Netzpolitik ist kein Nischenthema mehr
5. Mai 2015Gallery-Weekend, Theatertreffen, Vlogger-Awards, Webweek, re:publica - man kommt an diesen Tagen in Berlin kaum noch hinterher, will man auf dem Laufenden bleiben. Und alle Events werden größer, ziehen immer mehr Besucher an. Der Hype um Berlin mag vorbei sein, wie es in angelsächsischen Medien neuerdings immer heißt. Aber aus dem Hype der vergangenen Jahre hat sich einiges entwickelt und etabliert. Die re:publica ist ein Beispiel dafür. 2006 als ein Treffen einiger Dutzend Blogger und Nerds entstanden, findet das dreitägige Event nun in einem alten Industrie-Areal über mehrere Hallen verteilt statt. Ohne Lageplan ist man aufgeschmissen, um die vielen Stages, also Veranstaltungsorte, zu finden. Allein am ersten Tag gibt es rund 100 Veranstaltungen. Eine eigens entwickelte App erspart das Blättern in den Infopapieren.
Die re:publica ist eine Mischung aus Messe, Kongress und Happening. Es gibt Firmenstände für neue 3D-Brillen, selbst die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung hat einen Stand. Es gibt einen Saal, in den wohl 2000 Personen passen, eine riesige Lounge mit einer Kinderkrabbel-Ecke, eine Jazz-Bar, unzählige Coffeebars mit gesundem Essen und sogar einen VIP-Bereich, in den man selbst als Pressevertreter nicht so einfach kommt. Auf den Gängen laufen Tausende junge und nicht mehr ganz so junge Internetnutzer herum.
Auch harte Politik wird diskutiert
Das Motto der "rp15" heißt "Finding Europe". Es gibt einen aktuellen politischen Hintergrund dafür: In den kommenden Tagen will die EU-Kommission eine Digitalstrategie unter anderem zum Netzausbau, Clouds und einer Reform des Urheberrechts vorlegen. Berichterstatterin für das letztgenannte Thema im EU-Parlament war Julia Reda aus Deutschland, die einzige Vertreterin der Piratenpartei, die es bei der Europawahl ins EU-Parlament schaffte. Überrascht sei sie gewesen, als sie von allen Fraktionen zur Urheberrechtsexpertin ernannt wurde, berichtete die 28-Jährige vor einigen hundert Zuhörern. Sie sollte sozusagen als Fachfrau das bestehende Recht evaluieren und Vorschläge erarbeiten. Doch bald erlebte sie die Tücken des politischen Alltags.
24 Punkte habe sie für die Reform erarbeitet. Doch davon würden es wohl nur drei oder vier Punkte in die finale Fassung schaffen, sagte Reda und zeigte sich pessimistisch, dass am Ende überhaupt etwas Gutes herauskommen werde. Der Widerstand sei enorm gewesen. Viele Änderungsanträge würden ihre Vorschläge eher "verschlimmbessern". Der zuständige EU-Kommissar für Digitales, Günther Oettinger, spielt dabei wohl keine rühmliche Rolle, ließ Reda deutlich durchblicken.
Julia Reda spricht sich, wie die Piraten es tun, für ein freies Recht auf Kopien aus. Das Urheberrecht sollte nur dann Schranken aufzeigen, wenn es um Veröffentlichungen und Weitergabe geht. Auch beim Thema Verlinken sprach sich Reda für einen liberalen Umgang aus. "Du kannst nicht kontrollieren, was auf der anderen Seite des Links ist."
Auf dem Weg zu mehr Produktivität?
Auch Markus Beckedahl, einflussreicher NGO-Netzpolitiker in Deutschland, hob auf einer anderen Veranstaltung das Thema Urheberrecht in einem Rückblick auf 15 Jahre Netzpolitik hervor: Das geltende Recht sei noch immer auf dem Stand der 1990er-Jahre. Doch auch Beckedahl blickt mit Skepsis auf die geplante EU-Reform. Immerhin aber habe die Öffentlichkeit nun gelernt, dass das Thema alle angehe. Dieser gewisse Optimismus offenbare sich auch bei anderen Internet-Themen wie Netzneutralität, Vorratsdatenspeicherung oder Datenschutz, so Beckedahl. Sie wurden anfangs nur in der Community diskutiert. Inzwischen aber sei Netzpolitik kein Nischenthema mehr, sondern in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Auch in der Bundesregierung habe die "Digitale Agenda" Hochkonjunktur.
Beckedahl erklärt sich dies mit dem "Hype-Circle": Nach dem "Gipfel der überzogenen Erwartungen" seien viele Internetthemen in ein "Tal der Enttäuschungen" gefallen. Doch dieses Tal sei wohl durchschritten, der "Pfad der Erleuchteten" betreten - auf dem Weg zum "Plateau der Produktivität".
In den vergangenen Jahren wurde der re:publica vorgeworfen, eine Szene zu vertreten, die lethargisch, unpolitisch und hipstermäßig ist. In diesem Jahr hat das Treffen neuen Anlauf genommen, dieses Image zu korrigieren.