Anna Netrebko auf Tournee
5. Juli 2011Drei Gesichter tauchen aus der Dunkelheit auf: eine langhaarige Schönheit in der Mitte und neben ihr zwei romantische Helden, der eine mit etwas sanfteren Gesichtszügen, der andere ein Draufgänger. Was nach Werbung für ein Film-Melodrama aussieht, ist stattdessen das Plakat der aktuellen Sommertour der russisch-österreichischen Sopranistin Anna Netrebko, der - nach eigener Auskunft - "regierenden neuen Diva des 21. Jahrhunderts".
Die gutaussehenden Männer an ihrer Seite sind ihr Lebensgefährte Erwin Schrott, ein Bass-Bariton, und der Tenor Jonas Kaufmann. Zusammen sind die drei im Begriff, ab Ende Juli Freiluftarenen mit Zehntausenden von Hörern zu füllen - etwa den Königsplatz in München oder die Berliner Waldbühne. Die Werbemaschinerie läuft auf Hochtouren, schließlich ist nichts weniger als ein "Gipfeltreffen des Stars" angekündigt.
Anna singt, Erwin tanzt
"Zwei sind gut, aber drei sind besser", verkündete Anna Netrebko lachend in der Pressekonferenz zur Tournee. Neben dem Gesang ist auch viel Spektakel zu erwarten: Alle drei sind gute Selbstdarsteller. Der gebürtige Uruguayer Erwin Schrott, ist ein begnadeter Sänger, der sich neben der weit berühmteren Netrebko permanent profilieren muss. Zur Zeit ist er auch auf Tour mit seinem aktuellen Tango-Album, einer Hommage an seine Latino-Wurzeln. Tango tanzen würde sie mit dem Vater ihres Sohnes Tiago aber auf keinen Fall, versicherte Netrebko. Wenn er unbedingt tanzen wolle, so solle er das mit einer Berufstänzerin tun. Sie selbst würde lediglich den Hintergrundgesang beisteuern.
Einen Appetizer auf das "Mega-Event" hat es am 2. Juli in Köln gegeben. Dankenswerterweise fand das Konzert nicht in einer Sportarena, sondern in der bis auf den letzten Platz gefüllten Philharmonie statt. Jonas Kaufmann war bei diesem Auftritt nicht mit von der Partie, sondern "nur" das Traumpaar der Oper: Netrebko & Schrott.
Rosafarben und mit Playboy
Die zahlreichen Zufallsgäste des ehrenwerten Musik-Tempels, die nur "wegen der Netrebko" angereist waren, kamen auf ihre (teilweise recht hohen) Kosten: Anna brillierte gekonnt mit ihrer vollen, reifen und dunklen Stimme. Die Sängerin hat etwas abgenommen und präsentierte sich mal in einem leuchtend roten Galakleid, mal in einer rosafarbenen Abendrobe. Erwin Schrott schlenderte mit einer druckfrischen Ausgabe des Männermagazins "Playboy" auf die Bühne und sang gewohnt gut Leporellos "Registerarie". Kurzum: Das Programm, zusammengestellt aus Paradearien des italienischen Repertoires aus dem 19. Jahrhundert, überzeugte durch natürliche Schönheit und kurzweilige Unterhaltung.
Als zum Schluss "Lippen schweigen" von Lehár mit anschließendem Bühnenkuss das Programm abrundete, war das Publikum endgültig aus dem Häuschen. So kann man Klassik genießen. Wenn Jonas Kaufmann das "Traumpaar" demnächst mit seinem Tenor ergänzt (für Sopran und Bass-Bariton als Duett gibt es ja recht wenig geeignete Partituren), kann das Glück der Freilicht-Musikliebhaber perfekt werden.
Klassikevents ersetzen keine Opernabende
Spätestens seit der umjubelten, aber auch viel kritisierten Welt-Tournee der "Drei Tenöre" hört die Diskussion nicht auf, ob lukrative, aber oberflächliche Veranstaltungen dieser Art der Klassik eher schaden oder ob sie umgekehrt neue Hörerschichten ansprechen. Die Erfahrungen der letzten Zeit zeigen: Weder das eine noch das andere hat sich bewahrheitet.
Netrebko-Fans kommen nicht zu einem Mahler-Konzert, aber Unterhaltungsabende wie der in Köln verderben auch nicht die Lust auf Annas neue Rollen, ob demnächst als "Iolanta" in Salzburg oder als Elsa in "Lohengrin". Bei Anna Netrebko, die trotz ihres Status als Star erfreulich bodenständig bleibt, befürchtet kaum jemand, dass sie sich eines Tages verschleißen könnte - so wie es ihrem einstiger Traumpartner Rolando Villazón erging, der nach seinem Zusammenbruch mexikanische Volkslieder singt. Aber Anna ist einfach Anna, eine Frau, die weiß, was sie will. Ihre erste Wagner-Rolle in Lohengrin hat sie sich ausdrücklich gewünscht. Und wer wird einer so schönen Frau schon ihren Herzenswunsch abschlagen?
Autorin: Anastassia Boutsko
Redaktion: Suzanne Cords