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PolitikEuropa

NATO will mehr Truppen im Osten

16. Juni 2022

Wegen der Bedrohung durch Russland wollen die NATO-Verteidigungsminister mehr Soldaten im Osten stationieren. Deutschland geht voran. Bernd Riegert berichtet vom NATO-Treffen.

Ukraine-Konflikt
Flaggen-Kranz vor dem NATO-Quartier in Brüssel: Verteidigungsminister bereiten Gipfel vorBild: Olivier Matthys/AP/dpa/picture alliance

So richtig zufrieden war NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg mit dem Treffen der NATO-Verteidigungsminister und -ministerinnen nicht, das am Donnerstag in Brüssel zu Ende ging. "Es ist noch ein langer Weg zu gehen", sagte Stoltenberg im NATO-Hauptquartier mit Blick auf das Gipfeltreffen der Allianz, das in zwei Wochen in der spanischen Hauptstadt Madrid stattfinden wird. Die Verteidigungsminister sollten den Gipfel ihrer Regierungschefs und -chefinnen möglichst konkret vorbereiten, um Zwist in Madrid zu vermeiden. Doch das gelang nur zum Teil. Wichtige Fragen blieben offen.

Die NATO bekennt sich zwar zu ihrer Verpflichtung der Ukraine in ihrem Kampf gegen die russischen Invasoren beizustehen, aber die Zusagen für zusätzliche schwere Waffen wie Artillerie, Mehrfachraketenwerfer oder gepanzerte Fahrzeuge bleibt immer noch weit hinter den Anforderungen der Ukraine zurück. Ukrainische Diplomaten bemängeln, dass die NATO und weitere zehn Partnerstaaten nur zehn Prozent dessen liefern, was an Rüstungsgütern tatsächlich gebraucht würde. Die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht sagte drei Mehrfachwerfer zu. Einen weniger als ursprünglich geplant. Mehr könne die Bundeswehr nicht entbehren, sagte Christine Lambrecht. Die Waffen werden auch erst Ende Juli oder Anfang August geliefert werden können. In der kommenden Woche sollen nun voraussichtlich sieben deutsche Panzerhaubitzen in die Ukraine verlegt werden, was bereits im Mai angekündigt worden war. Die NATO-Staaten kamen überein, ihre Bestände noch einmal zu durchforsten und mehr Munition und Material bei Rüstungsfirmen zu kaufen, um es an die Ukraine abgeben zu können. 

NATO-Generalsekretär Stoltenberg: Russlands Krieg ist die größte BedrohungBild: Yves Herman/REUTERS

Türkei verhindert weiter Beitritt von Finnland und Schweden

Ungelöst ist vor dem Gipfeltreffen in Madrid der interne Streit in der NATO um die Beitritte von Finnland und Schweden. Die Türkei blockiert die Aufnahme der beiden nordischen Staaten, weil diese angeblich kurdische Milizen unterstützen, die von Ankara als Terrorgruppen angesehen werden. Verhandlungen vor und während des Verteidigungsministertreffens in Brüssel brachten keine Lösung. Für die Aufnahme neuer Mitglieder in das Bündnis ist Einstimmigkeit erforderlich. Die US-Botschafterin bei der NATO, Julie Smith, sagte, sie hoffe immer noch, dass Schweden und Finnland in Madrid zum Beitritt eingeladen werden können. "Hinter den Kulissen der NATO ist eine starke Unterstützung für die beiden Bewerber zu spüren. Wir wollen alle so schnell wie möglich vorankommen. Aber wir wollen auch mit der Türkei an den Bedenken arbeiten, die sie vorgebracht hat", sagte Smith.

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Es geht auch darum die Einheit und die Handlungsfähigkeit der Allianz angesichts der russischen Aggression zu beweisen. NATO-Generalsekretär Stoltenberg versuche mit allen möglichen Angeboten, die Türkei zu erweichen, berichten NATO-Diplomaten. Aber bis lang mauert die türkische Seite. Beim Gipfeltreffen soll es auf jeden Fall ein allgemeines Bekenntnis zur "Politik der Offenen Tür" der Militärallianz geben, die auch für Staaten wie Georgien und Ukraine im Prinzip weiter gilt.

Mehr Truppen an die Ostflanke

NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg kündigte an, dass sich der NATO-Gipfel in Madrid auf eine neuerliche Verstärkung der Ostflanke der Allianz verständigen werde. Die Verteidigungsminister hatten dazu im Prinzip eine neue Art der Truppengestellung gebilligt. Künftig sollen für die baltischen Staaten, Polen, Ungarn, Bulgarien und Rumänien konkrete Truppenteile in westlichen Mitgliedsstaaten wie Deutschland oder Frankreich benannt werden, die in hoher Alarmbereitschaft stehen und sofort nach Osten verlegt werden können. Hier preschte die deutsche Verteidigungsministerin vor und wiederholte ein Angebot von Bundeskanzler Olaf Scholz. Deutschland werde in Litauen mindestens 1000 weitere Soldaten stationieren, um eine neue internationale Kampfgruppen-Brigade anzuführen. "Wir werden deutlich machen, dass wir selbstverständlich an der Seite unserer Alliierten stehen", sagte Lambrecht. Im Krisenfall soll die Brigade 3000 bis 5000 Männer und Frauen umfassen.

Verteidigungsministerin Lambrecht: Deutschland geht mit mehr Soldaten voranBild: Thilo Schmuelgen/REUTERS

Bislang sind in den drei baltischen Staaten Kampfgruppen mit jeweils rund 1500 Truppen im Einsatz. Mit der Erhöhung der Zahl der kampfbereiten Truppen solle Russland von einem Angriff auf die baltischen NATO-Staaten abgeschreckt werden. "Wir sehen diese Gefahr und sind langfristig bereit diese Unterstützung zu leisten", sagte Lambrecht. NATO-Generalsekretär Stoltenberg hofft, dass viele andere Mitgliedsstaaten dem deutschen Beispiel folgen und möglichst bis zum Gipfeltreffen in zwei Wochen konkrete Zahlen für Truppen zu nennen, die entlang der Ostflanke eingesetzt werden könnten. Der lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks sprach sich dafür aus, nicht nur mehr Truppen zu schicken, sondern auch Material- und Munitionslager auszubauen sowie ständige Kommandostrukturen im Baltikum einzurichten.

Neue Strategie gegen Russland

Die Verstärkung der Verteidigungsbereitschaft an der Ostflanke ist Teil des neuen strategischen Konzepts, das die NATO beim Gipfeltreffen in Madrid ebenfalls verabschieden will. Das alte Strategiekonzept aus dem Jahr 2010 ist völlig überholt, weil hier Russland noch als möglicher Partner angesehen wird. Spätestens seit dem Überfall auf die Ukraine am 24. Februar gilt Russland nun als feindlich gesonnen. "Russlands Krieg stellt die größte Bedrohung unserer Sicherheit seit Jahrzehnten da", sagte NATO-Generalsekretär Stoltenberg. Es brauche eine stärke Abschreckung und eine Konzentration auf die Verteidigung des NATO-Gebietes. Zum ersten Mal soll auch China in dem Strategiepapier als Bedrohung beschrieben werden.

Auf dem Gipfeltreffen soll ebenfalls über die Bedrohung durch russische Nuklearwaffen beraten werden. Verschiedene Szenarien für eine mögliche Antwort auf den Einsatz von Chemiewaffen oder Atomwaffen würden durchgespielt, so ein NATO-Diplomat. Zurzeit schätze man das Risiko, dass der russische Präsident Wladimir Putin die nukleare Option ziehe, als sehr gering ein. "Ausschließen kann man es natürlich auch nicht", so der Diplomat.

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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