Sorge in den Golf-Staaten nach Israels Angriff auf den Iran
13. Juni 2025
Die Reaktion folgte umgehend. Nur wenige Stunden nach dem israelischen Angriff auf zahlreiche Ziele im Iran hat das saudische Außenministerium diesen kritisiert. "Das Königreich Saudi-Arabien verurteilt die eklatanten israelischen Aggressionen gegen die brüderliche Islamische Republik Iran aufs Schärfste", hieß es in einer von dem Ministerium veröffentlichten Stellungnahme in dem Kurznachrichtendienst X. Diese untergrüben die Souveränität und Sicherheit des Iran und seien ein klarer Verstoß gegen internationale Gesetze und Normen, heißt es in der Erklärung weiter.
Saudi-Arabien sieht sich in einer schwierigen Situation. Seit Jahren bemüht sich Israel darum, die Beziehungen zu arabischen Ländern , auch und insbesondere zu denen der arabischen Halbinsel, zu normalisieren. Ihren Niederschlag fand diese Politik in den sogenannten Abraham-Vereinbarungen, in denen das Verhältnis zwischen Israel und einigen Staaten der Region neu definiert wurde. Anliegen des Abkommens war es, diplomatische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Beziehungen zwischen Israel und diesen arabischen Ländern zu begründen und auszubauen. Im Sommer 2020 hatten die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain ein solches Abkommen unterzeichnet.
Saudi-Arabien hingegen hat bislang noch kein Abkommen mit Israel geschlossen. Zwar gibt es dem Vernehmen nach bereits seit Jahren nicht-öffentliche Gespräche zwischen den beiden Staaten. Doch immer wollte Saudi-Arabien bislang den Eindruck vermeiden, als Hüter der Heiligen Stätten des Islam würde es durch eine Annäherung an Israel die traditionell gepflegte Solidarität mit den Palästinensern untergraben.
Annäherung an den Iran
Dies gilt umso mehr seit dem 7. Oktober 2023, als die militant-islamistische, in Deutschland, der Europäischen Union, den USA und einigen anderen Staaten als Terrororganisation eingestufte Hamas israelisches Territorium attackierte und dabei knapp 1170 Personen tötete und 255 nach Gaza entführte. Die darauf folgende militärische Antwort Israels bewertete Saudi-Arabien wie die meisten arabisch und islamisch geprägten Länder in offiziellen Verlautbarungen viel kritischer als die meisten westlichen Staaten. Im November 2024 hatte der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman einem Bericht der BBC zufolge Israel im Gazastreifen einen "Völkermord" vorgeworfen. Dennoch gewährt das Land seit dem Sommer 2020 Israel das Überflugsrecht für Flüge in die VAE.
Zugleich hat sich Riad in den vergangenen Jahren Teheran stark angenähert. Nachdem die beiden Staaten 2016 ihre diplomatischen Beziehungen abgebrochen hatten, nahmen sie diese im März 2023 unter chinesischer Vermittlung wieder auf.
Bei der Annäherung an den Iran dürften die Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien und die VAE, auch das nun eingetretene Szenario im Blick gehabt haben, sagt Marcus Schneider, Leiter des Regionalprojekts für Frieden und Sicherheit im Mittleren Osten der Friedrich-Ebert-Stiftung in Beirut. "In den Hauptstädten der arabischen Halbinsel ist man sich bewusst, dass man auf einem Silbertablett liegt, wenn ein Krieg zwischen Israel und dem Iran ausbricht. Anders als Israel ist man dort allerdings durch kein effizientes Abwehrsystem geschützt. Davor hat man seit langer Zeit Angst, weshalb man immer auch versucht hat, Israel über die USA von einer Eskalation abzuhalten."
Saudischer Balanceakt
Saudi-Arabien vollziehe seit dem 7. Oktober 2023 einen Balanceakt, sagt Sebastian Sons, Golfstaaten-Experte beim Bonner Think Tank Carpo. "Das Land setzt in Richtung aller seiner Nachbarn auf Deeskalation. In diesem Sinn hat es versucht, in den unterschiedlichen Konflikten als Plattform für den Dialog zu fungieren und hat mehrere große Gipfel ausgerichtet, unter anderem auch zum Krieg im Gazastreifen, an denen auch regelmäßig iranische Repräsentanten teilnahmen. Diese diplomatischen Aktivitäten sind gewissermaßen Teil des saudischen Geschäftsmodells, das auf Annäherung anstatt auf Konflikt setzt."
Aus diesem Grund gelte eine Eskalation zwischen Iran und Israel als Worst-Case-Szenario. "Denn Saudi-Arabien befindet sich dann gewissermaßen im Auge des Sturms, und man fürchtet, dass es zu Angriffen auf das nationale Territorium kommen könnte, da sich dort ja auch US-Truppen befinden." Auch habe man Sorgen, dass die dem Iran verbundene radikal-islamische Huthi-Miliz aus dem Jemen ihre Angriffe wieder aufnehmen könne. Immer noch hat man in Riad den Angriff der Terror-Miliz auf Anlagen des saudischen Erdöl-Konzern Aramco im September 2019 in Erinnerung.
Umso entschlossener habe Saudi-Arabien den weiteren Ausbau der Beziehungen zum Iran vorangetrieben, sagt Sons. "Dahinter steht der Anspruch, von einer eher taktischen zu einer strategischen Annäherung zu kommen und die Zusammenarbeit auf mehreren Feldern, etwa dem der Sicherheit, auszubauen. Zugleich misstraut Saudi-Arabien dem Iran weiterhin. Man hat große Vorbehalte gegen den Nachbarn. Umso schwieriger ist die derzeitige Situation für Riad zu kalkulieren."
Umso auffälliger sei die Wortwahl, die das saudische Außenministerium in seiner Kritik des israelischen Angriffs gewählt habe, sagt Schneider. "Der Umstand, dass das Außenministerium auf dem Netzwerk X von einem Angriff auf den 'brüderlichen' Iran spricht, zeigt, wie dramatisch die Lage ist. Der Begriff 'Bruder' oder 'brüderlich' bezieht sich normalerweise nur auf arabische Länder. Die Wortwahl zeigt, dass man auf keinen Fall als Komplize Israels wahrgenommen werden will."
Sorgen im Oman und im Irak
Auch der Oman sieht nun die Aussicht auf eine diplomatische Lösung im Streit über das iranische Atomprogramm gefährdet. Das Land an der Südspitze der arabischen Halbinsel hatte die Atom-Gespräche zwischen dem Iran und den USA vermittelt. Der Schlag untergrabe die Sicherheit und Stabilität der Region, kritisierte das Land laut Agenturmeldungen die israelische Aktion. Die Gespräche zwischen den USA und dem Iran sollen dem Vernehmen nach aber weitergehen. Die nächsten Gespräche, geplant für kommenden Sonntag, sind aber abgesagt.
Besorgt dürfte man auch im Irak sein. In dem Land sind zahlreiche dem Iran verbundene Milizen wie etwa die Kataib Hisbollah präsent. Diese schiitischen Gruppierungen fühlen sich weniger der Regierung in Bagdad als der in Teheran verpflichtet. Über den politischen Zweig dieser Milizen reicht der iranische Einfluss bis ins irakische Parlament. "Wenn die Regierung in Teheran ihnen jetzt mitteilt, es gehe um alles, könnten sie durchaus die Waffen erheben", sagt Schneider. "Die könnten sich etwa gegen die im Irak stationierten US-Truppen oder andere US-Ziele richten. Darum haben die USA ja bereits vor Tagen ihr Botschaftspersonal abgezogen. Auch das zeigt, dass derzeit vieles denkbar ist in der Region."