt, dass wir keine Pläne und nicht die Absicht haben, die Ukraine anzugreifen. Es gibt keinen Grund für solche Befürchtungen." Diesem Eindruck widersprach die stellvertretende US-Außenministerin entschieden. Die russischen Vorschläge, die NATO-Osterweiterung vertraglich zu stoppen, seien ein "Rohrkrepierer", so Wendy Sherman. "Wir werden niemandem erlauben, die offene Tür in der NATO zuzuschlagen."

Das waren noch andere Zeiten: Russlands Präsident Putin beim NATO-Russland-Rat 2008. Die NATO sagte der Ukraine und Georgien die Mitgliedschaft zu. Danach ging es bergab. Bild: Vladimir Rodionov/dpa/picture-alliance

Nächster Halt: OSZE, EU

Nach den Gesprächen in Genf und Brüssel folgen am Donnerstag noch Beratungen im Rahmen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). In diesem Staatenbund, der 1975 im Kalten Krieg entstand, sind sowohl die USA als auch Russland Mitglied. Außerdem wollen sich die Außenminister der EU am Donnerstag und Freitag mit Russland, der europäischen Sicherheitspolitik und der Rolle der EU auch mit Blick auf NATO und USA befassen. Der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, hatte den USA und Russland indirekt vorgeworfen, sie verhandelten über die Köpfe der Betroffenen hinweg. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock machte sich bei einem Besuch in Rom am Montag noch einmal dafür stark, dass seit 2019 eingefrorene sogenannte "Normandie-Format" wiederzubeleben. Hier würden Russland und die Ukraine unter Vermittlung der EU-Mitglieder Frankreich und Deutschland direkt miteinander verhandeln.

"Zeit gewinnen für die Diplomatie"

Die gesamte Woche ist also mit Beratungen der verschiedensten Gremien über sicherheitspolitische Fragen in Europa ausgefüllt. Der russisch-amerikanische Politikexperte Dmitri Alperowitsch bewertet dies im Gespräch mit der Deutschen Welle so: "Ich glaube wirklich, dass es positiv ist die Spannungen zu senken, aber im Grunde genommen müssen wir uns weiter der Möglichkeit stellen, dass ein Krieg durchaus kommen kann."

Alperowitsch ist Chef des "Silverado policy accelerator", einer Denkfabrik in den USA. Wenn sich beide Seiten jetzt auf mehr Gespräche über Rüstungskontrolle einließen, sei das positiv, weil diese sich über Jahre hinziehen könnten. "In dieser Zeit würde man natürlich Krieg vermeiden können. Der bestmögliche Ausweg aus der Situation ist eine zeitliche Verzögerung, Zeit gewinnen für die Diplomatie."

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht das ähnlich und findet es gut, dass Russland an den Tisch zurückgekehrt ist. Er warnte aber vor zu hohen Erwartungen. "Diese Treffen werden nicht alle Probleme lösen", sagte Stoltenberg und verwies darauf, dass er schon aus seiner Zeit als norwegischer Ministerpräsident wisse, dass und wie man mit Russen Kompromisse schmieden könne.

"Ich hoffe, es gibt guten Willen auf beiden Seiten, auch auf russischer Seite. Bei der NATO ist er da", sagte er. Es ginge um Engagement für einen neuen Prozess, um bewaffnete Konflikte in Europa zu verhindern. "Wir wollen eine Vereinbarung über einen Weg nach vorne erreichen - über einen Prozess und über eine Serie von weiteren Treffen."

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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