1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Nawalny und die Russen: Es ist kompliziert

Roman Goncharenko
28. Januar 2021

Seit seiner Verhaftung am 17. Januar versucht Alexej Nawalny seine Anhänger für Massenproteste zu mobilisieren. Doch bei vielen in Russland löst der Oppositionspolitiker gemischte Gefühle aus. Woran liegt das?

Russland | Verhaftung Nawalny | Proteste in Omsk
Ein Nawalny-Anhänger in der sibirischen Stadt Omsk hält ein Plakat "Einer für alle und alle für einen"Bild: Alexey Malgavko/REUTERS

Wie viele kommen beim nächsten Mal? Das ist die Frage, die sich die Anhänger von Alexej Nawalny derzeit stellen. Vor neuen Protesten am kommenden Sonntag liegt die Messlatte hoch. Zehntausende gingen am 23. Januar in ganz Russland auf die Straßen, um die Freilassung des inhaftierten Oppositionspolitikers zu fordern. Für die einen ist es viel, denn die Demos sind nicht genehmigt und die Teilnehmer riskieren Haftstrafen. Auch die Sorge vor Corona hält wohl einige ab. Die anderen, wie der Kreml-Sprecher Dmitri Peskow, reden den Protest klein. "Es sind wenige Menschen aufmarschiert. Viele stimmen für Putin", sagte Peskow im Fernsehen.

Mehr Klickzahlen, mehr Demonstranten?

Seit seiner Rückkehr Mitte Januar aus Deutschland, wo Nawalny nach seiner Vergiftung in Russland medizinisch behandelt wurde, scheint der 44-Jährige einen Teil der russischen Bevölkerung zu elektrisieren. "Nach Nawalnys Vergiftung habe ich verstanden, dass es keinen Sinn mehr macht herumzusitzen", sagte der 26-jährige Adam aus Moskau während der Demonstration am vergangenen Samstag gegenüber der DW. Den 30-jährigen Pawel, einen Rechtsanwalt, brachte vor allem die Justizwillkür auf die Straße: "Nawalny ist mir egal. Doch wie mit ihm umgegangen wird, die Willkür im Polizeirevier, das ist nicht hinnehmbar."      

Alexej Nawalny kurz vor seiner Festnahme am Flughafen in MoskauBild: Kirill Kudryavtsev/AFP/Getty Images

Nawalny wurde Mitte Januar am Flughafen in Moskau festgenommen und anschließend von einem Gericht in einem Polizeirevier zu 30 Tagen Untersuchungshaft verurteilt. Er wartet nun auf eine Gerichtsentscheidung, die am 2. Februar fallen soll. Eine Vollzugsbehörde möchte seine frühere Bewährungsstrafe wegen Wirtschaftsvorwürfen in eine Haftstrafe umwandeln.

Als Nawalny bereits in Untersuchungshaft war, veröffentlichte seine Stiftung gegen Korruption (russische Abkürzung FBK) eine Videodokumentation über einen Palast am Schwarzen Meer, der angeblich für Putin gebaut und von Oligarchen finanziert worden ist. Der Kremlchef dementierte das persönlich. Die Doku wurde auf YouTube mehr als 100 Million Mal aufgerufen, ein Rekord für solche Formate auf Russisch. Damit will Nawalny die Proteste anheizen. Doch ob mehr Klickzahlen zu mehr Demonstranten auf den Straßen führen ist offen. Wie viel Rückhalt hat er wirklich?  

Der lange Atem des Alexej Nawalny

Wer die Antwort auf diese Frage sucht, muss rund zehn Jahre zurückblicken. Im Winter 2011/2012 protestierten zehntausende Russen vor allem in Moskau für faire Wahlen und gegen die Rückkehr des damaligen Premiers Wladimir Putin in den Kreml. Vorne mit dabei - Alexej Nawalny, ein Blogger, der mit seinen Enthüllungen gegen Korruption kämpfte. Damals begann sein Aufstieg zum Oppositionspolitiker Nummer eins, den viele in ihm heute sehen.

Nawalny bewies dabei einen langen Atem und änderte seine Rhetorik. Anfangs war er auch in oppositionellen Kreisen wegen seiner nationalistischen und teilweise rechtspopulistischen Ansichten umstritten. Migrantenfeindliche Töne hört man von ihm heute nicht mehr.   

Zehntausende Russen gingen am 23. Januar auf die Straße. Am 31. Januar sind neue Proteste erwartetBild: Anton Vaganov/REUTERS

Sein einziger und bisher größter Erfolg als Politiker war die Bürgermeisterwahl in Moskau 2013. Er bekam fast ein Drittel der Stimmen und wurde zweiter. Seitdem ist ihm der legale Weg in die Politik versperrt. Seine Partei wurde nicht registriert und wegen Verurteilungen wegen Wirtschaftsverbrechen darf er selbst bei Wahlen nicht mehr antreten. So scheiterte 2018 seine Bewerbung um die Präsidentschaft. Nawalny sieht den Kreml dahinter. Er nutzte aber diese Wahl, um ein Netzwerk aufzubauen. Das zahlt sich jetzt aus. In der Provinz gehen mal Hunderte, mal Tausende für seine Freilassung auf die Straßen. Das ist neu.

Eine Mischung aus Mitleid und Misstrauen

Meinungsforscher wie Lew Gudkow sind jedoch skeptisch, ob Nawalny eine große Protestbewegung auslösen kann. "Die Einstellung zu ihm ist kompliziert und hängt vom Alter und Informationskanal ab", sagte der Direktor des renommierten Moskauer Lewada-Zentrums in einem DW-Gespräch. "Die Jugend, die in sozialen Netzwerken aktiv ist, reagiert viel stärker und empathisch auf Nachrichten über einen versuchten politischen Mord."

Rund 40 Prozent junger Russen glauben daran. Bei älteren Menschen in der Provinz, die auf staatliches Fernsehen angewiesen sind, sind es nur fünf Prozent. Dort wirke "die Kreml-Propaganda", so Gudkow. Die Vergiftung Nawalnys werde bestritten oder als Provokation westlicher Geheimdienste gedeutet. Der Oppositionspolitiker wird in Staatsmedien stets als Krimineller dargestellt.

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass in einer Umfrage des Lewada-Zentrums im November 2020, drei Monate nach seiner Vergiftung, nur zwei Prozent der Russen für Nawalny als potenziellen Präsidentschaftskandidaten stimmen wollten. Dieser Wert ist seit Jahren stabil.

Warum viele Russen bei Protesten zurückhaltend sind 

In seinen Enthüllungsvideos, oft gespickt mit ironischer Jugendsprache, appelliert Nawalny vor allem an junge Russen. Doch seine Botschaften wirken am stärksten nicht etwa bei Schülern, die Videos mit und über ihn etwa bei TikTok gerne teilen, sagt Gudkow.

Der Meinungsforscher Lew Gudkow Bild: DW/N. Batalov

"Die jüngeren schauen sich seine Videos an und bleiben passiv. Es reagieren diejenigen, die bereits Lebenserfahrung haben, Menschen zwischen 25 und 40 Jahren", sagt der Soziologe. Es seien Russen aus der Mittelschicht vor allem in den Großstädten, die die wirtschaftliche Stagnation in Russland mit Putins Politik in Verbindung bringen, so seine Erklärung.

Ähnlich sieht es der österreichische Russland-Experte Gerhard Mangott von der Uni Innsbruck. "Nicht jeder, der am Samstag (23.1.) auf der Straße war, hat für Nawalny demonstriert, nicht jeder der Demonstranten würde Nawalny beispielsweise bei einer Präsidentenwahl wählen, aber es war eine große Zahl von Bürgern und Bürgerinnen, die frustriert sind über die wirtschaftliche Rezession, den mangelnden Aufschwung, den Niedergang der Reallöhne, die politische Korruption, die Korruption im Alltag“, so Mangott gegenüber DW. 

Breite Massen bei Protesten erwartet Gudkow nicht. Zum einen sei die Wirtschaftslage in Russland noch relativ gut und kein Vergleich etwa zur Nachbarrepublik Belarus, wo die Demonstrationen gegen den Präsidenten seit Monaten andauern. Zum anderen gebe es keine Opferbereitschaft - anders als bei Nawalny selbst, der trotz drohender Verhaftung nach Russland zurückkehrte. "Die Bewunderung für Nawalny wird steigen", sagt Gudkow. "Dazu mischt sich das Gefühl, er sei zwar etwas Besonderes, "ein Recke", doch wir sind es nicht. Wir bewundern ihn, würden ihm aber nicht folgen." Das sei Konformismus, ein Erbe der Sowjet-Zeit.     

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen