Die Schach-WM in Dubai ist so gut wie entschieden. Nach einem weiteren groben Fehler des Herausforderers Jan Nepomniachtchi erhöht Magnus Carlsen auf 6:3. Die Schach-Szene fragt: Was ist los mit "Nepo"?
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Weltmeister Magnus Carlsen war sichtlich irritiert. Wie schon in der achten Partie hatte Jan Nepomniachtchi unerwartet einen Bauern nach vorne gezogen - und wieder war sofort klar, dass es sich um einen kapitalen Fehlzug handelte. "Absurd - man erwartet einen solchen Zug nicht", so der Kommentar des Weltmeisters nach der Partie. Am Brett schüttelte Carlsen den Kopf, dachte kurz nach und führte dann seinen eher naheliegenden Gegenzug aus.
Sowohl der Weltmeister als auch viele Zuschauern wussten zu diesem Zeitpunkt: Die Partie ist so gut wie entschieden. Carlsen hatte einem Läufer des Russen den Rückweg abgeschnitten und schickte sich an, die verirrte Figur schnell zu erobern. Ein Vorteil, den sich der Weltmeister in der Folge nicht mehr nehmen ließ.
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Mit neuem Haarschnitt gut gestartet
Dabei hatte die neunte Runde für den Russen sehr gut begonnen. Der Weltranglistenfünfte aus Moskau, der mit einem neuen Haarschnitt aus dem Ruhetag gekommen war, kam besser als der Norweger aus den Startlöchern. Der Weltmeister hatte Mühe, die Partie im Lot zu halten und verbrauchte ungewöhnlich viel Zeit. "Ich stand die ganz Zeit eher besser", so Nepomniachtchi (Spitzname: "Nepo").
Bis zum 27. Zug: "Es ist fast schon komisch, dass man in dieser Stellung die gesamte Partie in einem Zug einstellen kann", wunderte sich der russische Großmeister über seinen neuerlichen Lapsus. Wie schon in der Runde zuvor verdarb er seine Stellung mit einem einzigen Bauernzug: Kein leicht ungenauer Zug, wie er auch unter Top-Profis vorkommt, sondern ein grober Schnitzer - eher Bezirksklasse als Weltklasse.
Was ist los mit Jan Nepomniachtchi? Der Russe gilt eigentlich als einer der wenigen Spieler auf der Welt, der Magnus Carlsen ernsthaft in Gefahr bringen kann. Nepomniachtchi habe "eine Stärke, die fast alle anderen nicht haben: Schnelligkeit", so der Elite-Coach Rustam Kasimjanov in einem DW-Interview vor der WM. "Das macht ihn gefährlich für Carlsen. Natürlich kann das auch schief gehen." In Dubai ist letzteres eingetreten.
Druck zu groß
Fest steht, dass sich das Match für Nepomniachtchi in den vergangenen Tagen denkbar ungünstig entwickelt hat. Nach starkem Beginn erlitt der Herausforderer in der sechsten Partie eine schmerzhafte Niederlage: In der längsten Partie der WM-Geschichte verlor er in über sieben Stunden eine spannende Partie, in der er zeitweise sogar Gewinnchancen hatte. Der Druck, nun auf jeden Fall einen Sieg gegen den erfahrenen Champion erzielen müssen, wurde offenbar zum Problem für den Russen - es folgten die spektakulären Fehltritte in den Runden acht und neun.
Beim Stand von 6:3 für Magnus Carlsen sind die Chancen des Herausforderers auf ein Comeback in den verbleibenden fünf Runden nur noch theoretisch. Magnus Carlsen dürfte schon am Wochenende die erfolgreiche Titelverteidigung feiern. Richtig freuen kann sich der 31-jährige Norweger darüber nicht: "Ich ziehe es vor, gegen einen Kontrahenten zu siegen, der in Bestform ist", meinte Carlsen in Dubai. "Sich einen Sieg hart zu erarbeiten, fühlt sich einfach besser an."
Denksportler und Denker: Emanuel Lasker
Er ist der Rekord-Weltmeister: Vor 150 Jahren wurde Emanuel Lasker geboren, der erste und bisher einzige Schach-Weltmeister aus Deutschland. Ein Mann mit vielen Talenten.
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Schach-Profi oder Professor?
Am 24. Dezember 1868 als Sohn eines jüdischen Kantors im westpommerschen Örtchen Berlinchen (heute Polen) geboren, studierte Emanuel Lasker Mathematik, promovierte und hielt Vorträge an Universitäten in England und den USA. Eine Karriere an der Hochschule schien möglich und wurde von Lasker auch angestrebt. Doch parallel spielt er Schach gegen die besten der Welt und eilt von Sieg zu Sieg.
Bild: Getty Images/Hulton Archive
Weltmeister: Sieg gegen Wilhelm Steinitz
Im März 1894 war es so weit: Lasker tritt gegen den amtierenden Weltmeister Wilhelm Steinitz an. Der junge Herausforderer aus Deutschland gilt als Favorit und gewinnt mit 12:7. Zwei Jahre später besiegt Lasker den in den USA lebenden Österreicher Steinitz im Rückkampf erneut.
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Titelverteidigung 1908
Siegbert Tarrasch ist um die Jahrhundertwende einer der stärksten Schachspieler der Welt. Der Arzt aus Breslau hat den Spitznamen: "Praeceptor Germaniae" (Lehrmeister Deutschlands). Seine Bücher über die Schach-Theorie werden noch heute gelesen. Gegen Lasker hat Tarrasch aber im Jahr 1908 keine Chance. Lasker, der inzwischen in Berlin lebt, gewinnt klar mit 8:3.
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Schach als Sport
Zu Laskers Zeiten galt Schach als intellektuelle Passion und weniger als Sport.
Doch Lasker war seiner Zeit voraus: Er wollte auf dem Schachbrett punkten, egal wie. Mit dieser pragmatischen Grundhaltung machte er sich in der damaligen Schachszene nicht nur Freunde. Der aktuelle Schachweltmeister, der Norweger Magnus Carlsen, geht seine Partien heutzutage ähnlich ergebnisorientiert an.
Bild: picture-alliance/ZB
Der Denksportler als Vordenker
Auch als Weltmeister verfolgte Lasker weiter seine akademischen und künstlerischen Interessen. Er wechselte von der Mathematik zur Philosophie, aber erreichte nicht die ersehnte Hochschul-Professur. Zusammen mit seinem Bruder, der mit der Dichterin Else Lasker-Schüler verheiratet war, schrieb er sogar ein expressionistisches Theaterstück - das aber schnell in Vergessenheit geriet.
Bild: Getty Images/Hulton Archive
Die Niederlage: Raúl Capablanca ist stärker
Nach 27 Jahren muss Emanuel Lasker den Weltmeister-Titel abgeben. 1921 verliert er das Match gegen Raúl Capablanca klar mit 9:5. Lasker kann keine einzige Partie gegen den Kubaner gewinnen, der wegen seines perfekten und eleganten Spiels als "Schach-Maschine" gilt.
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Nachfolger aus Norwegen
Obwohl Deutschland ein Land mit vielen Schachspielern ist, hat es seit Lasker kein Deutscher mehr auf den Schach-Thron geschafft. Der amtierende Champion Magnus Carlsen (Norwegen) wird oft mit Lasker verglichen. Wie sein deutscher Vorgänger gilt Carlsen als großer Kämpfer, der geschickt auch die kleinsten Fehler seiner Gegner ausnutzt.
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Weltbürger
Nach der Niederlage gegen Capablanca blieb Lasker in der Öffentlichkeit präsent, veröffentlichte Artikel und hielt Vorträge, in denen er für Völkerverständigung warb und sich gegen den grassierenden Antisemitismus wandte. Der Deutsche Schachbund erinnerte daher mit einer Ausstellung im Jahr 2018 nicht nur an den Schachspieler, sondern auch an den Wissenschaftler und Gesellschaftskritiker Lasker.
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Vergessen im Exil
Lasker erkannte 1933 schnell, dass ihn der Ruhm als Deutschlands größter Schachspieler nicht vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten bewahren würde. Er flüchtete und starb 1941 in New York. Dort liegt er auf dem jüdischen Friedhof Beth Olom begraben. Im Nachkriegsdeutschland geriet er außerhalb der Schach-Szene schnell in Vergessenheit.