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Netanjahus umstrittener Besuch in Washington

24. Juli 2024

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu wird am Mittwoch vor dem US-Kongress in Washington sprechen: Mitten im Gaza-Krieg, begleitet von Protesten in den USA und Israel und dem Boykott einiger demokratischer Politiker.

Israel Premierminister Benjamin Netanjahu spricht in Mikrofone, im Hintergrund eine israelische Fahne
Israels Premierminister Benjamin NetanjahuBild: Nir Elias/Pool Photo/AP/picture alliance

Als Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu das bisher letzte Mal vor dem US-Kongress sprach, schimpfte er über eines der wichtigsten diplomatischen Projekte der Obama-Regierung, das Atomabkommen mit dem Iran - und belastete damit die Beziehungen zum Weißen Haus. Neun Jahre später wird Netanjahu wieder im Kapitol der Vereinigten Staaten erwartet - die Spitzen beider Parteien im US-amerikanischen Parlament hatten ihn dazu eingeladen. Und dieses Mal sind die Begleitumstände sogar noch angespannter. 

Das Timing könnte nicht schlechter sein, sagt Barbara Slavin, Journalistin und Expertin für den Nahen Osten und Nordafrika beim Stimson Center, einem Thinktank in Washington. Es sei einfach nicht der richtige Zeitpunkt. "Vielleicht wäre es anders, wenn er in Gaza vor Monaten einen Waffenstillstand akzeptiert und den Wiederaufbau begonnen hätte. So wird er viele Amerikaner sehr wütend machen, die ohnehin schon aufgebracht sind wegen der Ereignisse im Nahen Osten."

Vieles anders in Washington 

Doch auch für Netanjahu ist der aktuelle Zeitpunkt nicht sehr günstig. Denn seine Reise fällt zusammen mit der Entscheidung von Präsident Biden, nicht zur Wiederwahl anzutreten und seinem Vorschlag, seine Stellvertreterin, US-Vizepräsidentin Kamala Harris als Kandidatin der Demokraten in das Rennen um das Weiße Haus zu schicken.

Die mögliche neue US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris bestimmt aktuell die Schlagzeilen in WashingtonBild: Erin Schaff via REUTERS

Diese neue innenpolitische Situation könnte die Aufmerksamkeit von Netanjahus Besuch ablenken. Zudem ist die Unsicherheit über Israels künftigen Partner im Weißen Haus noch einmal gewachsen.

Der amtierende Präsident wird sich mit Israels Premier erst nach Netanjahus geplanter Rede vor den beiden Kammern des US-Kongresses treffen. Zu Beginn der Woche kurierte sich Biden von seiner Corona-Erkrankung.

Auch der Termin für eine Unterredung mit seiner Stellvertreterin und möglichen neuen US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris ist für Donnerstag geplant. Sie wird bei Netanjahus Rede nicht anwesend sein. Harris, die als Senatspräsidentin normalerweise hinter den ausländischen Staatsoberhäuptern sitzt, wird zu einer länger geplanten Reise nach Indianapolis aufbrechen.

Statt Harris würde normalerweise dann die Senatsvorsitzende und Washingtoner Demokratin Patty Murray den Platz besetzen. Murray aber gehört zu den demokratischen Kongressmitglieder, die Netanjahus Rede aus Kritik am Vorgehen Israels im Gazastreifen boykottieren könnten. 

Rund um Netanjahus Besuch sind zudem massive Proteste auf der Straße angekündigt. 

Netanjahu: Die "Wahrheit über unseren gerechten Krieg"

Im Israel-Hamas-Krieg wird die Biden-Regierung sowohl im In- wie im Ausland kritisiert, weil sie einen Mittelweg versucht: Einerseits unterstützt sie mit Israel einen ihrer wichtigsten Verbündeten. Andererseits ermöglicht sie es, dass Netanjahu einen Krieg führt, der eine schwere humanitäre Krise verursacht sowie - nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums - 39.000 Tote im Gazastreifen gefordert hat. Israel und die militante Hamas befinden sich im Krieg, seit die islamistische Terrororganisation am 7. Oktober 2023 Israel angegriffen und nach israelischen Angaben rund 1200 Israelis getötet und 251 Geiseln genommen hat. Die Hamas wird von Israel, den USA, Deutschland, der Europäischen Union und einigen arabischen Staaten als terroristische Organisation eingestuft.

Als er eingeladen wurde vor dem Kongress zu sprechen, sagte Netanjahu, er werde versuchen, "den Vertretern des amerikanischen Volkes und der gesamten Welt die Wahrheit zu präsentieren über unseren gerechten Krieg gegen jene, die uns zerstören wollen".  

Einst unverbrüchliche Verbündete: US-Präsident Joe Biden (l.) und Israels Premier Benjamin Netanjahu (r.) im Oktober 2023Bild: Miriam Alster/UPI Photo/imago images

Netanjahu wolle seine Botschaft allerdings nicht nur an den Kongress richten, sagt Jon Alterman, Direktor des Nahostprogramms beim Center for Strategic and International Studies (CSIS) in Washington. Neben dem amerikanischen habe er vor allem sein israelisches Publikum im Sinn. Viele Israelis seien verärgert darüber, wie der Krieg verläuft und sorgten sich um die Geiseln. "Ihnen will er demonstrieren, dass er die Beziehungen mit den USA nicht zerstört hat, wie es ihm Kritiker vorwerfen. Was das Weiße Haus denkt, interessiert Netanjahu viel weniger."

USA-Israel-Beziehungen: Die Basis bröckelt

Mehrere Schlüsselereignisse haben die Kluft zwischen den Regierungen in Washington und Jerusalem in den vergangenen Monaten vertieft. Etwa die Weigerung des Weißen Hauses, angesichts von Israels Offensive in Rafah, bestimmte Waffen zu liefern. Oder die Behauptung Netanjahus in einem Video, dass Washington viel mehr Unterstützung vorhalte, als man öffentlich zugebe - ebenso wie seine Weigerung, einer von den USA unterstützten Feuerpause zuzustimmen.

Proteste gegen den Krieg in Gaza: Demonstranten vor dem Weißen Haus in WashingtonBild: Jose Luis Magana/AP/picture alliance

Als die Spitzen von Senat und Repräsentantenhaus Netanjahu einluden, so vermutet Barbara Slavin, erwarteten sie wohl, dass sich die Rahmenbedingungen verbessert haben würden - was nicht der Fall ist. "Die Erwartung war offenbar, dass es Ende Juli - nach neun Monaten Krieg - einen Waffenstillstand gäbe und Pläne für die Zeit danach", erläutert Slavin. Das sei nicht passiert. Netanjahus Rechtsaußen-Koalition führe "nicht nur diesen abscheulichen Krieg in Gaza weiter, sondern verschlingt auch immer größere Teile des Westjordanlandes, damit dort niemals ein palästinensischer Staat entstehen kann."

Und die anhaltenden Feuergefechte zwischen Israel und der von Iran unterstützten Hisbollah-Milizen an der israelisch-libanesischen Grenze schüren weiter die Sorge der US-Regierung vor einer Ausweitung des Krieges.

Enttäuschung und Proteste in Israel

Netanjahus Reise nach Washington wird auch in seiner Heimat sehr genau beobachtet. Ein von 500 israelischen Akademikerinnen und Akademikern unterschriebener Brief drängt den US-Kongress, Netanjahu wieder auszuladen. Wenn er auftreten dürfe, vermindere das "den öffentlichen Druck der internationalen Gemeinschaft auf Netanjahu, den Geisel-Deal anzunehmen, der auf dem Tisch liegt". Seit Monaten laufen indirekte Gespräche zwischen Israel und der Hamas, bei denen Ägypten, Katar und die USA vermitteln. In der israelischen Knesset forderten Oppositionspolitiker, Netanjahu solle im US-Kongress dem Geisel-Deal zustimmen - oder gar nicht erst nach Washington reisen.

Gegenwind für Netanjahu auch zu Hause: Demonstration gegen den Gazakrieg und für die Freilassung der Geiseln in Tel AvivBild: Ohad Zwigenberg/AP/picture alliance

Maya Roman, die eine Angehörige in Gefangenschaft der Hamas hat, will, dass der Geisel-Deal im Rampenlicht bleibt und ist deshalb für Netanjahus Rede bis nach Washington gereist. "Er nimmt unseren Schmerz und nutzt ihn für seinen Vorteil, nicht für unser Ziel, unsere Lieben zurückzubringen. Alles, was wir seit dem 7. Oktober durchgemacht haben, diese furchtbare Tortur, sollte er nur dafür einsetzen dürfen, um unsere geliebten Menschen nach Hause zu holen."

Netanjahu spielt auf Zeit

Jon Alterman vom CSIS erklärt, dass Netanjahu mit seiner Reise auch ein ganz praktisches Ziel verbinde. Er kämpfe um sein politisches Überleben und wolle jede Bedrohung seiner Führungsrolle in der Heimat hinauszögern. Darum liege der Besuch auch kurz vor der dreimonatigen Parlamentspause: Die Knesset gehe in die Sommerferien und dann in die jüdische Feiertagszeit. Und sie werde erst kurz vor den Präsidentschaftswahlen in den USA wieder zusammenkommen. Es sei sehr schwer, eine Regierung zu stürzen, wenn die Knesset nicht tage, so Alterman.

USA: Pro-palästinensische Proteste an Unis weiten sich aus

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Nicht erst seit den Diskussionen um Netanjahus Washington-Besuch sehen Expertinnen und Experten Hinweise, dass die jahrzehntelange solide Basis der US-amerikanisch-israelischen Beziehungen ins Rutschen gerät. Die Proteste an den Universitäten gegen den Krieg in Gaza gelten manchen als Vorboten eines generationsbedingten und ideologischen Wandels in der Wahrnehmung Israels.

"Junge Leute erinnern sich nicht an ein mutiges kleines Israel, das um seine Existenz kämpft. Sie kennen nur ein Israel, das Palästinenser tötet. Darum sehen sie keinen demokratischen Verbündeten, kein Land, mit dem wir Werte teilen", erklärt Barbara Slavin. Israel laufe Gefahr, eine ganze Generation in den USA zu verlieren. "Wir sehen die Auswirkungen vielleicht nicht sofort, aber in fünf, zehn oder 20 Jahren."

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert. Er wurde erstmals am 21. Juli 2024 veröffentlicht und zuletzt am 24. Juli aktualisiert. 

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