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Ärger um ein Gemälde im Naumburger Dom

11. Juli 2022

Neue Kunst in alten Mauern: Der Maler Michael Triegel hat für den Naumburger Dom zentrale Altarbilder geschaffen. Doch ob sie dort bleiben dürfen, ist mehr als fraglich.

Cranach-Marienaltar im Dom, davor stehen Journalisten
Die Einweihung des neu gestalteten Marienaltars im Dom erregte viel AufmerksamkeitBild: Falko Matte/Vereinigte Domstifter

Man schreibt das Jahr 1519, als der Maler Lucas Cranach der Ältere (1472-1553), beauftragt wird, Altarbilder für den Naumburger Dom zu schaffen. Doch 1541 werden sie von radikalen protestantischen Bilderstürmern zerschlagen: Denn die Anhänger der Reformation sind überzeugt, dass solche Kultbilder die Gläubigen vom wahrem Frommsein ablenken. Zahlreiche sakrale Kunstwerke gehen so im Mittelalter verloren, von Cranachs Werk im Naumburger Dom überstehen damals allein die beiden Seitenflügel den Furor. 

Doch jetzt, nach fast 480 Jahren, hat der seit der Reformation evangelische Dom in seinem Westchor wieder ein komplettes Altarbild, ein dreiflügeliges sogenanntes Altarretabel. Ergänzt hat es der Maler Michael Triegel. Es ist große Kunst in einer der herausragenden Kirchen Deutschlands. Der imposante Dom St. Peter und Paul im Städtchen Naumburg, rund 40 Kilometer südwestlich von Leipzig gelegen, ist nicht zuletzt wegen seiner mittelalterlicher Steinmetzarbeiten aus dem 13. Jahrhundert weltberühmt. Die zwölf Skulpturen der Stifter ziehen zahlreiche Besucherinnen und Besucher an. Vor allem die Figur der Uta gilt als Meisterwerk, wird seit Jahrhunderten als  "die schönste Frau des Mittelalters"  bewundert.

Seit 2018 gehört das Gotteshaus zum UNESCO-Weltkulturerbe. Das jetzt wieder komplette dreiflügelige Altarretabel ist ein Gemeinschaftswerk zweier Maler aus unterschiedlichen Epochen. Die beiden erhaltenen Seitenflügel aus dem 16. Jahrhundert umrahmen die neugeschaffenen Triegel-Elemente. "Triegel trifft Cranach" heißt das Projekt denn auch.

Der Naumburger Dom ist Weltkulturerbe Bild: Jan Woitas/dpa/picture alliance

Triegels Bild zeigt eine geradezu ehrwürdig-heilig anmutende Szene im Stil der Renaissance-Malerei. Maria wird dargestellt als jugendliche Frau, die dem Betrachter den neugeborenen Sohn entgegenstreckt. Zu ihren Füßen musizieren junge Frauen, noch Mädchen fast. Im Hintergrund halten zehn Personen, sechs Frauen und vier Männer, wie zum Schutz ein kostbares Tuch um Maria. Und durchaus überraschend stehen da auch ein Rabbiner und - mit einer Ferrari-roten Baseballkappe - ein Mann von der Straße, der den Betrachter fast gütig anschaut.

Triegel fühlt sich "dem Dom verbunden"

Er fühle sich dem Dom "seit der Kindheit verbunden", sagt Michael Triegel. Der 53-Jährige, im ostdeutschen Erfurt geboren, ist der zur Zeit wichtigste Maler religiöser Kunst in Deutschland. International bekannt machte ihn ein Porträt des damaligen Papst Benedikt XVI., das er 2010 als Auftragsarbeit malen durfte. Einige Jahre später ließ sich der Künstler taufen und wurde Mitglied der katholischen Kirche.

Der Maler Michael TriegelBild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

Triegel hat bereits eine ganze Reihe von religiösen Werken im Stil der Renaissance-Malerei geschaffen. Nach zwei Bildern für Altare in kleineren evangelischen Kirchen in Niedersachsen 2004 und 2005 gestaltete er große Arbeiten für mehrere katholische Kirchen in Franken und zuletzt auch Kirchenfenster für ein Gotteshaus in Sachsen-Anhalt. Nicht nur wegen der Größe, sondern auch wegen seiner Ausstrahlung wirkt der Naumburger Altar wie ein Hauptwerk Triegels. 

Ein römischer Obdachloser 

Das Antlitz der jungen Maria lehnt sich am Gesicht der Tochter Triegels an (so wie bei früheren Arbeiten einige Male seine Frau in Gesichtern zu erahnen war). Zum Stil Triegels, der sich meisterlich annähert an die Großen der Renaissance-Malerei, gehört das Persönliche - und auch Irritationen.

Im Zentrum des Chorraums der Kirche: die AltarbilderBild: Falko Matte/Vereinigte Domstifter

Den Mann mit der Baseballkappe, erzählt er, sah er in Rom auf der Straße - ein Obdachloser. Triegel wollte ihn malen, sprach ihn an, sie vereinbarten für das Modell-Sitzen ein Honorar. Nun stellt wohl ein römischer Bettler, vom Leben gezeichnet, den Apostel Petrus dar. Und über die Schulter der Maria schaut der von den Nationalsozialisten im April 1945 hingerichtete evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) dem Betrachter ins Auge. 

Bewusst entschieden sich die "Vereinigten Domstifter", die als traditionsreiche staatliche Stiftung unabhängig von der evangelischen Landeskirche Eigentümer des Domes und der Kunstwerke sind, das zentrale Marien-Motiv in Auftrag zu geben. Im Katalog zum Altar lobt der evangelische Landesbischof Friedrich Kramer das als "wichtigen ökumenischen Impuls". Und der "Ökumene-Minister" des Vatikans, Kardinal Kurt Koch, äußert die Hoffnung, dass der "erneuerte Naumburger Marienaltar" "zum Sinnbild erneuerter kirchlicher Einheit" werde.

Bei der Einweihung im vollen Gotteshaus beschworen Kramer und sein katholischer Magdeburger Kollege, Bischof Gerhard Feige, einträchtig die ökumenische Ausstrahlung. Und auch Domprediger Michael Bartsch nannte das "ökumenische Miteinander" ein "Zeichen der Hoffnung". So steht ein Altar als Zeichen der Aussöhnung, dessen Vorgänger als Ausdruck von Hass und Vernichtung zerschlagen wurde. 

Das Weltkulturerbe

Die weltberühmten Steinmetzarbeiten im DomBild: Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance

Falls der Altar denn dauerhaft im Westchor des Doms bleiben wird… Denn um die Aufstellung des prachtvollen Altaraufsatzes gibt es Streit. Schon seit Monaten hatten Vertreter des Denkmalschutzes und des Internationalen Rats für Denkmalschutz (ICOMOS) gewarnt. Ihr Einwand: Das nun wieder vollständige Altarretabel störe die Blickachse auf die steinernen Stifterfiguren. Damit müsse über die Streichung des Weltkulturerbe-Titels diskutiert werden. Dann würde der Dom ein Prädikat verlieren, das jährlich viele tausend Besucherinnen und Besucher nach Naumburg lockt. 

Nach der Aufstellung und Einweihung des Altarretabels ist der Streit eskaliert. Der Weltdenkmalrat ICOMOS und auch die Landesregierung von Sachsen-Anhalt drängen darauf, das Altarbild rasch an anderer Stelle im Dom aufzustellen. Bislang hatten die "Vereinigten Domstifter" darauf gesetzt, dass das Altarretabel zunächst drei Jahre an der zentralen Stelle des Westchors stehen könne und dann eine Entscheidung für den dauerhaften Verbleib an dieser Stelle fallen würde. Nun wollen sie diesen Zeitraum bis zum 4. Dezember 2022 verkürzen. 
Dabei ist das Altarbild passgenau für seinen jetzigen Standort gemalt. Man kann auch um den Altar herumgehen, auf der Rückseite hat Michael Triegel den auferstandenen Christus verewigt. Die Sichtachse, so meinen viele, sei eigentlich nicht gestört. Gilt im Winter trotzdem die Devise: "Triegel trifft Cranach" - und zieht weiter?

Auch die Rückseite des Altars hat Michael Triegel bemaltBild: Falko Matte/Vereinigte Domstifter

 

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