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Politik

Nawalny-Proteste am Scheideweg

Roman Goncharenko
13. Februar 2021

Anhänger des inhaftierten Kremlkritikers Alexej Nawalny stehen vor einem Dilemma: Sollen sie weiter protestieren oder pausieren? Bei einer für Sonntag geplanten Aktion setzen seine Mitstreiter auf die Kraft der Bilder.

Festnahmen bei Protesten am 31. Januar  2021 in Moskau
Festnahmen bei Protesten am 31. Januar 2021 in Moskau Bild: Alexander Nemenov/AFP

"Liebe ist stärker als Angst". Mit dieser Botschaft wollen die Anhänger von Alexej Nawalny am Valentins-Sonntag tausende Russen für eine Solidaritätsaktion mit dem inhaftierten Oppositionspolitiker mobilisieren. Jeder soll um 20 Uhr abends vor seinem Haus 15 Minuten lang eine Taschenlampe oder sein leuchtendes Handy in den Himmel halten. Die so entstandenen Bilder sollen in sozialen Netzwerken geteilt werden. Minimaler Kontakt mit der Polizei bei maximaler Wirkung, das ist das Kalkül von Leonid Wolkow, dem Mitstreiter Nawalnys. Neu ist die Idee nicht. Mit einer derartigen Taschenlampen-Aktion demonstrierten vor wenigen Monaten bereits Oppositionsanhänger in Belarus und zuvor in der Ukraine.    

Belarussische Oppositionsanhänger mit Taschenlampen im August 2020 in Minsk Bild: picture-alliance/dpa/V. Sharifulin

In Russland ist Wolkow die einzige prominente Stimme der Protestbewegung, die noch nicht verstummt ist. Er lebt im Ausland und wurde deshalb – anders als viele andere – nicht verhaftet. Russische Behörden haben ihn allerdings wegen der "Anstiftung zu illegalen Protesten" zur Fahndung ausgeschrieben.

Das Dilemma der Nawalny-Opposition

Bevor Wolkow überraschend die Taschenlampenaktion ins Leben rief, hatte er eigentlich angekündigt, bis in den Frühling hinein keine weiteren Proteste zu veranstalten. Anfang Februar begründete er die Zwangspause damit, dass die meisten Veranstalter in den russischen Regionen nach den Protesten am 23. und 31. Januar hinter Gittern seien. "Wenn wir weiter jede Woche auf die Straßen gehen, würden weiter Tausende verhaftet und Hunderte verprügelt", sagte Wolkow. Man wolle sich lieber auf die Parlamentswahl im Herbst und auf 'außenpolitische Maßnahmen' konzentrieren.

Gemeint waren wohl westliche Sanktionen. Wladimir Aschurkow, ein weiterer Mitstreiter Nawalnys und Geschäftsführer seiner Stiftung gegen Korruption (FBK), sagte der DW, man habe der Europäischen Union eine Liste mit Namen der Personen unter anderem aus der Umgebung des Präsidenten Wladimir Putin übergeben und um Sanktionen gegen sie gebeten.

Der bekannteste Mitstreiter Alexej Nawalnys, Leonid Wolkow, ist hin- und hergerissen, welche Strategie er weiter verfolgen soll.Bild: DW

Doch Wolkows Vorschlag, eine Pause einzulegen, löste in oppositionellen Kreisen Kritik aus. Einige warfen ihm vor, den Protest aufgegeben zu haben. Sein Zickzackkurs macht das Dilemma der Nawalny-Anhänger deutlich: weitermachen oder abwarten? Wenn sie weitermachen, könnte es tatsächlich dazu führen, dass die meisten Aktivisten hinter Gittern landen und der Protest irgendwann ins Leere läuft. Mit einer breiten Unterstützung der Bevölkerung können die Demonstranten derzeit nicht rechnen. Die meisten Russen sehen die Protestler entweder negativ oder sind ihnen gegenüber gleichgültig, ergab Anfang Februar eine Umfrage des renommierten Moskauer Meinungsforschungsinstituts Lewada-Zentrum. Nur 22 Prozent der Befragten hegen Sympathien für die Protestler. Die Bereitschaft, selbst an politischen Protesten teilzunehmen, ist noch niedriger: Sie liegt bei gerade einmal 15 Prozent.    

Mit ihrem harten Vorgehen machte die Regierung bereits deutlich, dass sie nicht nachgeben wird. Landesweit gab es mehr als 10.000 Festnahmen. Auf der anderen Seite könnte eine längere Pause dem Protest die Energie nehmen. Wolkow wählte mit der nun angekündigten Taschenlampenaktion einen Mittelweg.  

Regierungsseite wirkt nervös

Nachdem Nawalny in einem umstrittenen früheren Fall wegen angeblicher Veruntreuung von Geldern zu einer dreieinhalbjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, läuft gegen ihn in diesen Tagen ein neuer Prozess – wegen angeblicher Beleidigung eines Kriegsveteranen. Viele seiner Mitstreiter wurden wegen Verstößen gegen Corona-Auflagen während der Januar-Demonstrationen zu Hausarrest verurteilt.

Alexej Nawalny während seines Prozesses wegen Beleidigung eines Veteranen im Februar 2021 Bild: Babushkinsky District Court of Moscow/REUTERS

Auch wenn die Taschenlampenaktion harmlos erscheint, wirkt die Regierungsseite nervös. Mehrere Staatsorgane, darunter die Generalstaatsanwaltschaft, warnten vor einer Teilnahme. Pjotr Tolstoi, der stellvertretende Duma-Vorsitzende, verglich die Aktion der Nawalny-Anhänger mit der Kollaboration von Russen, die während des Zweiten Weltkriegs im damaligen Leningrad mit Taschenlampen Nazi-Bombern Signale gegeben haben sollen. Allerdings erntete Tolstoi dafür viel Spott in sozialen Netzwerken, denn solche Kollaborateure gab es Medienberichten zufolge damals überhaupt nicht.     

Die Staatsduma erhöhte jedenfalls die zu verhängenden Geldstrafen für die Finanzierung von Protesten und für den Widerstand gegen die Staatsgewalt. Gleichzeitig wird im Land Stimmung für den Präsidenten Wladimir Putin gemacht. Russische Medien berichten, wie im Auftrag des Kremls landesweite Flashmobs organisiert wurden. Ein Fall aus Wolgograd sorgte dabei besonders für Aufsehen. Einige Teilnehmer berichteten, dass sie für ein Video einer Musikband rekrutiert wurden und erst später davon erfahren hätten, dass daraus ein Stimmungsvideo für Putin entstand. Es handelte sich immerhin um eine Lieblingsband des Präsidenten. Auch für dieses Video ließen die Teilnehmer ihre Handy-Taschenlampen leuchten.  

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