Nepal: Politischer Neustart mit Unterstützung der Großmächte
22. September 2025
Anfang des Monats stürzen Massenproteste Nepal in eine tiefe politische Krise. Überwiegend junge Menschen waren auf die Straße gegangen, als die Regierung soziale Medien sperrte. Die Demonstrierenden prangerten dabei auch Korruption und Vetternwirtschaft an. Es kam zu tödlicher Gewalt, gefolgt vom Rücktritt des Premierministers Khadga Prasad Sharma Oli. Nun sucht der Himalaja-Staat – eingezwängt zwischen Indien und China - einen Weg hin zu neuer Stabilität.
Das sei eine "Revolution der Massenfrustration" gewesen, sagt die Politikwissenschaftlerin Sucheta Pyakurel in Nepal. "Es gibt allerdings einen Zusammenhang zwischen internen und externen Einflüssen. Nepal verlor sowohl die Kontrolle über die staatlichen Institutionen als auch über die Wirtschaft. Viele junge Menschen sind deswegen auf der Suche nach Arbeit und gehen ins Ausland. Da sind externen Einflüssen Tür und Tor geöffnet."
"Freundschaft mit allen, Feindschaft mit niemandem"
Geografisch gesehen liegt Nepal zwischen China und Indien. Das Entwicklungsland benötigt wirtschaftliche Hilfe von allen möglichen Mittelgebern. Auch deshalb hat sich die Regierung in Katmandu einer "blockfreie Außenpolitik" verschrieben, die eine lange Geschichte hat. Sie ist seit der Entstehung des modernen Nepal durch König Prithvi im Jahr 1768 tief verwurzelt. Die Grundsätze "Freundschaft mit allen und Feindschaft mit niemandem" sowie "friedliche Koexistenz" sind auch in der Verfassung verankert.
Nepal und Indien teilen sich eine 1.751 Kilometer lange offene Grenze und sind durch tief verwurzelte zivilisatorische, kulturelle, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Beziehungen verbunden. Historisch gesehen betrachtet Indien Nepal als Teil seines "Einflussbereichs" und spielt seit dem demokratischen Wandel von 1951 bei allen wichtigen politischen Veränderungen in Nepal eine Rolle.
Mit China teilt Nepal die nördliche Grenze zur autonomen Region Tibet. Peking betrachtet die Instabilität in Nepal als potenzielle Bedrohung für die Stabilität in Tibet. Etwa 20.000 Tibeter, die dem Dalai Lama als geistlichem Oberhaupt folgen, leben in Nepal. Peking betrachtet den 90-jährigen buddhistischen Mönch als Separatisten.
Die Regierung in Nepal hat bisher aber wiederholt bekräftigt, keine separatistischen Aktivitäten zu unterstützen und Tibet, Hongkong, Macao und Taiwan als integralen Bestandteil Chinas anzuerkennen.
Balanceakt zwischen China, Indien und den USA
"In der Außenpolitik Nepals geht es vor allem darum, ein empfindliches Gleichgewicht zwischen allen drei regionalen und globalen Mächten aufrechtzuerhalten", sagt Geopolitik-Analyst Chandra Dev Bhatta.
Neben Indien und China werde dabei als der "dritte Nachbar" die USA angesehen. Seit den 1950er-Jahren flossen mehr als drei Milliarden US-Dollar Entwicklungshilfe nach Nepal. Zwar hat im Juli der US-Präsident Donald Trump die Entwicklungsagentur USAID geschlossen, aber kürzlich stellte die Millennium Challenge Corporation (MCC), ein Entwicklungshilfefonds der US-Regierung, 530 Millionen US-Dollar Fördergelder für Nepal zur Verfügung.
Seit dem Inkrafttreten der neuen demokratischen Verfassung im Jahr 2015 hatte Nepal acht Regierungen, die kommunistisch und sozialdemokratisch geprägt waren. Die linksgerichteten Kräfte zögern dabei oft nicht, Indien sowie den Westen wie die USA und die Europäische Union für die politischen Veränderungen in Nepal verantwortlich zu machen.
Beziehungen zu Peking werden besser
China gewinnt dagegen an Bedeutung, Seit 2017 beteiligt sich Nepal an der weltumspannenden Seidenstraßeninitiative (Belt and Road Initiative, kurz BRI) Chinas. Das Ziel ist, die Verkehrsinfrastruktur des Himalaja-Staats mit Eisenbahn-, Straßen-, Digital- und Energienetzen zu verbessern.
"Für Peking dient ein stabiles und friedliches Nepal zwei Zwecken: der Gewährleistung der Sicherheit Tibets und der Gewinnung kleinerer Staaten für Chinas globale Politik”, sagt Bhatta im DW-Interview.
Analysten glauben, dass Peking gerne mit den linksgerichteten Regierungsparteien zusammenarbeite, weil die ideologische Affinität die chinesischen Interessen schützen und dem westlichen Einfluss entgegenwirken würde. Seit dem Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Kathmandu im Oktober 2019 haben mindestens vier linke Premierminister oder Präsidenten China besucht.
Zuletzt war Nepals zurückgetretener Premier Oli noch Anfang September in China zu Gast. Er nahm am Gipfeltreffen der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und später an der Militärparade zum 80. Jahrestag des Kriegsendes in Peking teil.
Für Bhatta ist eine chinafreundliche Haltung "eher ungewöhnlich" und weist darauf hin, dass "unsere Beziehungen zu Indien und dem Westen enger sind". Damit könne "unsere strategische Annäherung an China ungünstig aufgenommen werden."
"Blockfreiheit" wichtig für Nepal
Die Übergangsregierung in Kathmandu, der mit Sushila Karki erstmals eine Frau als Premierministerin vorsteht, organisiert nach den Protesten jetzt Neuwahlen. Der indische Premier Narendra Modi sicherte Nepal im Telefongespräch mit Karki "die unerschütterliche Unterstützung für die Wiederherstellung von Frieden und Stabilität" zu. Aus Peking hieß es, China respektiere "den vom nepalesischen Volk unabhängig eingeschlagenen Entwicklungsweg".
Aus den Ländern erreichten das südasiatische Land nun politische Botschaften und Signale, wohl auch mit dem Ziel, "sich die anstehende politische Wende als Verdienst anzurechnen", sagt Indra Adhikari, Vorständin des Policy Research Institute in Kathmandu. Sie mahnt zur Vorsicht: "Nepal sollte davon absehen, von seinem außenpolitischen Mantra der Blockfreiheit abzuweichen und in eine geopolitische Falle zu tappen."