Mao statt Monarchie
28. Mai 2008Die Jahrhunderte alte Prophezeiung erfüllte sich als großes Volksfest. Ein verärgerter Wanderasket, so will es die Legende, soll König Prithvi Narayan Shah einst vorausgesagt haben, dass seine Dynastie nach zehn Generationen enden werde. Am Mittwoch (28.05.2008) kamen aus allen Winkeln Nepals Delegierte zur Konstituierenden Versammlung zusammen, um die 238 Jahre alte Monarchie abschaffen – 560 Abgeordnete stimmten für die Republik, nur vier dagegen. Vor dem Gebäude versammelten sich tausende Menschen, um das Ereignis zu feiern. Zur gleichen Zeit traf König Gyanendra – in der zehnten Generation Nachkomme des Staatsgründers – noch einmal Familienmitglieder und Berater in seinem Palast. Außerhalb der Mauern beschränkte sich seine Unterstützung auf eine Serie von kleineren Bombenanschlägen, bei denen niemand verletzt wurde.
Geladene Stimmung
"Die Stimmung gegen den König ist so geladen, dass es zur Abschaffung der Monarchie keine Alternative gab", sagt Jay Raj Acharya, ehemaliger UN-Botschafter des Landes. Gyanendras Herrschaft hatte von Anfang an unter einem schlechten Stern gestanden. An die Macht kam er, weil 2001 die Königsfamilie um seinen Bruder von dem damaligen Kronprinzen erschossen wurde. Durch sein autokratisches Gebaren, das in der Absetzung der gewählten Regierung gipfelte, isolierte er sich zunehmend: In der Hauptstadt sah er sich Massenprotesten gegenüber, auf dem Land stärker werdenden maoistischen Rebellen und international wachsendem Druck.
Die einstigen Rebellen könnten nun den Regierungschef stellen. Denn zur Überraschung sämtlicher Beobachter gewannen sie bei den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung Mitte April 220 der 601 Sitze – fast doppelt so viele wie die zweitstärkste Partei. Die Wahlen hatte ein 2006 geschlossenes Friedensabkommen möglich gemacht.
Angst vor einer Diktatur
Die Konstituierende Versammlung soll nicht nur eine neue Verfassung ausarbeiten, sondern auch eine Übergangsregierung bestimmen – und das dürfte schwierig sein. Denn die traditionell stärksten Parteien, der sozialistische Nepali Congress (NC) und die kommunistischen UML, zieren sich bislang, Junior-Partner der Maoisten zu werden. Viele Politiker befürchten, dass eine Kooperation die Maoisten weiter stärken könnte.
"Die Parteien haben schon zu viele Zugeständnisse gemacht", kritisiert etwa Jay Raj Acharya, ehemaliger Berater des Premierministers. Hauptfehler sei gewesen, die Wahlen vor Auflösung der maoistischen "Volksbefreiungsarmee" abzuhalten. Da die Rebellen zwei Drittel des Landes kontrollierten, hätten die übrigen Parteien den Kontakt zu großen Teilen der Bevölkerung verloren. Die Zusicherungen der Rebellen, am Mehrparteiensystem festhalten zu wollen und Privatinvestitionen zu begrüßen, überzeugen Acharya nicht: "Sie könnten versuchen, ein diktatorisches System zu schaffen."
Feilschen um Posten
Doch die etablierten Parteien könnten kaum an ihrer Blockadehaltung festhalten, sagt Rhoderick Chalmers, Nepal-Experte der International Crisis Group in Katmandu, und prophezeit: "Bald geht das Feilschen um Ministerposten los." Wie schwierig das werden könnte, zeigen die Verhandlungen um die künftige Regierungsform. Weil sich die Parteien nicht einigen konnten, welche Machtbefugnisse der Präsident bekommen wird, musste die erste Sitzung der Konstituierenden Versammlung um zehn Stunden verschoben werden. Offenbar soll der Maoisten-Führer Pushpa Kamal Dahal alias Prachanda nach zwei Jahrzehnten im Untergrund nun Premierminister werden. Das weitgehend zeremonielle Amt des Staatspräsidenten könnte der Übergangs-Premierminister Girija Prasad Koirala vom Nepali Congress übernehmen.
Ganz gleich, ob eine Koalitions-, eine Allparteien- oder eine Minderheitsregierung das Land regieren wird – vor ihr liegen kaum zu bewältigende Aufgaben: Nepal, das zu den ärmsten Ländern der Welt gehört, ist für Investoren wegen seiner Rückständigkeit und seiner geographischen Unzugänglichkeit kaum interessant. Drängendste Herausforderung sind die steigenden Lebensmittelpreise, die einen Großteil der Bevölkerung hart getroffen haben - und die das Potenzial haben, jegliches Vertrauen in die neue Regierung zu untergraben.
Wohin mit den Kämpfern?
Ein weiteres ungelöstes Problem ist die Zukunft der 20.000 maoistischen Kämpfer – gegen eine Einbindung in die nach Ende des Bürgerkrieges mit 93.000 Mann ohnehin viel zu große Armee sperren sich die Generäle. "Die Maoisten arbeiten noch immer mit Einschüchterung und Gewalt", sagt der parteilose Bürgerrechts-Aktivist Devendra Raj Pandey. Nicht immer sei dabei klar, ob die Führung Kontrolle über ihre Kämpfer habe. Insbesondere der Jugendorganisation werden immer wieder Erpressung und andere Verbrechen vorgeworfen.
Doch dass die Maoisten die Demokratie aushebeln werden, glaubt Pandey nicht. "Die Leute, die so etwas sagen, sind die, die immer die Macht hatten und sie nun abgeben müssen", sagt der Bürgerrechtler. "Aber die Bevölkerung hat eines immer wieder gezeigt: Sie duldet keine Diktatur."