1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

"Putin zerstört einen Feind und bekommt 30 neue"

Olga Tikhomirova
1. Mai 2021

Die russischen Behörden haben den gesamten Unterstützungsapparat von Alexej Nawalny für extremistisch erklärt. Doch das Team lasse sich davon nicht einschüchtern, sagt sein Mitarbeiter Leonid Wolkow im DW-Interview.

BdTD Russland Sankt Petersburg | Graffito mit Nawalny übermalt
Arbeiter in St. Petersburg übermalen ein Graffito, auf dem Kremlkritiker Alexej Nawalny zu sehen istBild: Anton Vaganov/REUTERS

Alexej Nawalnys Regionalbüros, die Unterstützer-Organisationen des inhaftierten Oppositionspolitikers, stehen ab sofort auf der russischen Liste der "Extremisten und Terroristen". Dies teilte am Freitag auf seiner Website der russische Föderale Dienst für Finanzmonitoring mit, der sich mit der Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung befasst. Die Staatsanwaltschaft der Stadt Moskau hatte Mitte April gefordert, Nawalnys Büros sowie seine Stiftungen - den Fonds zur Bekämpfung von Korruption (FBK) und den Fonds zum Schutz der Bürgerrechte - als extremistische Organisationen einzustufen. Am Montag zuvor waren die Büros von der Staatsanwaltschaft geschlossen worden; drei Tage später hatte Leonid Wolkow, der Nawalnys Büros in den Regionen leitete, ihre offizielle Auflösung bekanntgegeben. Ihm zufolge ist es unmöglich, die Arbeit der Büros aufrechtzuerhalten. Denn den Mitarbeitern drohen hohe Haftstrafen. Im DW-Interview sagt Wolkow, was Nawalnys Team jetzt vorhat und wie Europa helfen kann.

Deutsche Welle: Herr Wolkow, wie bewerten Sie die aktuelle Situation rund um den FBK und die Regionalbüros von Alexej Nawalny?

Leonid Wolkow, Leiter von Nawalnys RegionalbürosBild: DW/Nemtsova. Interview

Leonid Wolkow: Dies ist wahrscheinlich die dritte Stufe des großen Plans von Wladimir Putin, unsere politische Struktur zu zertrümmern. Die erste Stufe war im Sommer 2019 vor den Kommunal- und Regionalwahlen in Russland. Damals wurde das sogenannte FBK-Verfahren eingeleitet, in dessen Rahmen unsere gesamte Ausstattung beschlagnahmt und alle Bankkonten gesperrt wurden. Die zweite Stufe, die im Sommer 2020 auch vor Kommunal- und Regionalwahlen umgesetzt wurde, war die Vergiftung von Alexej Nawalny. Jetzt sehen wir die dritte Stufe: die brutale Zerstörung unserer Büros mithilfe dieser Extremismus-Verfahren. Auch dies geschieht im Vorfeld von Wahlen, und zwar der Parlamentswahlen im September. Nur will man diesmal nicht bis zum Sommer warten. Aber auch dieses Mal werden sie keinen Erfolg haben, weil unser wichtigstes Projekt, nämlich das Smart Voting, auf jeden Fall fortgesetzt wird. (Dabei sollen die Menschen unabhängig von ihren eigentlichen Parteipräferenzen nur diejenigen Politiker wählen, die die besten Chancen haben, den von der Kreml-Partei "Einiges Russland" unterstützten Kandidaten zu besiegen - Anm. d. Red). Anstelle von Nawalnys Büros wird so eine große Anzahl unabhängiger, eigenständiger und starker regionaler politischer Strukturen entstehen, die den politischen Kampf weiterführen werden. Wenn Putin einen Feind vernichtet, wird er stattdessen 30 neue bekommen.

Werden Sie weitere Proteste ankündigen?

Das kann ich nicht vorhersagen. Um Aktionen anzukündigen, braucht man einen Grund und es bedarf einen ernsthaften öffentlichen Anreiz. Es ist klar, dass unsere Möglichkeiten, landesweite Aktionen durchzuführen und zu koordinieren, nach der Neuordnung der Strukturen erheblich abnehmen wird. Wir werden eine beträchtliche Anzahl von Hebeln verlieren, um die politische Situation zu steuern. Es ist klar, dass die Terrormethoden des Staates eine gewisse Wirkung zeigen und es noch schwieriger machen werden, große Protestaktionen zu organisieren. Dennoch sind die fundamentalen Gründe für die Protestbereitschaft immer noch da. Die Einkommen der Menschen haben sich nicht verbessert; das Ausmaß der Korruption und die Tatsache, dass Putin seit fast 22 Jahren an der Macht ist, haben sich auch nicht geändert. Diese Gründe, die bei Menschen Protest hervorrufen, sind nicht verschwunden und sie werden auch nicht verschwinden. Deshalb wird es natürlich Protest geben. Welche Formen er annehmen wird, ob er organisiert oder unorganisiert verlaufen wird, ob er im Zusammenhang mit bestimmten Ungerechtigkeiten, auf die Menschen reagieren werden, spontan sein wird, ist schwer zu sagen.

Was kann Europa, zum Beispiel die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel tun, um Nawalny zu helfen?

Unsere Antwort ist seit vielen Monaten unverändert. Man muss Putin unter Druck setzen, damit er Nawalny und andere politische Gefangene wieder freilässt, und damit er zum politischen Dialog mit der Zivilgesellschaft zurückkehrt, statt zu Repressionen zu greifen. Und das geht, indem man gezielte personenbezogene Sanktionen wegen Geldern verhängt, die dem russischen Steuerzahler gestohlen wurden. Putin ist ein Dieb, er ist ein Mensch, für den Geld das Wichtigste ist. Das ist seine Schwachstelle. Man muss das Vermögen von Putins engem Umfeld sperren, denn es ist gestohlenes Geld der russischen Steuerzahler. Von dieser Position aus muss man mit ihm sprechen, eben aus einer Position der Stärke heraus. Dies ist, was Europa, die USA und Großbritannien jetzt tun können, um Putin tatsächlich aufzuhalten.

Das Gespräch führte Olga Tikhomirova

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen