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PolitikPolen

Nawrocki in Berlin: Konfrontation oder Kooperation?

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
16. September 2025

Inmitten der Krise an der NATO-Ostflanke reist Polens neuer Präsident Karol Nawrocki zum Antrittsbesuch nach Berlin. Wird er Kriegsreparationen fordern oder eher die Sicherheitspartnerschaft mit Deutschland suchen?

Ein Mann in einem dunklen Anzug, der polnische Präsident Karol Nawrocki, steht an einem Mikrofon. Im Hintergrund ist verschwommen ein Kampfflugzeug zu erkennen
Polens Präsident Karol Nawrocki auf dem Luftwaffenstützpunkt Poznan-KrzesinyBild: Jakub Karczmarczyk/PAP/dpa/picture alliance

Nach seinen Besuchen bei bevorzugten Partnern wie US-Präsident Donald Trump oder Papst Leo XIV. reist der neue polnische Präsident Karol Nawrocki am Montag Abend (15.09.2025) in ein Land, dem die polnischen Rechtskonservativen zutiefst misstrauen - nach Deutschland. An diesem Dienstag trifft er sich in Berlin mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Friedrich Merz. Danach fliegt er nach Paris weiter.

Sowohl im Wahlkampf als auch nach seinem Amtsantritt vor sechs Wochen machte Nawrocki keinen Hehl aus seinen Vorbehalten gegenüber dem westlichen Nachbarn, der angeblich zusammen mit Frankreich die EU beherrsche - zum Nachteil Polens, versteht sich.

Nawrocki bestätigt Anspruch auf Kriegsreparationen 

In seiner Rede zum 86. Jahrestag des Ausbruchs des Zweiten Weltkriegs bestätigte Nawrocki am 1.09.2025 den Anspruch seines Landes auf Kriegsreparationen aus Deutschland. Noch mehr: Er machte die Zukunft der Partnerschaft zwischen Polen und Deutschland von der Lösung dieser Frage abhängig.

"Um eine Partnerschaft mit unserem westlichen Nachbarn aufzubauen, die auf der Grundlage der Wahrheit und guter Beziehungen beruht, müssen wir endlich die Frage der Reparationen vom deutschen Staat klären, die ich als Präsident Polens zum Wohle aller eindeutig fordere", sagte Nawrocki bei der Gedenkfeier auf der Westerplatte bei Danzig.

Polens Regierungschef Donald Tusk und Präsident Karol Nawrocki beim Gedenken an den Überfall Nazi-Deutschlands auf Polen am 1.09.1939Bild: Adam Warzawa/PAP/dpa/picture alliance

Eine Kommission des polnischen Parlaments hatte im September 2022 die polnischen Kriegsschäden auf 6,2 Billionen Zloty (knapp 1,5 Billionen Euro) beziffert. Die polnische Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk bemüht sich daher seit zwei Jahren um finanzielle Hilfe für noch lebende NS-Opfer, deren Zahl auf 70.000 geschätzt wird. Bisher erfolglos.

Der Vorsitzende der oppositionellen rechtskonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski legte am 1. September nach und nannte Deutschland einen "postnazistischen" Staat, der weder die NS-Verbrecher bestraft, noch die NS-Opfer entschädigt habe. Eine aktuelle Umfrage zeigt, dass die Mehrheit der Polen (54 Prozent) hinter der Forderung nach Reparationen steht. Nawrockis Sprecher Rafal Leskiewicz bestätigte jüngst, dass Reparationen ein Thema bei den Gesprächen in Berlin sein werden.

Berlin weist die Forderungen nach Reparationszahlungen dagegen zurück. Die Frage sei rechtlich abgeschlossen, bekräftigte der Polen-Beauftragte der Bundesregierung, der CDU-Politiker Knut Abraham. Er verwies auf die Sicherheitskooperation zwischen den beiden Ländern. "Im Gegensatz zu damals, wo Polen Opfer wurde, stehen Deutschland und Polen jetzt füreinander ein. Und das müssen wir auch militärisch und finanziell untermauern", sagte Abraham dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Nach Drohnen-Attacke rückt die Sicherheit in den Vordergrund

Die Sicherheitsfrage war durch das Eindringen russischer Drohnen in den polnischen Luftraum in der Nacht zum vergangenen Mittwoch (11.09.2025) in den Vordergrund gerückt. Die enttäuschende Reaktion aus Washington sei "eine Ohrfeige" für Nawrocki gewesen, schrieb die polnische Online-Plattform ONET. Im Gegensatz zu den USA reagierten die europäischen NATO-Verbündeten, darunter Deutschland, schnell auf die Provokation. Die Bundeswehr weitete ihren Einsatz an der NATO-Ostgrenze aus - darunter die Luftraum-Überwachung in Polen mithilfe von Eurofighter-Jets. Die Zahl der Flugzeuge wurde von zwei auf vier verdoppelt.

"Das Lavieren von Trump und die schnelle Hilfe aus Europa sollten Nawrocki zum Nachdenken geben", sagte Piotr Buras, der Chef des Warschauer Büros des European Council on Foreign Relations (ECFR) der DW. "Wann, wenn nicht jetzt?", antwortete der Politologe auf die Frage nach einer Chance auf die deutsch-polnische Sicherheitspartnerschaft. Als Oberbefehlshaber der Armee könnte der Präsident, der bisher in der Sicherheitspolitik auf eine Sonderbeziehung zu den Vereinigten Staaten und Trump setzt, seine Politik korrigieren.

Antrittsbesuch in Washington: Nawrocki (l.) am 3.09.2025 bei seinem Vorbild Donald Trump im Weißen HausBild: Aaron Schwartz/ABACAPRESS/IMAGO

Die Politologin Agnieszka Lada-Konefal ist skeptisch. "Die polnische Rechte wird ihre Einstellung gegenüber Deutschland nicht ändern, weil sie sich nicht von rationalen Argumenten leiten lässt, sondern vom politischen Kalkül", erläutert die Vizedirektorin des Deutschen Polen-Instituts (DPI) in Darmstadt im Gespräch mit der DW. "Antideutsche Rhetorik bringt politische Vorteile - es lohnt sich, Deutsche als Schreckgespenster darzustellen und deutsche Politik als suspekt zu diffamieren", so Lada-Konefal.

Der Wahlsieg der Mitte-Links-Koalition unter Donald Tusk im Oktober 2023 hatte zwar eine Normalisierung der deutsch-polnischen Beziehungen nach acht Jahren PiS-Regierung gebracht, aber nicht die erwartete Wende. Auch der Machtwechsel in Berlin nach der Bundestagswahl im Februar 2025 erwies sich nicht als Durchbruch. Die einseitige Einführung von Grenzkontrollen durch Deutschland im Mai und die polnischen Gegenmaßnahmen haben die Beziehungen zusätzlich vergiftet.

Bundeskanzler Friedrich Merz hatte im Wahlkampf stets betont, dass Polen für ihn ein genauso wichtiger Partner sei wie Frankreich. Nach seiner Vereidigung Anfang Mai besuchte er Paris und Warschau. Doch vier Monate später, in einer Rede zur Eröffnung der Botschafterkonferenz am 8. September, sprach er nur noch von der deutsch-französischen Achse.

Polen-Müdigkeit in Deutschland?

"Ich sehe in den politischen und diplomatischen Kreisen in Deutschland eine gewisse Enttäuschung, ja sogar Polen-Müdigkeit", gibt Lada-Konefal zu. Berlin sei enttäuscht, dass die polnische Regierung aus innenpolitischen Gründen, sprich aus Angst vor der Kritik der Opposition, Initiativen in den polnisch-deutschen Beziehungen eher meide. "Der Ball liegt jetzt auf der polnischen Seite", sagte sie. "Warschau soll selbst die Initiative ergreifen oder wenigstens auf deutsche Angebote positiv reagieren, statt Desinteresse zu zeigen", rät die DPI-Vizedirektorin.

Die stellvertretende Direktorin des Deutschen Polen-Instituts, Agnieszka Lada-KonefalBild: Grzegorz Litynski

Noch radikaler beurteilt der Politikwissenschaftler Buras die Lage. "Die Tusk-Regierung hat Angst, von der Opposition als prodeutsch bezeichnet zu werden. Das behindert neue Initiativen gegenüber Berlin", erläutert er.

Nawrockis Vorgänger Andrzej Duda, der ebenfalls dem rechtskonservativen Lager entstammt, bemühte sich um einen guten Draht zum Schloss Bellevue, dem Sitz der Bundespräsidenten. "Nawrocki wird deutlicher als sein Vorgänger die Erwartungen gegenüber Deutschland artikulieren, weil er stärker als Duda die rechten Wähler anspricht", erklärte Lada-Konefal.

Im Presseprogramm für Nawrockis Berlin-Besuch sind weder eine Pressekonferenz noch Statements vorgesehen. Die Angst vor unbequemen Fragen ist offensichtlich größer als der Wille, sich vor der deutschen Hauptstadtpresse als zuverlässiger Partner zu präsentieren.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.