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Politik

Nawalny in Haft: Drill, Druck und Demütigung

Roman Goncharenko
17. März 2021

Russlands Häftling Nummer eins, der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny, verbringt seine Haftstrafe in einer Strafkolonie östlich von Moskau. Ehemalige Insassen berichten von harten Bedingungen, darunter Isolation.

Nawalny vor Gericht in Moskau, Februar 2020
Nawalny vor Gericht in Moskau, Februar 2020Bild: Moscow City Court/via REUTERS

Der Kopf frisch geschoren, müder Blick, Pokerface. Mit einem ersten Foto und einer Botschaft in sozialen Netzwerken meldete sich Alexej Nawalny, Russlands derzeit prominentester Häftling, am Montag aus der Haft. "Ich hätte nie gedacht, dass man hundert Kilometer von Moskau entfernt ein echtes Konzentrationslager betreiben kann", schrieb er in seinen Profilen bei Facebook und Instagram.

Ein Gefängnis innerhalb der Strafkolonie 

Der 44-jährige Oppositionspolitiker wurde erst vor wenigen Tagen in die Strafkolonie IK-2 im Provinzstädtchen Pokrow rund zwei Autostunden östlich von Moskau verlegt, wo er die kommenden 2,5 Jahre verbringen wird. Ein Gericht in Moskau wandelte Anfang Februar Nawalnys frühere Bewährungsstrafe wegen eines angeblichen Wirtschaftsverbrechens in eine Haftstrafe um, weil er gegen Meldeauflagen verstoßen haben soll. Es geht um die Zeit als Nawalny in Deutschland war, wo er nach seiner Vergiftung in Russland mit einem Kampfstoff medizinisch behandelt und betreut wurde.  

In den wenigen Zeilen, die Nawalny offenbar über seine Anwälte verbreiten ließ, beschreibt er seine Strafkolonie in seiner typisch ironischen Manier als ein "freundliches Konzentrationslager", in dem nicht geschimpft werden darf und alles strikt geregelt ist. Noch habe er "nicht mal einen Hauch von Gewalt" gesehen, doch wenn er stramm stehenden Häftlingen zuschaut, die "Angst haben, ihren Kopf frei zu bewegen", dann glaube er gerne an Geschichten darüber, wie dort "erst vor kurzem Menschen mit Holzhämmern halbtot geprügelt" worden sein sollen.

Weil er von den Vollzugsbehörden als "fluchtgefährdet" eingestuft wurde, wird Nawalny besonders streng überwacht. Nachts werde er stündlich geweckt, weil ein Beamter ihn mit einer Videokamera filmt und die Uhrzeit laut nennt. Nawalny schickte Grüße an seine Anhänger aus dem "Sektor der verstärkten Kontrolle A". Nach Angaben russischer Medien sei es faktisch ein Gefängnis mit noch strengeren Regeln innerhalb der Strafkolonie IK-2. 

Isolation und Verwarnungen als Teil psychogen Drucks 

Russische Strafkolonien sind seit Jahrzehnten berüchtigt für harte Bedingungen. Inoffiziell wird zwischen "roten" und "schwarzen" Vollzugsanstalten unterschieden. Bei den "roten" soll die Verwaltung über alles bestimmen und die strikten Regeln mit Hilfe anderer Häftlinge durchsetzen. In den "schwarzen" Strafkolonien dagegen hätten die verurteilten Kriminellen mehr Macht und würden gewisse Freiheiten genießen. Die Strafkolonie in Pokrow, in der Nawalny einsitzt, gilt als "rot", so Konstantin Kotow gegenüber der DW. Der 36-jährige oppositionelle Aktivist hat selbst dort eingesessen. 2019 war er wegen Verstößen gegen des Versammlungsrecht in Moskau zu anderthalb Jahren Haft verurteilt worden. Erst vor kurzem kam er frei. 

Konstantin KotowBild: E. Barysheva/DW

Er selbst habe keine physische Gewalt erfahren, so Kotow, doch habe er gehört und gesehen, wie andere Häftlinge geschlagen wurden. "Besonders verbreitet sind Schläge auf die Fersen. Man liegt am Boden, die Schuhe werden ausgezogen, Beine nach oben gestreckt, und dann wird einem auf die Füße geschlagen, etwa mit einem Holzbein vom Hocker. Das tut sehr weh."

Kotow glaubt nicht, dass Nawalny etwas Ähnliches drohe. Vielmehr drohe dem Oppositionspolitiker eher psychischer Druck, wie zum Beispiel Isolationshaft, wie auch Kotow sie während seiner Haft erlebt hat. Es gebe nur wenige Kontakte nach Innen und Außen, kaum Gespräche mit anderen Insassen. Kotow erzählt, dass er sechsmal verwarnt wurde, unter anderem weil ein anderer Häftling ihm seine Handschuhe gegeben hatte. "Ich wurde im November 2019 eingeliefert, es war schon winterlich kalt und ich hätte in der Strafkolonie Handschuhe bekommen sollen", erzählt Kotow. "Doch man sagte mir, es gebe keine auf Lager. In der Strafkolonie verbringt man viel Zeit draußen, zum Beispiel jeweils eine Stunde morgens und abends beim Appell. Man muss dabei die Hände hinter dem Rücken halten, es ist verboten, sie in die Taschen zu stecken. Ich habe gefroren und ein anderer Häftling hat mir seine Handschuhe gegeben. Am Ende wurden wir beide verwarnt." Ähnliche Erfahrungen haben russischen Medien zufolge auch andere Häftlinge in der IK-2 gemacht.

Außenaufnahme der Gefangenenkolonie IK-2Bild: Kirill Zarubin/AP/dpa/picture alliance

Andere Gründe für Verwarnungen während seiner Haft waren zum Beispiel, dass er einen Mitarbeiter der Anstalt nicht gegrüßt oder den obersten Knopf an seiner Kleidung nicht zugeknöpft habe, schildert Kotow. Solche Verwarnungen können zu Isolationshaft führen und erschweren grundsätzlich eine vorzeitige Entlassung. Außerdem könne ein Häftling in einer Quarantäne-Einheit landen, wo besonders viel Wert auf Drill gelegt wird. "Es geht dort nicht darum, Menschen mit Erkrankungen zu isolieren oder Neuankömmlingen den Einstig zu erleichtern, sondern darum, Häftlinge leiden zu lassen", glaubt Kotow. Man werde zum Beispiel gezwungen, "zehnmal am Tag Sport zu treiben" und jedes Mal Bericht zu erstatten, wenn man von einem Mitarbeiter angesprochen wird.   

Wird Nawalny Unterhosen für Vollzugsbeamte nähen?

Noch ist Nawalny als Neuankömmling in Quarantäne. Es ist unklar, welche Art der Arbeit in der Strafkolonie auf ihn wartet. Die russische Recherche-Plattform "The Insider" berichtete Anfang März, dass Häftlinge der IK-2 in vergangenen Jahren männliche Unterwäsche, darunter Unterhosen für Mitarbeiter der russischen Bundesvollzugsbehörde, genäht haben sollen.

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