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Politik

Nawalny mit Nervenkampfstoff vergiftet

2. September 2020

Der Kremlkritiker, der in Deutschland behandelt wird, sei gezielt attackiert worden, so Kanzlerin Merkel. Das Auswärtige Amt bestellte den russischen Botschafter ein.

Deutschland Merkel PK
Bild: Getty Images/AFP/M. Schreiber

Der russische Oppositionelle Alexej Nawalny ist mit einem chemischen Nervenkampfstoff vergiftet worden. Wie Bundeskanzlerin Angela Merkel bestätigte, wurde die Substanz der sogenannten Nowitschok-Gruppe durch ein Speziallabor der Bundeswehr eindeutig nachgewiesen. Nawalny wird zurzeit in der Berliner Charité behandelt.

Merkel sagte, dies seien "bestürzende Informationen über den versuchten Giftmord an einem der führenden Oppositionspolitiker Russlands". Der 44-Jährige sei "zweifelsfrei Opfer eines Verbrechens". Wörtlich erklärte die Kanzlerin: "Er sollte zum Schweigen gebracht werden." Sie verurteile das auch im Namen der gesamten Bundesregierung "auf das Allerschärfste".

"Fragen, die nur der Kreml beantworten kann"

Nun stellten sich "sehr schwer wiegende Fragen, die nur die russische Regierung beantworten kann und beantworten muss". Nawalnys Schicksal habe weltweit Aufmerksamkeit erlangt, so Merkel. "Die Welt wird auf Antworten warten." Deutschland berate mit seinen Partnern in EU und NATO über eine "angemessene Reaktion". Ferner werde Berlin mit der Organisation für das Verbot chemischer Waffen Kontakt aufnehmen.

Ankunft des Patienten in Berlin vor eineinhalb WochenBild: Getty Images/M. Hitij

Das Auswärtige Amt bestellte den russischen Botschafter ein und unterrichtete ihn über die Untersuchungsergebnisse. Zudem sei Moskau "nochmals unmissverständlich" aufgefordert worden, die Umstände der Vergiftung "vollumfänglich aufzuklären", sagte Außenminister Heiko Maas. Russland müsse "die Verantwortlichen ermitteln und zur Rechenschaft ziehen".

Der Direktor von Nawalnys Anti-Korruptions-Stiftung sieht die russische Führung als Drahtzieher der Attacke. "Nur der Staat kann Nowitschok einsetzen", schrieb Iwan Schdanow auf Twitter. Ähnlich äußerte sich der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Jürgen Hardt. Es handele sich um einen Nervenkampfstoff, der "nur von professionellen Laboren unter letztlich staatlicher Verantwortung" hergestellt werden könne. "Deswegen gilt es für mich als sicher, dass diese Vergiftung mit Billigung staatlicher Stellen erfolgt ist", sagte Hardt der Deutschen Welle.

Die Europäische Union sprach in einer ersten Reaktion von einer "feigen und verabscheuungswürdigen" Tat. Das Außenamt in Moskau erklärte dagegen, für die Feststellungen aus Berlin gebe es keine Beweise. Ein Sprecher von Präsident Wladimir Putin sagte, man sei bereit, vollumfänglich mit Deutschland zusammenzuarbeiten und Informationen auszutauschen.

Die russische Generalstaatsanwaltschaft hatte in der vergangenen Woche mitgeteilt, es gebe keine Hinweise darauf, dass gegen Nawalny "eine vorsätzliche Straftat" begangen wurde. Man habe die Berliner Charité gebeten, ihre Untersuchungsergebnisse zur Verfügung zu stellen.

Auf Inlandsflug zusammengebrochen

Das Universitätsklinikum bezeichnete Nawalnys Gesundheitszustand als weiterhin ernst. Zwar sei die Symptomatik der nachgewiesenen Vergiftung zunehmend rückläufig. Der Patient werde aber nach wie vor auf einer Intensivstation behandelt und künstlich beatmet, heißt es im jüngsten Bulletin. Es sei mit einem längeren Krankheitsverlauf zu rechnen. Langzeitfolgen seien nicht auszuschließen.

Der 44-jährige Kreml-Kritiker war im August auf einem Inlandsflug in Russland zusammengebrochen und zunächst in Sibirien behandelt worden, ehe er nach Berlin gebracht werden konnte. Die deutschen Ärzte gingen nach Auswertung klinischer Befunden bereits seit vergangener Woche davon aus, dass Nawalny vergiftet wurde. Nur die konkrete Substanz war bis zum jüngsten Laborbefund unklar.

Feind des Kremls: Alexej Nawalny (Archivbild)Bild: Reuters/T. Makeyeva

Der Vorgang weckt Erinnerungen an den Fall des russischen Ex-Agenten Sergej Skripal, der zum britischen Geheimdienst übergelaufen und 2018 in England vergiftet worden war. Er überlebte den Anschlag mit einem Kampfstoff der Nowitschok-Gruppe. Nowitschok löst eine Protein-Kettenreaktion aus, die unbehandelt schnell zum Tod führen kann. Es blockiert, wie jetzt am Patienten Nawalny beobachtet, die Produktion des Enzyms Cholinesterase.

Schwere diplomatische Krise

Der Fall Skripal führte zu einer schweren Krise in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen. Fast 30 Staaten wiesen in einer koordinierten Reaktion russische Diplomaten aus. Mittels einer Desinformationskampagne sollten im Anschluss die internationalen Untersuchungsergebnisse in Zweifel gezogen werden. Es sei nicht belegbar, dass Nowitschok - ein Kampfstoff, der in Russland entwickelt und produziert wurde - für den Anschlag verwendet wurde, hieß es. Das Auswärtige Amt in Berlin wies diese Darstellung im April 2018 als "gezielte" Falschmeldungen "staatlich kontrollierter russischer Auslandsmedien" zurück.

jj/qu (dpa, afp, rtr)

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