1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Neonazis den Saft abdrehen - nur wie?

Nastassja Shtrauchler | Jefferson Chase
17. Juli 2017

Der "Rock gegen Überfremdung" in Themar war das wohl größte Neonazi-Konzert des Jahres in Deutschland. Verbotsanträge waren erfolglos geblieben. Kann eine Verschärfung des Versammlungsrechts das in Zukunft ändern?

Deutschland Ermittlungen nach Rechtsrock-Konzert in Thüringen
Bild: Reuters/M. Rehle

Knapp 3000 Einwohner hat Themar in Südthüringen. Am Samstag kamen auf jeden von ihnen zwei Neonazis. Mehr als 6000 Rechte aus ganz Europa feierten in der Kleinstadt das wohl größte Rechtsrock-Konzert in der Geschichte des Bundeslandes. Sogar eigene T-Shirts waren dafür entworfen worden. "Sturm auf Themar" prangte auf der Vorderseite in Frakturschrift. Auf der Rückseite stand etwas von "Gutmenschen in Angst". Spät am Abend, als sich der Himmel über dem Bierzelt schon tief-blau verfärbt hat, kam es zu seiner Szene, die auch dem Letzten deutlich machte, worum es sich bei dem als Versammlung angemeldeten Event handelte: Die Arme zum Hitlergruß ausgestreckt riefen Hunderte Rechtsextreme im Chor "Sieg Heil". Drei Hundertschaften aus Thüringen und mehrere hundert Polizisten aus sechs anderen Bundesländern waren im Einsatz. Eingegriffen hat an dieser Stelle niemand.

Versammlung oder Veranstaltung?

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) fordert nun politische Konsequenzen. Damit Konzerte wie das in Themar künftig nicht mehr unter Meinungsfreiheit fallen, solle das Versammlungsrecht geändert werden. Dem Mitteldeutschen Rundfunk sagte Ramelow, er denke, dass das Versammlungsrecht derart präzisiert werden müsse, dass Landratsämter und Genehmigungsbehörden und die entscheidenden Gerichte diese Dinge nicht mehr unter Meinungsfreiheit abtun könnten. Das Landratsamt Hildburghausen hatte das Konzert mit Verweis auf den Eintritt zuvor als kommerzielle Veranstaltung und nicht als politische Versammlung gewertet.

Ramelow: "Traurig" und "hilflos" über Konzert in ThemarBild: picture-alliance/dpa/M. Schutt

Während Versammlungen durch das Grundgesetz besonders geschützt sind - ihr Ziel ist die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung -, fallen Veranstaltungen in den Bereich der Unterhaltung. Sie können leichter verboten oder eingeschränkt werden. Versammlungen hingegen dürfen nur im konkreten Einzelfall von Gerichten untersagt werden. Nicht immer ist die Abgrenzung aber eindeutig. In Themar beispielsweise gab es zwischen den Bandauftritten Redebeiträge und so wurde die Veranstaltung vom Gericht als Versammlung eingestuft - eine, bei der die Veranstalter nach Schätzungen Ramelows zwischen 300.000 und 400.000 Euro eingenommen haben. Für den Polizeieinsatz kommt der Steuerzahler auf.

Kubicki: "Verfassungsrechtlich nicht haltbar"

Seit 2006 ist das Versammlungsrecht Ländersache. Thüringens Landtag hätte also die Möglichkeit, eine Verschärfung zu beschließen, doch das Thema ist eine Art heilige Kuh. Der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki bezeichnete Ramelows Forderungen als "emotional nachvollziehbar, aber verfassungsrechtlich nicht haltbar". Wenn man anfange, verfassungsrechtliche Grundsätze an gesinnungsrechtlichen Maßstäben auszurichten, werde staatliches Handeln willkürlich, weil es nicht mehr auf einer neutralen Grundlage geschehe, sondern Partei ergreife, so Kubicki. Der Vorsitzende der Thüringer Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus (Mobit) Sandro Witt hält ein neues Versammlungsgesetz gar nicht für notwendig. "Die konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze würde ausreichen, um solche Konzerte zu untersagen." Er stelle sich vielmehr die Frage, warum eine rechte Musikveranstaltung dieses Ausmaßes in Thüringen möglich sei und in anderen Bundesländern nicht.

Thüringen als Hotspot des Rechtsrocks

Neonazi in ThemarBild: Reuters/M. Rehle

Für Henning Flad, Projektleiter bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche und Rechtsextremismus, ist das eindeutig. Thüringen sei historisch gesehen für die Entwicklung des Rechtsrocks immer ein Hotspot gewesen. "Da gab es immer besonders aktive, umtriebige Strukturen von Leuten, die solche Konzerte organisiert haben", so Flad gegenüber der Deutschen Welle. Einer davon ist Tommy Frenck. Er hat das rechte Großevent in Themar organisiert. Frenck gilt in der Neonazi-Szene als eine Art Kultfigur. Quer über seinen Hals hat er sich das Wort "Aryan", also "Arier" tätowieren lassen. Er betreibt unter anderem einen Gasthof nahe Themar, in dem die Neonazis der Region ihren zentralen Treffpunkt gefunden haben. Das nächste Neonazi-Konzert in Thüringen ist schon in Planung.

6000 Neonazis und 500 Gegendemonstranten

Sollte auch diese Veranstaltung genehmigt werden, will der Bürgermeister von Themar Hubert Böse wieder eine Gegendemonstration organisieren. Am Samstag waren gerade mal 500 Menschen zusammen gekommen. "Das wäre schlecht, wenn man sich nicht zu einer friedlichen Gegenoffensive formieren würde", sagte Böse gegenüber der DW. "Wir möchten es eigentlich nicht haben und sind auch der Auffassung, dass diese inhaltlichen Sachen nichts mit Themar zu tun haben." Zu Ramelows Vorstoß, das Versammlungsrecht zu präzisieren, wollte er sich nicht näher äußern. Allgemein müsse man aber die Frage stellen, ob Veranstaltungen dieser Größenordnung, die die Einwohnerzahl weit überschritten, überhaupt als Versammlung bewertet werden dürften. "Wir hatten ein Polizeiaufgebot von um die 1000 Beamten, und das kostet schließlich auch alles Geld."

Nur rund 500 Gegendemonstranten stellten sich den rechten Konzertbesuchern gegenüber.Bild: picture alliance/dpa/B. Schackow

Auch Jan Raabe, Experte für die Neonazi-Musikszene, ist skeptisch im Hinblick auf die Vorschläge des Thüringer Ministerpräsidenten. Im Interview mit der DW sagte er, er verspreche sich mehr von einer konsequenteren Durchsetzung der bestehenden Gesetze. Und: Man müsse sich konkreter damit auseinandersetzen, was der besondere Schutz politischer Veranstaltungen eigentlich bedeute. Darüber rede eigentlich niemand, so Raabe. "Ich würde ja davon ausgehen, dass auch bei politischen Veranstaltungen die Gesetze eingehalten werden müssen."

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen