Netflix stellt deutsche Serie "1899" überraschend ein
Scott Roxborough
3. Januar 2023
Die Fans von "1899" sind verärgert und wollen wissen, warum Netflix die von vielen gefeierte Serie nach nur einer Staffel absetzt. Der Streaming-Dienst hält sich bislang bedeckt.
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Als die Macher der Serie, Baran bo Odar und Jantje Friese, bekannt gaben, dass ihre neue Serie nach nur einer Staffel abgesetzt wird, waren viele Fans schockiert.
"Schweren Herzens müssen wir euch mitteilen, dass "1899"nicht verlängert wird", heißt es in der Erklärung der Filmemacher, die auf Instagram gepostet wurde. "Wir hätten diese unglaubliche Reise gerne mit einer zweiten und dritten Staffel beendet, so, wie wir es mit "Dark" getan haben. Aber manchmal entwickeln sich die Dinge nicht so, wie man sie geplant hat. So ist das Leben."
Für viele kam diese Nachricht wie aus heiterem Himmel. "1899" startete im November letzten Jahres mit einem großen Medienrummel, erhielt weltweit hervorragende Kritiken und landete laut Netflix-eigenen Charts in 55 Ländern auf Platz 1 der Streaming-Plattform.
1899: Innovative technische Umsetzung
Filmexperten und Zuschauer lobten den Ehrgeiz der Serie, die in mehreren Sprachen gedreht wurde, so sprachen die Schauspieler - darunter der deutsche Andreas Pietschmann, der dänische Schauspieler Lucas Lynggaard Tønnesen und die Hongkongerin Isabella Wei - alle in ihrer jeweiligen Muttersprache.
Die Serie war auch ein technisches Wunderwerk: Sie war eine der ersten Serien, die in einem virtuellen Produktionsstudio gedreht worden war - mit einer hochmodernen Technologie für digitale Spezialeffekte, die es den Regisseuren ermöglicht, komplexe visuelle Effekte vor der Kamera zu erzeugen. Die gesamte erste Staffel wurde auf dem Gelände von Studio Babelsberg außerhalb Berlins gedreht.
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Frustrierte Fans starten eine Petition
Ähnlich wie "Dark" war "1899" nach Angaben der Macher als Drei-Staffel-Serie konzipiert. Jede Staffel sollte mit einem Cliffhanger enden, der eine neue Ebene der Geschichte enthüllt. Die letzten Szenen der Serie am Ende von Staffel 1 hinterließen die Fans mit einer Menge unbeantworteter Fragen - und nun einer Menge Frustration.
Nach der offiziellen Absetzung der Serie haben viele Fans ihren Unmut in den sozialen Medien kundgetan. Einige forderten Netflix auf, die Entscheidung rückgängig zu machen. Auf Twitter wurde ein #Save1899-Konto eingerichtet, und innerhalb weniger Stunden sammelte eine Petition zur Verlängerung der Serie auf Change.org mehr als 20.000 Unterschriften.
"Ich kann die Absetzung von #1899Netflix weder verstehen noch akzeptieren, weil die Serie auf der ganzen Welt so gut lief und eine so einzigartige, interessante künstlerische Identität hat", schrieb ein Twitter-Nutzer.
Netflix gibt für gewöhnlich keine Erklärungen ab, wenn es um kreative oder kommerzielle Entscheidungen geht und wird auch den "1899"-Fans wohl eine Antwort schuldig bleiben. Ein Grund für die Absetzung von "1899" könnte Netflix' Abonnentenstrategie sein. Der Streaming-Dienst misst den Erfolg neuer Serien anhand der neu generierten Abonnenten nach Serienstart. Scheinbar hat "1899" dieses Kriterium verfehlt. Die Erwartungen von Netflix blieben offenbar hinter dem zurück, was man sich nach dem Erfolg der dritten Staffel von "Dark" erhofft hatte. Daran änderten auch die positive Rezeption bei den Filmkritikern und die treue Fanbase nichts.
Sind Plagiatsvorwürfe ein Grund für die Absetzung?
Es lohnt sich, daran zu erinnern, dass "Dark" ein Überraschungserfolg war, der aus dem Nichts kam - eine deutschsprachige Low-Budget-Serie, die weltweit ein riesiges Publikum fand -, während die Erwartungen an "1899", nicht zuletzt wegen des viel höheren Budgets, von Anfang an riesig waren.
Aber literarisch gesehen wird jede prominente Film- oder Fernsehserie mit ähnlichen Vorwürfen konfrontiert, und Cagnins Behauptungen scheinen rechtlich nicht sehr fundiert zu sein. Abgesehen von ein paar gemeinsamen Elementen, darunter einer multinationalen Besatzung auf einer Reise - in "Black Silence" sind es Astronauten, die im Weltraum gestrandet sind, nicht Migranten auf einem Dampfer - ist es schwer, viele Ähnlichkeiten zwischen den beiden Werken zu finden.
Traumfabrik Babelsberg
Die Studios vor den Toren Berlins gehören zu den bekanntesten Filmschmieden der Welt. Jetzt wurde sie von einem US-amerikanischen Konzern gekauft.
Bild: Studio Babelsberg AG
Die Geburtsstunde des Filmstudios Babelsberg
Die Amerikaner hatten schon ihr Hollywood, als deutsche Filmleute noch in Ateliers im Zentrum von Berlin drehten. Dabei lösten sie häufig Feueralarm aus, weil die Pappmaschee-Dekoration unter den heißen Scheinwerfern schnell in Flammen aufging. Schließlich bat die Feuerwehr darum, die Innenstadt zu verlassen. Im Potsdamer Stadtteil Babelsberg fand Filmpionier Guido Seeber ein geeignetes Gelände.
"Totentanz"-Premiere
In nur drei Monaten entstand dort im Winter 1911/12 im Auftrag der Firma Bioscop ein Filmatelier mit 300 Quadratmetern Grundfläche, das sogenannte "Kleine Glashaus". Kaum fertiggestellt ging es auch schon los mit der ersten Produktion - "Totentanz", ein Stummfilm mit dem dänischen Star Asta Nielsen. Ein Jahr später wurden auf dem Gelände ein zweites Atelier und ein Kopierwerk gebaut.
Bild: picture-alliance/dpa
Pioniere der Technik
1922 stieg die UFA in die Produktion ein und testete neue Techniken. Bei Dreharbeiten zu Friedrich Wilhelm Murnaus "Der letzte Mann" (mit Emil Jannings) wurde 1924 erstmals mit einer beweglichen Kamera gearbeitet. Selbst Hollywood schickte seine Leute zur Weiterbildung nach Babelsberg. Hitchcock schwärmte später: "Alles, was ich über das Filmemachen wissen musste, habe ich in Babelsberg gelernt."
Bild: picture-alliance/Keystone/Röhnert
Meisterwerk "Metropolis"
Zwei Jahre lang arbeite Fritz Lang in Babelsberg an seinem Science-Fiction-Opus "Metropolis" (1927), einem Meisterstück des Stummfilms. Mit Produktionskosten in Höhe von fünf Millionen Reichsmark war der Film der teuerste seiner Zeit. Seine Bildsprache wurde zum Vorbild für viele weitere Generationen.
Bild: picture alliance / dpa
Ein Weltstar wird geboren
Viele Stars begannen ihre Karriere in Babelsberg, aber Deutschlands wahrscheinlich erfolgreichster Filmexport war Marlene Dietrich. Die 29-jährige Schauspielerin hatte 1930 ihren Durchbruch mit Joseph Sternbergs Klassiker "Der blaue Engel", der zweisprachig in Deutsch und Englisch gedreht wurde. Er war Deutschlands erste große Tonfilmproduktion im brandneuen Atelier "Tonkreuz".
Bild: picture-alliance/Gusman/Leemage
Propagandamaschine Babelsberg
Nach der Machtergreifung der Nazis gingen die Produktionen in Babelsberg unter staatlicher Kontrolle weiter. Zwischen 1933 und 1945 entstanden hier unter Regie des Propagandaministers Joseph Goebbels rund tausend Filme. So etwa Veit Harlans antisemitisches Werk "Jud Süss" oder Leni Riefenstahls Dokumentation "Triumph des Willens" über den NSDAP-Reichsparteitag 1934.
Bild: Mary Evans Picture Library
Dreharbeiten in den Trümmern
Die Dreharbeiten zum ersten deutschen Nachkriegsfilm begannen 1946 mit Wolfgang Staudtes "Die Mörder sind unter uns". Der Film, mit dem Hildegard Knefs Karriere begann, fragt nach individueller Schuld und Verantwortung während der nationalsozialistischen Herrschaft. Gedreht wurde mitten im zerstörten Berlin. Im Ausland hielt man die Trümmerlandschaft später für eine besonders gut gebaute Kulisse.
Bild: picture-alliance/KPA
"Nackt unter Wölfen"
Ende 1947 gab die sowjetische Besatzungsmacht die Babelsberg Studios wieder zur Filmproduktion frei. In der DDR drehte die Deutsche Film-AG, kurz "DEFA", über 700 Spielfilme und viele Fernsehproduktionen. Neben linientreuen Werken enstanden auch jenseits des Eisernen Vorhangs gefeierte Filme wie Frank Beyers "Nackt unter Wölfen" (1963). Rechts im Bild: der junge Armin Müller-Stahl als KZ-Insasse.
Bild: picture-alliance/dpa
Nicht alles sonnig in der "Sonnenallee"
Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 wurde die DEFA von der Treuhandgesellschaft gekauft, die für die Privatisierung der Volkseigenen Betriebe der DDR zuständig war. Diese wiederum verkaufte das Studio an die französische Vivendi Universal, die rund 500 Millionen Euro in die Erneuerung des Studios steckte. Diese typische Berliner Straße wurde 1999 für die Tragikomödie "Sonnenallee" gebaut.
Bild: picture-alliance/ ZB
Dreharbeiten mit Polanski
2004 erwarben die Filmproduzenten Carl Woebcken und Christoph Fisser das Unternehmen. Mit 25.000 Quadratmeter Fläche und 16 Studios ist das Studio Babelsberg einer der größten zusammenhängenden europäischen Filmstudiokomplexe. 2002 drehte Roman Polanski hier "Der Pianist" mit Adrien Brody in der Hauptrolle.
Bild: imago stock&people
Hollywood aus Babelsberg
Viele US-amerikanische Filme entstehen mittlerweile in Babelsberg. Die internationalen Produktionen bringen einen Hauch von Hollywood-Glamour nach Potsdam. Die britische Schauspielerin Kate Winslet drehte hier 2007 den Film "Der Vorleser". Darin geht es um einen Schüler, der eine Affäre mit einer zwanzig Jahre älteren Frau eingeht. Jahre später erfährt er, dass sie einst Aufseherin im KZ war.
Bild: imago/Unimedia Images
Staraufgebot bei "Inglourious Basterds"
Auch Quentin Tarantino, der Kopf hinter den Kultfilmen "Pulp Fiction" und "Kill Bill", drehte 2009 in Babelsberg. "Inglourious Basterds" handelt von dem Versuch, die Nazi-Führung im Zweiten Weltkrieg zu ermorden. Neben Brad Pitt (im Bild) und anderen Weltstars waren auch deutschsprachige Schauspieler wie Til Schweiger und Daniel Brühl mit von der Partie.
Bild: Francois Duhamel
Tödliche Spiele: "Tribute von Panem"
Mehr als 2000 Komparsen und gigantische Kulissen an Drehorten in Potsdam und Berlin wurden für die Dreharbeiten zum dritten und vierten Teil der weltweit erfolgreichen "Tribute von Panem"-Reihe benötigt. Im Bild: Jennifer Lawrence als Katniss. Zwar sind die Berliner an den Anblick von Film-Teams in der Stadt gewohnt; einen Blick auf die Stars erhaschen sie aber trotzdem gern.
Bild: picture-alliance/dpa/M. Close
Ein neues Kapitel
Anfang 2022 hat der US-amerikanische Konzern "TPG Real Estate Partners" (TREP) die Studios vor den Toren Berlins übernommen. Zu TREP gehören zudem die Cinespace-Studios in Chicago und in Toronto sowie weitere 90 Tonstudios weltweit. Trotz der Übernahme wird man in Babelsberg weiterhin unabhängig produzieren.
Bild: picture-alliance/dpa/R. Hirschberger
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Sinkende Abonnentenzahlen in den Vereinigten Staaten und ein langsameres Wachstum auf internationaler Ebene in Verbindung mit mehr Konkurrenz durch Anbieter wie zum Beispiel Disney+ und HBO Max haben die Streaming-Plattform gezwungen, sich mehr auf den Gewinn zu konzentrieren.
"1899" ist nicht die einzige Netflix-Serie mit einer starken Fangemeinde, die kürzlich eingestellt wurde. "Resident Evil" wurde nach einer Staffel abgesetzt, "Warrior Nun" nach zwei. Diese Serien könnten an anderer Stelle wieder auftauchen - Netflix selbst hat abgesetzte Serien wie "Arrested Development" und "Gilmore Girls" wiederbelebt -, aber eine begeisterte Online-Fangemeinde allein reicht nicht aus, um eine Verlängerung der Staffel zu garantieren.
Wenn "1899" nach 8 Episoden und zwei Monaten im Internet nicht genug geliefert hat, um die Verantwortlichen davon zu überzeugen, dass die Serie es wert ist, Geld dafür auszugeben, dann ist das ganz offenbar für Netflix Grund genug für die Absetzung.
Rayna Breuer hat diesen Text aus dem Englischen übersetzt.