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"Neeeymaaaaar!"

Joscha Weber (z. Zt. in Santo André)13. Juni 2014

Im Stadion, auf den Fanmeilen oder in den Bars: Ganz Brasilien fieberte beim WM-Auftakt mit der Seleção mit. Mittendrin: DW-Reporter Joscha Weber, der im kleinen Santo André einen besonderen Fußballnachmittag erlebte.

Brasilianische Fans jubeln über den ersten WM-Sieg ihrer Mannschaft gegen Kroatien (Foto: Joscha Weber/DW)
Bild: DW/J. Weber

Ganz plötzlich herrscht Stille. Ungläubiges Schweigen, Kopfschütteln, schockierte Gesichter. Niemand rührt sich, alle blicken gebannt auf den Fernseher, keiner sagt etwas. Ein paar Sekunden lang geht das so, dann ruft einer laut "Nein!" und stampft mit dem Fuß auf den Boden. Jetzt gehen sie los, die Diskussionen in der kleinen Bar do Jorjas von Santo André, wer Schuld ist an Brasiliens Albtraumstart in die Heim-WM. Immer wieder fällt ein Name: Marcelo. Eine scharfe Hereingabe der Kroaten wird leicht abgefälscht und fällt dem brasilianischen Verteidiger vor die Füße: Eigentor! Schlimmer konnte es nicht kommen.

DW-Reporter Joscha WeberBild: DW/P. Wozny

Dabei haben sie sich doch so gefreut in der kleinen 800-Seelen-Gemeinde Santo André, die zurzeit die deutsche Nationalmannschaft beherbergt. Die Dorfstraße ist geschmückt mit Fahnen, praktisch jedes Kind trägt die Nationalfarben gelb und grün, Neymar-Trikots haben Hochkonjunktur. Im faden Licht einer einzigen Glühbirne haben sich 30 Dorfbewohner bei Jorjas versammelt, um das Auftaktspiel gegen Kroatien zu verfolgen. Halb Bar, halb Garagenstellplatz - Jorjas kleiner Raum ist bis auf den letzten Platz besetzt. Als einziger Nicht-Dorfbewohner habe ich einen Platz bekommen, werde schnell mit einbezogen in die Diskussionen um Marcelos Fehltritt, auch wenn ich mit meinen paar Brocken Portugiesisch nicht viel Erhellendes beitragen kann.

Ekstase auf 25 Quadratmetern

Die WM ist jetzt gerade mal 22 Minuten alt, als die Stimmung zu kippen droht. Oscar hat aus gut 20 Metern die Chance zum Ausgleich, doch Kroatiens Schlussmann Pletikosa hält. Wütendes Geschrei bei Jorjas. Das hier geht an die Nerven, Bier wird nachbestellt. Sechs Minuten später die Erlösung: Superstar Neymar zirkelt den Ball an den rechten Innenpfosten, 1:1. In der kleinen Garagenbar gibt es kein Halten mehr. Männer schreien, Kinder wuseln umher und eine ältere Frau hüpft so wild auf und ab, dass man sich ernsthaft Sorgen um sie machen muss. Ekstase auf 25 Quadratmetern, Brasilien ist wieder im Spiel.

Brasilianische Glückselichkeit in der Bar do JorjasBild: DW/J. Weber

In der Halbzeitpause werden kleine kross gebratene Fleisch-Stückchen rumgereicht und wohl mir zuliebe die deutsche Mannschaft gelobt. Doch die Seleção sei natürlich besser, lacht mein Nachbar Marcelo mit Töchterchen Isadora auf dem Schoß. Zu Spielbeginn senkte er beim Namen Neymar noch den Daumen leicht, jetzt zeigt er nach oben. So schnell kann's gehen im Fußball. Lange plätschern in der zweiten Halbzeit die Partie und der Abend bei Jorjas so dahin. Dann Jubel und Gelächter: Fred fällt im Strafraum, Schiedsrichter Nishimura pfeift Elfmeter. Nie im Leben, sagt der Gesichtsausdruck von Marcelo neben mir und brüllt kurz danach: "Neeeymaaaaar!", weil dieser den Elfmeter mit etwas Glück verwandelt. Als Oscar in der Nachspielzeit per Konter den Sieg klarmacht, knallen draußen vor der Bar die Böller. Drinnen liegen sich alle in den Armen. Schlusspfiff, das war's, geschafft, puh! War bestimmt nicht mein letzter Fußballabend in der Bar do Jorjas…

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