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Politik

Streaming-Dienste im Dilemma

Helena Kaschel
2. Januar 2019

Nachdem Netflix eine Comedy-Folge für Nutzer in Saudi-Arabien entfernt hat, ist die Aufregung groß. Der Fall zeigt: Streaming-Dienste bewegen sich im Spannungsfeld zwischen Recht, Werten und Wirtschaftsinteressen.

Netflix Serie Dark
Szene aus der deutschsprachigen Netflix-Serie "Dark" - die Plattform ist in mehr als 190 Ländern freigeschaltetBild: Netflix

"Jetzt wäre eine gute Zeit, unsere Beziehung zu Saudi-Arabien zu überdenken. Das sage ich als Muslim und als Amerikaner." Hasan Minhaj, 33 Jahre alt, schwarze Jeans, weiße Sneaker, spricht die beiden Sätze direkt in die Kamera.

Zu sehen ist das in der zweiten Folge der im Oktober gestarteten Netflix-Comedy-Show "Patriot Act". In den darauffolgenden rund 20 Minuten spricht Minhaj über den Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi, für den der US-Senat jüngst offiziell Saudi-Arabien verantwortlich machte, über die Inhaftierung saudischer Aktivistinnen, über die Rolle Riads im Jemen-Konflikt - und vor allem über Kronprinz Mohammed bin Salman. Der kommt schlecht weg bei dem Comedian, der bisher vor allem aus der US-amerikanischen TV-Satire "The Daily Show" bekannt war. 

Während weltweit unzählige Zuschauer wohl erst jetzt auf die Sendung aufmerksam werden, können Nutzer in Saudi-Arabien die Folge auf Netflix nicht mehr sehen. Wie die "Financial Times" zuerst berichtete, hat die US-amerikanische Streaming-Plattform die Folge für Nutzer in Saudi-Arabien aus dem Programm genommen - auf Aufforderung der saudischen Regierung.

"Wir unterstützen die künstlerische Freiheit weltweit nachdrücklich und haben diese Episode erst in Saudi-Arabien entfernt, nachdem wir von der Regierung eine gültige rechtliche Forderung erhalten hatten - um die örtlichen Gesetze einzuhalten", so zitiert die "Financial Times" einen Netflix-Sprecher.

Wie das Unternehmen dem Blatt mitteilte, berief sich das Informationsministerium in Riad auf ein Gesetz gegen Cyberkriminalität. Darin heiße es, Inhalte, die "über das Informationsnetz oder Computer auf die öffentliche Ordnung, religiöse Werte, die Sitten und die Privatsphäre der Bürger" einwirkten, stellten eine Straftat dar, die mit einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden könne.

"Erschreckend, aber nicht überraschend"

Auf dem YouTube-Kanal von "Patriot Act" ist die Folge für Nutzer in Saudi-Arabien weiterhin zu sehen - Riad hat also möglicherweise die Google-Tochter bisher nicht aufgefordert, das Video zu entfernen. Die Empörung im Netz ließ dennoch nicht lange auf sich warten. "Viele von uns Arabern waren sehr aufgeregt, als Netflix seine MENA-Abteilung (Abteilung Naher Osten und Nordafrika, Anm. d. Red.) startete, weil wir dachten, dies sei ein Weg, um die Zensur zu umgehen. Ich denke, damit ist jetzt Schluss", schrieb etwa ein Nutzer.

"Die zunehmende Geschwindigkeit, mit der Technologieunternehmen bereit sind, alles zu tun, um autoritäre Regierungen zu beschwichtigen, ist erschreckend, wenn auch nicht überraschend", twitterte ein anderer. Die "Washington Post"-Redakteurin Karen Attiah schrieb, bei Meinungsfreiheit in der arabischen Welt, die auch Khashoggi beschworen hatte, gehe es nicht nur um Journalisten, sondern auch um "Künstler, Comedians, Cartoonisten, Musiker, Aktivisten und jeden, der seine Ansichten über die Gesellschaft ausdrücken will".

Auch Menschenrechtsgruppen protestierten. Eine Sprecherin von Human Rights Watch sagte dem britischen "Guardian", "jeder Künstler, dessen Arbeit auf Netflix erscheint, sollte empört sein, dass sich das Unternehmen bereit erklärt hat, eine Comedy-Show zu zensieren, weil die dünnhäutige Königsfamilie in Saudi-Arabien sich darüber beschwert hat". Die "New York Times" zitierte einen Vertreter von Amnesty International mit den Worten, Netflix laufe Gefahr, "die Nulltoleranzpolitik des Königreichs in Bezug auf die freie Meinungsäußerung zu erleichtern und die Behörden dabei zu unterstützen, den Menschen das Recht auf freien Zugang zu Informationen zu verweigern".

Netflix verhält sich "rechtskonform"

Anders sieht der Fall aus medienrechtlicher Sicht aus - denn Streaming-Dienste und andere Internetplattformen müssen sich an das in dem jeweils betroffenen Land geltende Recht halten. Sollte die "Patriot Act"-Folge tatsächlich gegen saudische Gesetze verstoßen haben, "hätte sich Netflix erst einmal rechtskonform verhalten", sagt Nima Mafi-Gudarzi, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medienrecht und Kommunikationsrecht der Universität Köln. In Deutschland sehe man das nicht anders: "Stellen Sie sich vor, Netflix hätte im Programm irgendeine Doku, in der der Holocaust geleugnet wird. Das wäre eine Straftat nach deutschem Recht. Auch da würde man darauf hinwirken, dass Netflix dieses Programm für Zuschauer innerhalb Deutschlands nicht zugänglich macht."

Hat sich bisher nicht öffentlich zu dem Fall geäußert: Hasan Minhaj, hier auf dem Set einer anderen Netflix-ProduktionBild: picture-alliance/AP Photo/Netflix

Gleichzeitig gebe es in vielen Ländern nicht nur sehr weit gefasste Strafgesetze, sondern auch "keine vernünftige richterliche Kontrolle, und dann kann die jeweilige Regierung das natürlich nutzen, um ihre Interessen durchzusetzen", sagt Bernd Holznagel, Professor für Medienrecht an der Universität Münster. "Das wird auch überall in Ländern gemacht, die nicht rechtsstaatlich und demokratisch sind."

Doch auch wirtschaftliche Interessen spielen eine Rolle. Netflix, das inzwischen einen Börsenwert von 142 Milliarden US-Dollar verzeichnet, ist in den vergangenen Jahren massiv expandiert. Erst 2016 wurde die Plattform in 130 neuen Ländern freigeschaltet, darunter auch in Saudi-Arabien. Auch der US-amerikanische Streaming-Dienst Amazon Prime Video ist seit 2016 mit wenigen Ausnahmen weltweit verfügbar. "Unternehmen sind keine Volksbeglückungseinheiten, sondern die wollen Gewinne machen", erklärt Holznagel. US-amerikanische Konzerne, die etwa in den chinesischen Markt vordringen wollten, müssten unter Umständen Zugeständnisse machen.

Ein Balanceakt

Diese Interessen müssten die Konzerne mit den Werten vereinbaren, zu denen sie sich bekennen, sagt Mafi-Gudarzi. "Für die Unternehmen ist das ein Balanceakt." Es bestehe ein Dilemma, "weil es hier auch um den Export von Kulturgütern und kulturellen Anschauungen geht. Dass Unternehmen, die weltweit expandieren, sich an das jeweilige nationale Recht anpassen müssen, war bislang nicht so in Frage gestellt worden und wurde nie so breit diskutiert."

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Wenn etwa McDonald's in Asien, Afrika oder Südamerika Filialen eröffnen wolle, sei das Konfliktpotenzial geringer, "denn das einzige, was man da beachten muss, ist wahrscheinlich das örtliche Lebensmittel- oder Gesundheitsrecht oder dass im arabischen Raum auf die Verwendung von Schweinefleisch verzichtet wird. Hier geht es aber eben um Kunst, Kultur, Meinungsfreiheit, hier treffen viel mehr unterschiedliche moralische Anschauungen aufeinander."

Das zeigt nicht nur der aktuelle Fall. Im November bat das oberste Gericht in Neu-Delhi Medienberichten zufolge die Regierung, über eine Petition zu beraten, die ein Verbot von "vulgären Inhalten" auf Netflix, Amazon Prime und ähnlichen Diensten forderte. In Singapur entfernte Netflix auf Wunsch der Regierung drei Serien, da diese Drogen positiv darstellten, wie der US-amerikanische Radiosender NPR unter Berufung auf einen Sprecher des Unternehmens berichtet. Doch nicht in allen Ländern sind die Plattformen bereit, Kompromisse einzugehen: In China, Nordkorea, Syrien und auf der Krim ist Netflix nicht verfügbar. Amazon Prime Video hält sich neben China, Nordkorea und Syrien auch von Kuba und dem Iran fern.