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PolitikEuropa

NATO: Russland darf nicht gewinnen

Bernd Riegert Bukarest
30. November 2022

US-Außenminister Blinken deutet Planung für bessere Verteidigung der ukranischen Infrastruktur an. Die NATO befasst sich erstmals mit China. Aus Bukarest Bernd Riegert.

NATO-Außenmister am runden Tisch mit Flaggen im Hintergrund beim NATO-Außenministertreffen in Bukarest, Rumänien
NATO-Rat in Bukarest. Wie umgehen mit Russland, China und vielen anderen Herausforderungen?Bild: Andreea Alexandru/AP/picture alliance

Der Außenminister des größten und militärisch bedeutendsten NATO-Mitgliedes gibt traditionell die abschließende Pressekonferenz bei Treffen des NATO-Rates. Anthony Blinken aus den USA machte es nach dem Treffen in Bukarest nicht anders und behält damit die Deutungshoheit über das, was bei den Beratungen in Rumänien wirklich wichtig war. Während die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock nach kurzem Statement schon auf dem Weg zum nächsten Treffen, diesmal der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im polnischen Lodz, war, machte Blinken den Kurs der Allianz ausführlich klar.

Er verurteilte die Kriegführung des russischen Machthabers Wladimir Putin in aller Schärfe, weil er flächendeckend die Infrastruktur in der Ukraine angreife, um den Menschen ihre Lebensgrundlage zu entziehen. "Er richtet sein Feuer auf Zivilisten. Diese Brutalisierung der Kriegsführung ist barbarisch", sagte Blinken im monumentalen Marmorpalast in Bukarest, den in den 1980er Jahren der Diktator Nicolae Ceausescu errichten ließ und in dem mittlerweile das Parlament Rumäniens residiert. Die NATO sei vereinter denn je, so Blinken. "Seine Strategie ist bisher nicht aufgegangen und sie wird nicht aufgehen. Wir werden Putin beweisen, dass er sich irrt." Die USA haben bislang Waffen im Wert von 19 Milliarden Dollar an die Ukraine geliefert. Alle übrigen 29 NATO-Staaten haben sich laut Blinken mit weiteren 21 Milliarden Dollar beteiligt.

Außenminister Blinken, Generalsekretär Stoltenberg: Die USA bestimmen in der NATO, wo es langgeht Bild: Vadim Ghirdau/AFP/Getty Images

Wunsch nach Patriots bleibt

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba wiederholte in Bukarest seine Forderung nach mehr Raketenabwehr für die Ukraine. "Wir brauchen Patriots", sagte Kuleba. Ob die USA oder andere Verbündete, etwa Deutschland, Abwehrsysteme vom Typ Patriot, in die Ukraine verlegen könnten, ist aber sehr ungewiss. Die Systeme müssten weiterhin von NATO-Soldaten bedient werden, weil ansonsten eine monatelange Ausbildung von ukrainischen Soldaten erforderlich wäre. Damit würde die NATO aber unweigerlich zur direkten Kriegspartei, was sie bisher stets um jeden Preis vermeiden wollte. Nicht die NATO als Organisation rüstet die Ukraine aus, sondern die einzelnen Mitgliedsstaaten tun dies bilateral. 

Der amerikanische Außenminister Blinken deutete an, dass die USA zumindest über eine Verstärkung der Raketenabwehr nachdenken. "Wir arbeiten dringlich daran, so viel von der Infrastruktur zu reparieren wie möglich. Gleichzeitig müssen wir die Infrastruktur so gut wie möglich verteidigen. Darüber machen sich unsere militärischen Planer jetzt Gedanken", sagte Blinken. Es habe keinen Sinn Kraftwerke und Stromleitungen wieder aufzubauen, die dann wieder durch russische Angriffe zerstört würden. Einzelheiten nannte der US-Außenminister nicht.

Deutsche Außenministerin Baerbock will Selbstverteidigung der Ukraine stärkenBild: Bernd Riegert/DW

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte bereits am Dienstag gesagt, dass die "Diskussionen um die Patriots weitergehe." Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock äußerte sich ebenfalls vage. "Die militärische Unterstützung und die Winterhilfe sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Natürlich sind wir kontinuierlich im Austausch mit der Ukraine und der NATO wie wir die Selbstverteidigung stärken können", sagte Baerbock in Bukarest. NATO-Diplomaten sehen nicht, wie Deutschland Patriot-Einheiten - wie von Polen vorgeschlagen - direkt in die Ukraine verlegen könnte. Dazu müsse die NATO ihre Zustimmung geben, da die Patriots in die NATO-Luftverteidigung eingebunden seien. Außerdem hätten die USA ein Wörtchen mitzureden, da sie die Patriot-System der Bundeswehr zur Verfügung gestellt hätten.

Verhältnis zu China neu ordnen

Die NATO hat sich am zweiten Tag ihres Treffens in Rumänien nicht nur mit Russland, sondern auch zum ersten Mal förmlich mit den Herausforderungen und Bedrohungen befasst, die von China ausgehen, das sich als enger Verbündeter Russlands geriert. Im neuen strategischen Konzept der Allianz wird die kommunistische Diktatur China als langfristiger Konkurrent und systemischer Rivale angesehen. "Wir wollen keinen Konflikt mit China. Wir wollen Konflikte vermeiden. Wir wollen keinen kalten Krieg", stellte US-Verteidigungsminister Anthony Blinken klar. "Wir wollen die Wirtschaftsräume nicht entkoppeln, aber müssen mit klarem Blick die Herausforderungen sehen."

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ergänzte, dass der aktuelle Konflikt mit Russland zeige, wie gefährlich Abhängigkeiten von einem Lieferanten und von einer einzigen Lieferkette seien. Mehr Unabhängigkeit und Widerstandsfähigkeit seien gefragt. "Wir müssen unsere Abhängigkeiten erkennen, unsere Verwundbarkeit reduzieren und Risiken managen", forderte Stoltenberg.

Chinesische Produkte sollen aus kritischer Infrastruktur in Europa und den USA herausgehalten werden. Exporte von sicherheitsrelevanter Technologie nach China sollte unterbleiben, so die Überlegungen in der NATO. Allerdings sind nicht alle 30 Mitgliedsstaaten auf dem gleichen strikten Kurs die NATO-Führungsmacht USA. "Die Übereinstimmung in der NATO und auch mit der Europäischen Union nimmt zu", meinte dazu US-Außenminister Anthony Blinken.

Italiens Außenminister Tajani: China ist der beste Freund Russlands und ein möglicher ZugangBild: Bernd Riegert/DW

Man brauche China aber, um auf Russland Einfluss zu nehmen und auf einen Frieden in der Ukraine hinzuwirken, sagte der italienische Außenminister Antonio Tajani. "China ist zurzeit der beste Freund Russland. Wenn es darum geht, in Russland irgendwas zu erreichen, braucht man China. Das ist nicht einfach", sagte Tajani der Deutschen Welle. Auch die wirtschaftlichen Beziehungen und der Markt in China seien enorm wichtig. "Es geht nicht darum, die NATO nach Asien auszuweiten", stellte US-Außenminister Blinken klar.

Unterstützung für bedrängte Staaten

Die NATO beriet sich am Mittwoch mit Georgien, Moldau und Bosnien-Herzegowina, drei Staaten, die wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine in unterschiedlicher Weise unter Druck stehen. Mit Georgien, dessen Provinzen Abchasien und Südossetien von Russland besetzt sind, will die NATO weiter militärisch zusammenarbeiten. Georgien strebt einen Beitritts zur Allianz an, der ihm 2008 bei einem Gipfeltreffen eben hier in Bukarest zugesichert worden war. Moldaus Energieversorgung ist durch russische Angriffe auf die benachbarte Ukraine stark beeinträchtigt. Das Land soll Winterhilfen von den NATO-Staaten erhalten. Im politisch labilen Bosnien-Herzegowina soll der russische Einfluss, der vor allem über die bosnischen Serben ausgeübt wird, zurückgedrängt werden. "Bosnien-Herzegowina ist extrem wichtig", sagte die slowenische Außenministerin Tanja Fajon der DW in Bukarest. "Wir möchten, dass das Land bis zum Ende des Jahres den Status als Beitrittskandidat der Europäischen Union bekommt. Das wäre ein starkes politisches Signal, das sich auf den ganzen westlichen Balkan auswirken würde. Wir lassen dort kein Land zurück", so Tanja Fajon. Alle Länder des Balkans müssten unterstützt werden, weil sie alle Spielbälle unterschiedlicher geopolitischer Interessen seien. Neben Slowenien ist Kroatien bereits Mitglied der NATO und der Europäischen Union. Serbien, Kosovo und Bosnien-Herzegowina gehören keiner der Organisationen an. Montenegro, Nordmazedonien und Albanien sind Mitglieder der NATO.

Slowenien Außenministerin Fajon: Kein Land darf zurückbleibenBild: Andreea Alexandru/AP Photo/picture alliance
Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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