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Literatur

Navid Kermanis Roman "Sozusagen Paris"

Jochen Kürten
23. Oktober 2016

Kermani wurde 2015 mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet. Der Autor ist vielfältig engagiert und wurde jüngst als Bundespräsident ins Gespräch gebracht. Jetzt tritt er wieder als Literat hervor.

Deutschland Frankfurt - Buchmesse 2016 - Navid Kermanis Buch Sozusagen Paris
Bei der Buchmesse 2016 war er nicht dabei - sein neuer Roman wurde vom Hanser-Verlag natürlich trotzdem beworben Bild: DW/J. Kürten

Ich fürchte, dem Leser kommen die ständigen Bezüge zur Literatur eher bemüht vor, ich fürchte es bereits, als ich auf Juttas Sofa grob den Roman skizziere, den ich schreiben werde.

Der Leser wird annehmen, ich hätte wieder aus einem Fachbuch abgekupfert, um den Vorgang zu beschreiben, den Jutta zwar gemeint, aber in simpleren Worten ausgedrückt hat.

Dies sind nur zwei Zitate aus Navid Kermanis neuem Roman "Sozusagen Paris". Weitere, die sich mit den Selbstzweifel eines Autors, einen gut lesbaren Roman zu schreiben, beschäftigen, könnte man hier anführen. Wir belassen es bei diesen zwei.

Warum diese Zweifel? Kermani mag insgeheim gespürt haben, dass irgendetwas nicht stimmt mit seinem Romankonstrukt "Sozusagen Paris". Oder hat er zumindest befürchtet haben, dass die Leser (und vielleicht auch die Kritiker) später nach Erscheinen an ihm herumnörgeln werden?

Spiel mit autobiografischen Bezügen

Dabei beginnt das Buch beschwingt und inspirierend: Kermani lässt einen Schriftsteller (den Kermani mit zahlreichen autobiografischen Bezügen ausstattet) nach einer Lesung in einer deutschen Provinzstadt auf die eben erwähnte Jutta treffen - eine alte Jugendliebe, heute Bürgermeisterin des Kleinstädtchens. Jutta lädt den Autor nach der Lesung zu sich nach Hause ein. Ihr Ehemann ist ebenfalls anwesend, doch hat er sich in andere Räumlichkeiten verzogen. Der erotische Subtext ist von Kermani von Anfang an zwar intendiert, doch die Anwesenheit des Mannes im Haus deutet früh an, um was es auf den folgenden knapp 300 Seiten ausschließlich gehen wird: um ein rein platonisches Aufeinandertreffen der beiden ehemaligen Liebenden.

Jutta erzählt vor allem von ihrer Beziehung mit ihrem Ehemann, von den gemeinsamen Auslandsaufenthalten in Südamerika, von verblasster Liebe, Ehestreitigkeiten und quälenden Auseinandersetzungen. So ist "Sozusagen Paris" auch der Roman einer langen (Ehe-)Beziehung.

Kermani im vergangenen Jahr auf der Rednertribüne der Frankfurter PaulskircheBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Der Autor ergänzt diese ganz praktischen Eheerfahrungen aus dem Munde Juttas nun mit Gedanken über die Liebe im Allgemeinen - die wiederum vor allem der Schriftsteller beisteuert. Die Stichwortgeber sind dabei ganz präsent im Hintergrund des Raumes, in dem sich die beiden Protagonisten zum nächtlichen Plausch zurückgezogen haben: Es sind die großen französischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, Marcel Proust und Stendahl im Besonderen, fein sortiert im gut ausgestatteten Regal:

Während Jutta den Wein aus dem Keller holt, stelle ich mich wieder vors Bücherregal. Im Geiste skizzierte ich bereits den Roman, den ich schreiben werde, wenngleich die Skizze kaum etwas mit dem zu tun hat, was der Leser tatsächlich in den Händen hält.

Da sind sie, die vom Autor (und Kermani) erwähnten ständigen Bezüge zur Literatur.

Ein Roman-Hybrid: Plot & Essay

"Sozusagen Paris" als klassischen Roman einzuordnen, würde den Leser auf eine falsche Fährte locken. Kermanis neues Buch ist vielmehr ein langer Romanessay - oder, anders ausgedrückt, ein Essay über die Liebe (in der französischen Literaturgeschichte) mit romanhaften Zügen. Der ebenfalls von Navid Kermani im Buch zitierte tschechisch-französische Schriftsteller Milan Kundera darf hier als Pate genannt werden. Denn wie Kundera (in seinen späten ebenso essayistisch angelegten Romanen) geht es auch Kermani um eine ausführliche philosophische und literaturtheoretische Betrachtung menschlicher Empfindungen und Leidenschaften.

Bild: Hanser Verlag

Kermanis neuer Roman hat durchaus seine Reize. Insbesondere dann, wenn Kermani seine Rolle als Schriftsteller reflektiert, bekommt das Buch sowohl Leichtigkeit als auch Tiefe: 

Ein Autor steckt in allen Figuren drin, nicht nur im Erzähler - aber wie genau, das wüsste er selbst gern...

...antwortete Navid Kermani vor kurzem in einem Interview auf die Frage eines Journalisten, wie autobiografisch seine Figuren in "Sozusagen Paris" angelegt seien.

Auch das zu Beginn geschilderte Aufeinandertreffen der beiden Protagonisten, die sich lange nicht gesehen haben, und sich nun gemeinsam auf die Spuren der Vergangenheit machen, ist mit Verve und Liebe zum psychologischen Detail geschrieben.

Doch nach und nach schieben sich dann ellenlange Gedanken über die großen Literaten des 19. Jahrhunderts und deren Ausführungen über die Liebe in den Vordergrund des Geschehens. Kermani zitiert hier viel, vor allem Marcel Proust. Das lähmt den Roman. Und verleiht ihm tatsächlich den Anschein, hier habe ein Autor aus einem Fachbuch abgekupfert.

Navid Kermani: Sozusagen Paris, Hanser Verlag 2016, 288 Seiten, ISBN 978-3-446-25276-9.

 

 

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